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Ausgabe:

1987

Spalte:

756-757

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Steinmetz, David Curtis

Titel/Untertitel:

Luther in context 1987

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 10

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darauf einzugehen, ob der Wortlaut genau übereinstimmt - und ungenannte
Autoren namhaft gemacht, sondern auch bei biblischen
Wendungen deren Herkunft angegeben oder auf Gregor von Rimini
verwiesen, wo ein entsprechender Gedankengang bei ihm zu finden
war. Das Inhaltsverzeichnis ist sehr informativ. Denn während in der
Ausgabe des Gregor von Rimini zwar der logische Aufbau und damit
die Funktion der jeweiligen Abschnitte sorgfältig festgehalten ist, sind
in der Hugolinusausgabe nicht nur bei den quaestiones - wie bei
Gregor von Rimini -, sondern meist auch bei den articuli die Fragen
aufgeführt, die behandelt werden.

Hugolinus war ein Schüler des Gregor von Rimini, aber in seinem
Sentenzenkommentar entwickelte er nicht einfach den Kommentar
seines Lehrers weiter. Die Fragestellungen, die er aufgrund der Sentenzensammlung
des Lombarden formulierte, waren oft aus neu entstandenen
Problemen heraus erwachsen und andere als bei Gregor;
manchmal wirken sie auch als Ergänzung. Aber auch inhaltlich führte
Hugolinus nicht einfach durchgehend die Gedanken Gregors von
Rimini weiter. Es wird vielmehr deutlich, daß man sich die scholastische
Theologie nicht als einige Stränge (Schulen) vorstellen darf, die
sich nebeneinander und manchmal bekämpfend hinzogen, sondern
eher als eine Klöppelspitze, in der die einzelnen Fäden auf vielerlei
Weise untereinander verknüpft sind.

Die von Hugolinus bevorzugte Autorität ist neben der Heiligen
Schrift - wie leicht aus den nach den einzelnen Herkunftsstellen aufgeschlüsselten
Zitatenregistern zu entnehmen ist - Augustin. Das muß
über die theologischen Inhalte noch nicht viel besagen, denn auch
Petrus Lombardus zitierte vorwiegend Augustin. Aber im Verhältnis
zu Wilhelm Ockham, der seinen Sentenzenkommentar etwa 30 Jahre
früher als Hugolinus ausarbeitete und sich vor allem auf Aristoteles
bezog oder sich mit Scholastikern - besonders Johannes Duns Scotus -
auseinandersetzte, fallt es schon auf. Wichtiger ist aber, daß Hugolinus
sich besonders in der Lehre über Prädestination, Sünde und
Gnade auf Augustin stützte und damit Vertreter eines spätmittelalterlichen
Augustinismus war, der der Hochschätzung der Fähigkeit des
menschlichen Willens aus natürlichen Kräften - also ohne die Hilfe
der Gnade - entgegentrat. So wandte sich auch Hugolinus in diesem
Punkt ausdrücklich gegen Ockham. Er nahm teil an einem erneuerten
Augustinstudium, das die Renaissance in der ersten Hälfte des 14. Jh.
in seinem Orden angeregt hatte (vgl. ThLZ 91, 1966, 921). Die vorliegende
Hugolinusausgabe wurde auch deshalb in Angriff genommen
, um die Entwicklung eines spätmittelalterlichen Augustinismus
zu dokumentieren, aus dem Luther hervorgegangen sei. Es spricht
aber viel mehr dafür, daß Luther seine Augustinkenntnis einer selbständigen
Beschäftigung mit den Kirchenvätern verdankte, die Bibelhumanisten
seit dem ausgehenden 15. Jh. erneut anregten.

Jedem der drei Bände sind Bibelstellen-, Zitaten-, Manuskript-,
Personen-, Orts- und Sachregister beigegeben. Die umfangreichen
Sachregister sind eigentlich Stichwortregister, denn sie geben das Vorkommen
bestimmter Wörter an, sind aber nicht von einer theologischen
Systematik her erarbeitet.

Diese Hugolinusausgabe erleichtert ganz wesentlich den Zugang zu
einer sachgemäßen Vorstellung von der Vielfalt der Scholastik im
14. Jh. und zur Wahrnehmung der Nachwirkungen des Hugolinus.
Nachdem die Sentenzenkommentare Ockhams, Gregors von Rimini
und Hugolinus' erschienen sind, bleibt zu wünschen, daß auch weitere
Sentenzenkommentare aus den nachfolgenden Generationen (z. B.
des Peter von Ailly) solche opferbereiten und kundigen Herausgeber
finden.

Leipzig Helmar Junghans

Benz. Karl Josef: Eschatologisches Gedankengut bei Gregor VII. (ZKG 97,
1986,1-35).

Kennedy, L.-A.: A fourteenth-century Oxford Augustinian on the existence
ofGod(Aug(L)36,1986,28-47).

