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Ausgabe:

1987

Spalte:

762-763

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Gläßer, Alfred

Titel/Untertitel:

Evolutive Welt und christlicher Glaube 1987

Rezensent:

Daecke, Sigurd Martin

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 10

762

Philosophie, Religionsphilosophie

Scholtz, Gunter: Die Philosophie Schleiermachers. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellschaft. 1984. VII, 187 S. 8' = Erträge der
Forschung,217. Kart. DM 39,-.

Forschungsberichte sind meistens mühsame Lektüre. Die Gattung
Wacht es auch nicht leicht, denn einerseits soll die Sache, worum es
Seht, dargestellt werden, und der Vf. hat hier auch seine eigene Mei-
nung, die er vertreten möchte. Andererseits soll die Fülle der Fachliteratur
präsentiert werden, und zwar auf eine Weise, daß man einen
Eindruck von den verschiedenen Stellungnahmen bekommt. Es ist ein
Kunststück, einen ausgewogenen und leicht lesbaren Forschungs-
Dericht zu schreiben.

Dies Kunststück ist jedoch dem Philosophen Gunter Scholtz (G.
Seh.) in seinem Forschungsbericht über die Philosophie Schleier-
Bachers (Schi.) voll und ganz gelungen. Es macht einfach Spaß, dies
Buch zu lesen, und man liest mit Spannung. Der Bericht ist beinahe
w,e ein Gespräch, wo die verschiedenen Vff. sich der Reihe nach ihren
'nteressen und Sachkenntnissen gemäß zu Worte melden, und G. Sch.
selbst - wenn nötig - das Wort ergreift und Problemlagen konstruktiv
zurcchtrückt. Wenn man die Schwierigkeit der Materie bedenkt, ist
d'e Lebendigkeit und Klarheit dieser Darstellung eine Leistung und
e'n Genuß Tür den Leser.

Das Buch ist folgendermaßen disponiert: Das einleitende Kapitel
nennt zunächst einige Problemstellungen in der heutigen Philosophie,
die ein erneutes Interesse an der Philosophie Schl.s begünstigt haben.
Dann werden die Schwierigkeiten des Zugangs aufgerechnet, die nicht
"ur im Stil Schl.s und in der Textlage bestehen, sondern auch
durch das Vorurteil bedingt sind, demzufolge Schi. Theologie und
Philosophie vermischt habe - das Gegenteil war der Fall - und deshalb
die strenge Philosophie wenig angehe. Zuletzt referiert der Vf. kurz
die weit auseinandergehenden Urteile der Philosophiegeschichte
Uber Schl.s Philosophie. Was die Zugehörigkeit Schl.s zu den philosophischen
Grundrichtungen betrifft, ortet G. Sch. zu Recht Schl.s
"ealidealismus ins Spannungsfeld zwischen Kritizismus und spekulativem
Idealismus ein.

Das zweite Kapitel behandelt die Rezeptionsgeschichte. Ein erster
'eil referiert und beurteilt Kritik und Affirmation bis 1868, ein zwei-
ter Teil die Forschung seit Dilthey, in dem Dilthey verständlicherweise
besonders berücksichtigt wird. Für die Ausführlichkeit des
ersten Teils ist man als Leser dankbar, weil hier für etliche Unbekanntes
vorgelegt wird.

Das dritte und letzte Kapitel ist das Hauptkapitel. Hier wird das
Philosophische System Schl.s dargestellt, erst seinen Grundzügen
nach, und dann an Hand der einzelnen Schriften und Vorlesungen.
Eine wichtige Frage ist, ob Schl.s System von seiner Entwicklung her
Zu erschließen sei. Mit E. Herms vertritt G. Sch. die Eigenständigkeit
von Schl.s Ansatz und dessen früher Konzeption. Weiter wird
Schl.s dialektische Methode und ihre Verknüpfung mit seiner Ontolo-
8'e behandelt, die Hintergründe seines kosmologischen, organischen
Polaritätsdenkens beleuchtet und die Kritik seiner Methode als subjektiv
und als naturalistisch abgewiesen. Hier erweist sich die Einsicht
des Vf. in die Verbindungslinien von Schi, zu Piaton als fruchtbar und
Gärend. Endlich greift G. Sch. in diesem ersten Teil die Diskussion
auf, die darum geht, ob und in welchem Sinn Schi, ein wissenschaftliches
System gebildet habe, und wo die Herkunft seines Wissenschaftsgrundrisses
zu suchen sei. Zu Recht hebt der Vf. als unterscheidendes
Merkmal von Schl.s Systemkonzept die Einbeziehung der
Emni rie hervor und macht deutlich, wie das System im Hinblick auf
e,nen unabgeschlossenen Geschichts- und Wissensprozeß konzipiert
'st. Das Führt auf die Frage nach Schl.s Verhältnis zur Geschichte, das
'n der Forschung von Anfang an umstritten war. Als Ertrag der Diskussion
präzisiert G. Sch. seinen eigenen Standpunkt folgendermaßen
: „Wenngleich Schi, davon ausgeht, daß Vernunft nur in
Seschichtlich-individuellen Formen begegnet. . ., so ist er doch kein

