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Ausgabe:

1987

Spalte:

751-754

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Kearns, Rollin

Titel/Untertitel:

Vorfragen zur Christologie 1987

Rezensent:

Hahn, Ferdinand

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Theologische Litcralurzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 10

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extremen Windungen - zu dem Ergebnis gelangt, das durch die positioneilen
Prämissen längst vorgezeichnet war. Das „lebendige Christuszeugnis
" in B.s Version ist erreicht. Allerdings ist der Preis hoch:
B. ist einem wirklich exegetischen Gespräch ausgewichen. Sein Christuszeugnis
steht innerhalb der Geschichte des Christentums in subjektiver
Isolation. Man muß weiter fragen: Kann solche Auffassung
wirklich dem christlich-jüdischen Gespräch dienen?

Kiel Jürgen Becker

Heine, Susanne: Frauen der frühen Christenheit. Zur historischen
Kritik einer feministischen Theologie. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1986.194 S. 8* Kart. DM 22,80.

Der Untertitel dieser zusammenfassenden Darstellung der Rolle
von Frauen im Urchristentum (bis hin zu Tertullian und Clemens von
Alexandrien) ist bewußt zweideutig. Einerseits enthält es feministische
Kritik an der historischen Forschung, andererseits wird feministische
Exegese kritisiert, wo sie ihr genehme Belege selektiv auswählt
und deutet. Gerade diese doppelte kritische Absicht macht das Buch
wertvoll.

Jesus und seine ersten Anhänger werden als heimatlose Wander-
charismatiker dargestellt, unter denen traditionelle Geschlechtsrollen
bedeutungslos waren. Auf Träume von einem Jesus, der anima und
animus integrierte oder zärtlich gegenüber Frauen war, wird bewußt
verzichtet. Paulus wird aus der Rolle des Sündenbocks für alle späteren
Fehlentwicklungen befreit: In seinen charismatisch bestimmten
Ortsgemeinden traten Frauen in leitender Funktion auf. Umgekehrt
wird die in manchen feministischen Darstellungen so positiv dargestellte
Gnosis historisch-kritisch zurechtgerückt: Die große Selbständigkeit
von Frauen in gnostischen Kreisen hatte einen hohen
Preis: Verachtung des Leibes und elitäres Bewußtsein. Das konservative
Frauenideal der Deuteropaulinen wird als Anpassung an die Umwelt
und antihäretische Reaktion gedeutet, aber auch von urchristlichen
Intentionen her kritisch beurteilt.

Natürlich kann man manches kritisieren: Die einseitige Kontrastierung
von Jesus und jüdischer Umwelt (S. 163) ist so wenig glücklich
wie die Beurteilung von IKor 11 als ein „rabbinischer Ausrutscher"
(S. 114). Dem Johannesevangelium hätte man einen Abschnitt widmen
können; zeigt es doch ein gnosisnahes Gemeindechristentum, in
dem Frauen stärker als anderswo hervortraten. Den Montanismus
sollte man nicht unter „Gnosis" einreihen (S. 144). Er ist eher ein
Rückgriff auf die urchristlichen Anfänge. Schade ist auch, daß die
große Darstellung von Frauen im Urchristentum durch E. Schüssler-
Fiorenza: "In Memory of Her" (1983) noch nicht verarbeitet ist. Die
Meinung der Vfn. zu ihm hätte man gerne gewußt.

Trotzdem ist es ein gutes Buch. Es ist von historisch-kritischem
Geist durchdrungen. Es enthält viele treffende Urteile. Es streitet
engagiert für die Sache der Frauen - und ist gleichzeitig fair gegenüber
den Traditionen und Excgeten, gegen die es streitet. Der argumentative
Stil ist sachlich und menschlich erfreulich. Auf den zweiten angekündigten
Band „Wiederbelebung der Göttinnen. Zur systematischen
Kritik einer feministischen Theologie" darf man gespannt
sein.

Heidelberg Gerd Thei Ben

Kearns, Rollin: Vorfragen zur Christologie. i: Morphologische und
Semasiologische Studie zur Vorgeschichte eines christologischen
Hoheitstitels. IV, 207 S. Kart. DM 48,-. II: Überlieferungs-
geschichtiiehe und Rezeptionsgeschichtliche Studie zur Vorgeschichte
eines christologischen Hoheitstitels. IV, 200 S. Kart. DM
58,-. III: Religionsgeschichtliche und Traditionsgeschichtliche Studie
zur Vorgeschichte eines christologischen Hohcitstitels. IV. 213
S. Kart. DM 69,-. Tübingen: Mohr 1978/1980/1982. gr. 8*

Es handelt sich um ein überaus reichhaltiges Werk, das von großer
Kenntnis auf philologischem, religionsgeschichtlichem und exegetischem
Gebiet zeugt. Ein Problem ist allerdings bereits mit dem Buchtitel
verbunden: Einerseits ist er zu weit gefaßt, denn es handelt sich
nicht um Vorfragen zur „Christologie" insgesamt, sondern lediglich
um Vorfragen zu einer christologischen Konzeption, der Menschensohn
-Bezeichnung, was durch den jeweiligen Untertitel zwar angedeutet
, aber nicht präzise benannt wird. Andererseits schränkt der
Buchtitel viel zu stark die Untersuchung auf „Vorfragen" ein, so daß
die selbständige Leistung im Bereich der Semitistik, der altorientalischen
Religionsgeschichte und die Bedeutung für die Exegese apokalyptischer
Texte des Alten Testaments und Frühjudentums nicht gesehen
wird. So besteht die Gefahr, daß diese dreibändige Untersuchung
ungenügend beachtet wird, weil kaum vermutet werden
kann, was sich alles unter dem Gesamttitel verbirgt.