Lang. Justin: Franz von Assisi und die Kunst. Ein Versuch (FS 67, 1985,
247-258).

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Steinmetz, David C: Luther in Context. Bloomington. IN: Indiana
University Press 1986. XI, 146 S. gr. 8* = A Midland Book MB405.
Kart. $7.95; Lw.$ 25,-.

Dieser Band vereinigt zehn zum Lutherjubiläum 1983 ausgearbeitete
Beiträge. Sie waren für eine breite Zuhörer- bzw. Leserschaft
bestimmt, zeichnen sich durch eine klare Gedankenführung aus und
stellen Luther bei jedem Thema in dessen geschichtlichen Kontext
hinein. Und da der Vf. sich des geschichtlichen Ortes jedes Theologen
bewußt ist, konfrontiert er auch seine eigenen Ausführungen mit heutigen
Betrachtungsweisen der untersuchten Themen.

Er ergänzt bewußt die gerade auch in Nordamerika verbreiteten
sozialgeschichtlichen Darstellungen der Reformation durch seine geistesgeschichtlichen
Untersuchungen. Die geistesgeschichtliche Arbeitsweise
ist in Mißkredit geraten, weil sie oft zu schnell logisch einsichtige
Entwicklungen von Vorstellungen und Begriffsinhalten mit
dem geschichtlichen Verlauf gleichgesetzt hat, indem sie z. B. Luthers
Theologie aus einem spätmittelalterlichen Augustinismus abzuleiten
versuchte. Steinmetz widerspricht nicht nur speziell dieser Hypothese
(13), sondern hält sich auch in seinen Interpretationen an mittels
Quellen aufweisbare Beziehungen, so in "Luther and Augustine on
Romans 9" an Luthers tatsächliche Verwendung des antipelagiani-
schen Augustin und anderer Autoren.

Der Vf. konzentriert sich auf Luthers Beziehungen zur spätscholastischen
Tradition - die zur bibelhumanistischen Bewegung erwähnt
er nur- und vermeidet es dadurch, zu weiträumige Verbindungslinien
zu entwerfen. So erörtert er in "Luther among the Anti-Thomists"
nicht die Frage, ob Luther Thomas von Aquino richtig verstanden hat
oder nicht, sondern schildert aufschlußreich Luthers Standort innerhalb
einer keineswegs einheitlichen Thomasrezeption. "Luther and
Hubmaier on the freedom of the human will" vergleicht er auf dem
Hintergrund der ockhamistischen Tradition, die Überwindung der
Anfechtungen in "Luther against Luther" mit den beiden Bußtheorien
, die entweder die contritio oder die atritio forderten.

Gegenüber einer neuen Hervorhebung der Rolle, die der Teufel in
Luthers Denken und Fühlen spielte, betont er in "Luther and the hid-
den God" - wo er tief in Luthers Glaubensverständnis hineinführt -.
daß der Teufel für Luther eine Kreatur Gottes und sein zentrales theologisches
Problem Gott selbst blieb.

Indem der Vf. auf die Wirkungsgeschichte der Heiligen Schrift eingeht
, nimmt er nicht nur ein wichtiges Thema der Reformation auf,
sondern tritt zugleich mehreren Richtungen entgegen. Programmatisch
weist er darauf hin, daß im 16. Jh. nichts auf Schauspiele, Gedichte
, politische und philosophische Untersuchungen, Gemälde,
Rechtsanschauungen, Verzeichnisse von Beschwerden des Deutschen
Reiches gegen die römische Kirche und selbst Privatbriefe einflußreicher
war als die Bibel, so daß jede Darstellung der Kultur dieser Zeit
ihrer Auslegungsgeschichte den gebührenden Platz einräumen muß
(45 f). Er selbst skizziert in "Abraham and the Reformation " die Auslegung
von Gen 15,6 durch den Ockhamisten Wendelin Steinbach
(1454-1519), Luther und den Kardinal Girolamo Seripando
(1493-1563) sowie in "Luther and the drunkenness of Noah" die
Interpretation von Gen 9,20-27 durch Dionysius den Kartäuser
(1402/03-1471) und Luther, bei dem er verdienstvollerweise den sich
von 1519 bis 1536 vollziehenden Wandel erfaßt. Dabei zieht er zwar
moderne Exegcten heran, wendet sich aber zugleich gegen Exegeten,
die die Schriftauslegung des 16. Jh. als ein Mißverständnis beurteilen,
das im nächsterreichbaren Papierkorb ganz begraben werden sollte
(43). Für den Vf. liegt die Bedeutung eines Textes nicht nur in der ursprünglichen
Intention seines Autors, „sondern neue Erfahrungen
werfen neues Licht auf alte Texte", zumal wenn sie als Heilige Schrift
akzeptiert werden. Daher fragt der Vf. nicht danach, ob die Bibel
„richtig" ausgelegt wurde, sondern ob die Auslegung sich im Rahmen
möglicher Bedeutungen bewegte (43-45). An Luthers Auslegung der