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Ausgabe:

1987

Spalte:

754-755

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hugolinus de Urbe veteri OESA, Commentarius in quattuor libros Sententiarum

Titel/Untertitel:

II 1987

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 10

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daß die Gestalt Hadads „zu einem eschatologisch cpiphan werdenden apokalyptischen
Hoheitswesen" im Sinne eines allumfassenden Kosmokrators
wurde, was in der von Daniel und 4Esra übernommenen Tradition bereits
vorausgesetzt ist (S. 78; vgl. S. 98-100).

In einer tradilionsgeschichüichen Studie (S. 83-194) wird dann die religionsgeschichtliche
Untersuchung weiter durchgeführt, indem nach der Herkunft
einzelner Elemente der in der jüdischen Apokalyptik rezipierten Tradition
gefragt wird. Hier geht es um die Einsetzung zum Wcltenherrn, seine Königswürde
, die Verleihung des Königtums und um den Sieg des Weltenhcrrn, wozu
reichhaltiges Material aus der Hadad-Tradition sowie aus deren Einflüssen auf
vorapokalyptische alttestamentliche Texte aufgeführt werden (S. 101-167).
Schließlich werden im Zusammenhang mit dem „Betagten", seinem Thronen
und seinem Hofstaat auch noch Verbindungen mit der kanaanäischen El-Tradi-
lion nachgewiesen (S. 168-194).

Eine Beurteilung der hier vorgelegten Arbeit ist nicht einfach. Es
besteht kein Zweifel, daß der Vf. mit seinen Untersuchungen der Forschungeinen
Dienst erwiesen hat; denn das Untersuchungsfeld für die
Vorgeschichte der Mcnschcnsohn-Bezeichnung ist wesentlich erweitert
worden. An entscheidender Stelle knüpft er dabei an Beobachtungen
und Thesen von C. Colpe an, die er auf breiter Basis eigenständig
weiterführt. Mit den morphologischen und semasiologischen Studien
ln Bd. I hat er eine eminente Arbeit geleistet, indem er das vorhandene
Textmaterial sprachgeschichtlich neu untersucht hat. Ein abschließendes
Urteil hierüber obliegt einem Scmitisten, doch muß in jedem
Fall die Intensität der philologischen Bemühung anerkannt werden.
E>ie aramäische Sprachtradition samt bestimmten voraramäischen
Voraussetzungen wird in ein helles Licht gerückt. Das ist noch ganz
unabhängig von der Frage, ob der voraramäische Bedeutungsgehalt
für die Deutung der jüdischen und christlichen Menschensohn-
Bezeichnung selbst etwas abwirft. Auch an der mit sehr viel präziseren
formgcschichtlichen Kriterien durchgerührten Analyse und Interpretation
von Dan 7 und 4Esra 13 sowie den anschließenden rezeptions-
geschichtlichcn Erwägungen in Bd. II sollte kein Exeget fortan vorübergehen
, wenngleich die schwierige traditionsgeschichtliche
Schichtung dieser Texte im einzelnen nach wie vor strittig bleiben
w>rd. Die entscheidende Frage stellt sich für den Vf. in der religionsgeschichtlichen
Studie von Bd. III. In Auseinandersetzung mit der bisherigen
Forschung stellt er ein religionsgcschichtliches Modell zur
Diskussion, das dreierlei Vorzüge hat: Es entstammt räumlich dem
näheren Umfeld der jüdischen Überlieferung; es enthält eine Zuordnung
zwischen dem allem übergeordneten Gott und einem ihn gegenüber
anderen Mächten bzw. der Welt vertretenden Herrscher; und es
ermöglicht nun auch eine Erklärung des Epithetons, wobei allerdings
die Bezeichnung „Menschensohn" bereits eine pseudoetymologische
Übertragung und Umwandlung sein soll.

Natürlich sind damit auch erhebliche Probleme verbunden: So
stringent die Beweisführung wirkt, es kann nicht übersehen werden,
daß sie einige ausgesprochen schwache Glieder hat. Dies ist dadurch
bedingt, daß oft nicht genügend Textbelege vorhanden sind, insbesondere
wenn es um eine Übergangsphase geht (vgl. nur Bd. III, S. 61 und
S-67f). So muß der Vf. die überlieferungsgcschichtlichen und tradi-
tionsgeschichtlichcn Studien in Bd. II den religionsgeschichtlichen
Studien (wozu auch die traditionsgeschichtliche gehört) in Bd. III vorordnen
, obwohl es sinnvoll wäre, von den außerjüdischen Bedingungen
für das Entstehen der jüdisch-apokalyptischen Überlieferung auszugehen
. Aber dazu ist die Basis zu schmal, und es sind deshalb Rückschlüsse
aus den Befunden in Daniel, 4Esra und äthHen nötig. Das ist
methodisch nicht unerlaubt, zeigt aber deutlich die durch das verfügbare
Material gegebenen Schwierigkeiten. - Hinzu kommt, daß gerade
die vorausgesetzte Transposition von hrns zu dem aramäischen, in
Analogie zu hn 'dm geformten br 'ns zwar einleuchtend gemacht wird,
aber in ihrer Bedeutung für die spätalttestamcntlichen und frühjüdischen
Mcnschcnsohn-Tcxtc keineswegs mit Sicherheit erwiesen werden
kann. Immerhin setzen die uns verfügbaren Texte mit „Men-
schensohn" aus Daniel. 4Esra und äthHen die (angeblich sekundäre)
Form hr 'ns voraus. Dabei ist m. E. keinesfalls endgültig entschieden.
°b nicht doch eine Urmensch-Tradition im Hintergrund von Dan 7