Theoretiker der durchgängig nur geschichtlichen, sondern der zugleich
geschichtslosen und geschichtlichen Vernunft. Deshalb konzipiert
er zwar ein System, aber ein solches, das der Mannigfaltigkeit
und Unabgeschlossenheit der Geschichte Rechnung trägt." (S. 78)

Die einzelnen Schriften u. Vorlesungen teilt G. Sch. in drei Gruppen
auf: 1. Die poetisierenden Frühschriften, 2. Die historischen Arbeiten
, 3. Die systematischen Disziplinen. Wieder beeindruckt die
ausgewogene Einheit der Darstellung des wesentlichen Inhalts der
einzelnen Schriften, der loyalen Wiedergabe anderer Literatur hierzu
und der eigenen Stellungnahme. Unmöglich ist es, hier auf die Fülle
der Einzelbeobachtungen einzugehen. Aufschlußreich sind vor allem
die Ausführungen zur Dialektik, Ethik, Religionsphilosophie, Philosophischer
Theologie und Hermeneutik.

Für einen jeglichen Schi.-Interessenten, er sei Theologe oder Philosoph
, ist das Buch von G. Sch. unentbehrlich, denn ohne Kenntnis der
Philosophie Schl.s versteht man seine Theologie nicht, wie auch das
Umgekehrte der Fall ist, wasG. Sch. in seinem Buch auch berücksichtigt
.

Kopenhagen . Theodor Jorgensen

(,läßer. Alfred: Evolutive Welt und christlicher Glaube (Pierre Teil-
hard de Chardin 1881-1955). Regensburg: Pustet 1984.92 S. gr. 8"
= Eichstätter Materialien, 5. Abt. Philosophie und Theologie. Kart.
DM 28,-

Ist dieser Beitrag des Theologen an der Katholischen Universität
Eichstätt zur Teilhard-Diskussion ein später Nachzügler oder eine
Vorhut? Jedenfalls ist er Mitte der achtziger Jahre ein Einzelgänger,
der schon allein durch sein Thema bemerkenswert ist. Denn fast alle
Gesamtdarstellungen und -deutungen des Werkes von Pierre Teilhard
de Chardin sind bereits in den sechziger Jahren erschienen. Nach 1970
gab es nur noch einige wissenschaftliche Monographien zu Einzelfragen
und Spezialthemen aus Teilhards Werk, und in den achtziger Jahren
ist es dann - abgesehen von Günther Schiwys Biographie zum 100.
Geburtstag und einigen Artikeln und Aufsätzen aus diesem Anlaß -
ganz still um Teilhard geworden. Aber nun kam doch noch - oder
schon wieder? - diese Arbeit des Eichstätter Theologen heraus, der
1970 mit seinem umfangreichen Werk über „die Struktur der Welt-
summc Pierre Teilhards de Chardin" unter dem Titel „Konvergenz"
die Reihe der großen Gesamtdarstellungen abgeschlossen hatte.

Der schmale, aber inhaltsreiche Band beginnt mit dem Abdruck der
„erneuten offiziösen richtungweisenden Stellungnahme des Vatikans
" (aus der deutschen Ausgabe des ,,L' Osservatore Romano" vom
19. 6. 1982), einer Botschaft, die der „zweite Mann" im Vatikan, Kardinal
Casaroli, im Namen des Papstes an die Teilnehmer eines wissenschaftlichen
Kolloquiums in Paris anläßlich des 100. Geburtstags von
Teilhard gerichtet hatte. Darin ist zwar auch wieder von den „Schwierigkeiten
des Entwurfs und den Schwächen des Ausdrucks dieses
kühnen Versuchs einer Synthese" die Rede, aber anders als bei früheren
Stellungnahmen des Vatikans überwiegen hier die anerkennenden
und versöhnlichen Töne. Damit stellt Gläßer - der schon zu Zeiten,
als Rom noch ablehnender gegenüber Teilhard war, wie er in seinem
einleitenden biographischen Kapitel zeigt, zu den Verteidigern Teilhards
gehörte - seinen neuen Beitrag gleichsam unter den päpstlichen
Segen.

So betont er in seiner kurzen Teilhard-Biographie auch besonders,
daß dieser trotz aller Behinderung und Verfolgung nicht nur Priester,
sondern sogar Jesuit geblieben ist, obwohl er den Rede- und Publikationsverboten
durch einen Austritt aus dem Orden hätte entgehen
können - weil er nämlich „nicht als Revolutionär von außen stoßen,
sondern als Evolutionär von innen drängen will und den Sinn für die
Kirche ständig vertieft ... Der Groß-Christus braucht nach seiner
Überzeugung die katholische Form des Christentums" (S. 21). Und
der Beginn des Buches mit dem „richtungweisenden" päpstlichen
Wort sowie dieser Akzent der Biographie sind keine bloße Äußer-