In Bd. I wird zunächst die Ausgangsfrage verdeutlicht (S. 1 -5): Bei Philo von
Byblos, ca. 60-140 n. Chr. (vgl. dazu Bd. III, S. 96 Anm. 2) begegnet in einem
von Euscb aulbewahrten Fragment die Wendung dypoB rjpwi als Epitheton des
Gottes Dagan. was dem westaramäischen brns" entspricht, welches seinerseits
vom Ugaritischen abgeleitet sein muß. Dabei geht es bei brns nicht um eine
Zusammensetzung zweier selbständiger Wörter (br 'ns u. ä.). sondern die
Bezeichnung stellt eine morphologische Einheit dar. Welche Bedeutung hat
dieser Sachverhalt für die Vorgeschichte des Menschensohn-Titels?

In einer eingehenden morphologischen Studie (S. 7-88) wird gezeigt, daß es
sich bei brns um eine voraramäische Sprachtradition handelt, die aus dem
Lehenswesen stammt und die bei der Seßhaftwerdung der Aramäer mit dieser
Sache übernommen worden ist (S. 47-54). Das übernommene Wort ist nicht als
gemeinaramäischer Terminus anzusehen, wohl aber in Syrien und Palästina
sehr verbreitet gewesen. Im palästinischen Bereich kam es dann zu einer ..pseudoetymologischen
Umsetzung", was zur Folge hatte, daß brns mit hn 'diu
parallelisiert und im Sinn von br 'ns gedeutet wurde (S. 57-61), was seine Auswirkung
bis zu der griechischen Wendung 6 w'oe xoö dvOpwnon hatte
(S. 74-77).

Die anschließende semasiologische Studie (S. 89-182) bringt eine Forschungsgeschichte
von H. Lictzmann bis M. Black und G. Vermes. die alle von
der Grundbedeutung „Mensch" ausgehen (S. 89-97), während der Vf. bei den
voraramäischen Voraussetzungen von brns einsetzt und damit eine Fülle von
verschiedenen Spielarten im aramäischen Wortgebrauch Syriens und Palästinas
erklären kann, wobei auch die Verwendung im Sinne von „Mensch" und als
unbestimmtes Pronomen sich gelegentlich nachweisen lassen (S. 98-175).

In Bd. II bietet der Vf. zuerst eine überließetrungsgeschichtliche Studie
(S. 1-93), bei der geklärt werden soll, wie es dazu kam. daß das im Westaramäischen
in einer Vielfalt von Bedeutungen verbreitete Wort brns ..im
Rahmen eines apokalyptisch geprägten Traditionsgefüges zum Epitheton eines
apokalyptisch epiphan werdenden Hoheitswesens" geworden ist (S. 3). Dazu
werden ausführliche Textanalysen von Dan 7 und 4Esra 13 vorgelegt und nach
deren Vorgeschichte gefragt. Der Vf. sieht dabei die Notwendigkeit, daß konsequenter
als bisher formgeschichtliche Kriterien berücksichtigt werden. Mit
ihrer Hilfe legt crcine sorgfältige literarische Dekomposition vor und beschreibt
die Eigenart der einzelnen Schichten.

In der rezeptionsgeschichtlichen Studie (S. 95-190) bezieht er dann auch die
Hcnoch-Uberlieferung mit ein. Er versucht dabei, die Entwicklung der Bezeichnung
brns und ihrer pseudoetymologischen Umsetzung in br 'ns im Zusammenhang
mit der apokalyptischen Tradition aufzuzeigen.

Bd. III enthält zu Beginn die noch ausstehende religionsgeschichtliche Studie
(S. 3-82). Die Forschung ist nach Ansicht des Vf. durch die „sachgemäße Einsicht
geleitet worden, daß die Gestalt des Menschcnsohncs nur durch eine
genealogische Ableitung von einem spezifischen Urahnen erklärt werden kann"
(S. 4). Nachdem inneralttcstamcntlichc und innerjüdische Ableitungen das
Phänomen nicht erhellen konnten, ging es seit Reitzcnstein und Bousset um die
Kategorie des Urmenschen, einer im Orient weitverbreiteten Anschauung,
ohne daßdamit ein spezifisches semantisches Epitheton verbunden schien. War
dabei anfänglich nach babylonischen, persischen und ägyptischen Abhängigkeiten
gesucht worden, so hat sich immer deutlicher gezeigt, daß kanaanäische
Voraussetzungen maßgebend waren (C. Colpc, J. Coli ins); es wurde dabei auf
Hadad hingewiesen, aber die Frage nach dem Epitheton nicht gestellt. Der Vf.
bemüht sich nun um den Nachweis, daß das kanaanäische Epitheton für Hadad.
der neben El als dem König der Göttervcrsammlung der untergeordnete, ihn
vertretende Herrscher über die Götterversammlung war(S. 60.77), 1*1 gewesen
ist. was bei der Aramaisicrung durch brns im Sinne von Vasallenkönig ersetzt
wurde (S. 71-77). Dies wurde dann im palästinischen Heidentum (sie) durch
Eschatologisierung „in einen transzcndental-eschatologischcn Äon verlegt und
wurde damit zum apokalyptischen Traditionsgefügc". was zugleich bedeutet.