und 4Esra 13 steht, wo es einerseits um eine Gegenüberstellung von
vier Tieren und dem Menschen(sohn) bzw. Menschenähnlichen geht,
andererseits die Bezeichnung hämo vorliegt; daß es eine solche Tradition
gegeben hat, zeigen die verschiedenen Adam-Spekulationen im
Frühjudentum und Neuen Testament. Es wäre eventuell eher zu überlegen
und zu prüfen, ob nicht Elemente einer solchen Urmensch-
Tradition mit Bestandteilen der Hadad- bzw. El-Tradition zusammengeflossen
sind, da der Vf. Einzelzüge aus Dan 7 und 4Esra 13 von'
dorther erklären kann. - Ein sehr gravierendes Problem der vorgelegten
Arbeit sehe ich schließlich darin, daß für das palästinische
Heidentum bereits eine Eschatologisierung und ein kultisch-mythisches
Traditionsgefüge angenommen wird, in dem die Gestalt Hadads
zu einem „eschatologisch-epiphan werdenden apokalyptischen (!)
Hoheitswesen" geworden ist. Die in Dan 7, 4Esra' 13 und äthHen erkennbare
Eschatologisierung ist ein so genuin jüdisches, unter spätalt-
testamentlichen Voraussetzungen entstandenes Phänomen, daß hier

i

in jedem Falle ein Fragezeichen gesetzt werden muß. Dazu bietet auch
die traditionsgeschichtlichc Studie in Bd. III keine hinreichende Basis.
Nicht nur der „Anlaß zur Eschatologisierung der Hadad-Tradition"
(S. 99) ist ungeklärt, wie der Vf. feststellt, sondern die Eschatologisierung
selbst ist denkbar unwahrscheinlich. Daß bei der vorausgesetzten
jüdischen Übernahme dieser Hadad-Tradition bereits die Eschatologisierung
„bezeugt" sei (S. 100), ist eine petitio prineipii, die sich
durch die außerjüdischen Belege nicht stützen läßt. - Trotz dieser Einwände
soll aber nicht bestritten werden, daß es sich um eine beachtenswerte
dreiteilige Arbeit handelt, mit der die weitere Forschung
sich auseinandersetzen muß.

Abschließend sei darauf hingewiesen, daß der Vf. inzwischen ein
weiteres Buch unter dem Titel „Das Traditionsgefüge um den Menschensohn
", Tübingen 1986 (s. ThLZ 112, 1987, 342-344), veröffentlicht
hat und daß eine Untersuchung unter dem Titel „Jesus als
Menschensohn. Die Übertragung des Menschensohn-Titels auf die
Person und die Botschaft Jesu" bereits ausgearbeitet ist und für die
Drucklegung vorbereitet wird.

München Ferdinand Hahn

Kirchengeschichte: Mittelalter

Hugolinus de Urbe veteri OESA: Commentarius in quattuor libros
Sententiarum, II. Quem edendum curavit Willigis Eckermann, III.
Quem edendum curavit Willigis Eckermann cooperante Venicio
Marcolino. Würzburg: Augustinus-Verlag, 1984, 1986. XIX, 641;
XXIV, 887 S. = Cassiciacum, Suppl. Bd. IX-X. Kart. DM 170-
und 245,-; Lw. DM 180 - und 260,-

Die beiden Bände vollenden die kritische Edition des Sentenzenkommentars
von Hugolinus bereits nach sechs Jahren (vgl. ThLZ 108,
1983,9100- Diese erfreuliche Tatsache hat zwei Ursachen. Einerseits
ist Hugolinus mit seiner Auslegung der vier Bücher des Petrus Lom-
bardus nur bis zum zweiten Buch gekommen und hat sich in diesem
auch noch - wahrscheinlich mit Rücksicht auf die für die Vorlesung
zur Verfügung stehende Zeit - kürzer als im ersten gefaßt. Andererseits
hat Venicio Marcolino. der sich schon durch seine Mitarbeit an
der Ausgabe des Sentenzenkommentars des Gregor von Rimini - der
auch nur bis zum zweiten Buch las - und den Werken des Johannes
von Paltz verdient gemacht hat, durch sein Mitwirken den Abschluß
des letzten Bandes beschleunigt.

Für die Erstellung des Textes wurden 21 Handschriften - die allerdings
nicht alle vollständig waren - kollationiert, um sich keine
ursprüngliche Lesart entgehen zu lassen. Hugolinus hat. wie in seiner
Zeit üblich, zwar Aristoteles, die Kirchenväter und Scholastiker bis
zum Anfang des 14. Jh. meist benannt, wenn er sie zitierte, dagegen
aber bei Zeitgenossen oft nur die von ihnen vertretene Ansicht angeführt
. Die vorliegende Ausgabe hat nicht nur die Zitate in gedruckten
Quellen oder auch Handschriften nachgewiesen - ohne allerdings