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Ausgabe:

1987

Spalte:

746-747

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Lang, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Briefe an die Korinther 1987

Rezensent:

Wolff, Christian

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Theologische Literaturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. 10

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kritik. Sie schließt sich vorzugsweise an solche Konzepte an, die es
ermöglichen, den historischen Jesus vom Christus der neutestament-
lichen Verkündigung entschieden abzusetzen. War für die frühere Zeit
die Ablehnung des Johanncsevangeliums charakteristisch, so steht
Jetzt die Destruktion der die Evangelien prägenden Gemeindetheologie
als die das ursprüngliche Jesusbild verformende Kraft im
Vordergrund. Der Vf. muß allerdings einräumen, daß sich, verglichen
mit dem radikalen christlichen Skeptizismus, die Ergebnisse von
Sandniel. Vermcs, Flusser und auch Zcitlin eher moderat ausnehmen.
Überall zeigt sich jedoch die Überschätzung des aus einer mit Unsicherheiten
belasteten Rekonstruktion gewonnenen Jesusbildes gegenüber
der im Neuen Testament selbst dargebotenen Sicht. Dementgegen
heißt es: "Only the evangelists' views of Jesus enables us to unterstand
him and his teaching" (85).

Der mehr summarischen Präsentation im ersten Teil folgt die Behandlung
von vier Einzelthemen, zu denen jeweils die Positionen jüdischer
Jesusforschcr dargestellt und kritisch beleuchtet werden.
Dabei wird nahezu der gesamte, in der sechsseitigen Bibliographie
(313-318) ausgewiesene Bestand an Monographien und Aufsätzen
einbezogen.

Der Vf. beginnt mit der Stellung Jesu zum Gesetz, bei der sich
sogleich die Frage seiner Autorität in aller Schärfe stellt (85-132). Sie
bestimmt alle angesprochenen Komplexe: die Antithesen der Bergpredigt
und die Sabbatkontroversen, die Scheidungsfrage und die
Beurteilung der Speisegesetze. Unterstrichen wird die Erkenntnis, die
sich auch bei einem Teil der jüdischen Interpreten findet, daß hier ein
Bruch mit der Tradition vorliegt, der bei keinem Vorläufer oder Zeitgenossen
eine Entsprechung hat. Die Folgerung jedoch, die sich dem
der Formgeschichte und der Redaktionskritik skeptisch gegenüberstehenden
Autor aus der Exegese von Mt 5,17-20 und der Analyse
von Mt 23 ergibt, greift weit darüber hinaus: Mit der hier geltend gemachten
Autorität ist der messianische Anspruch gegeben, in der
Gesetzeskritik die Messiasfrage gestellt.

Sie ist auch das geheime Zentrum der Themenbereiche Eschato-
'°gie und Ethik, deren Zuordnung der liberalen Theologie (der christlichen
wie der jüdischen) soviel Schwierigkeiten bereitet (133-170).
Ihre Zusammengehörigkeit wurzelt in dem sowohl futurischen wie
Präsentischen Charakter des Reiches Gottes bei Jesus (in diesem Sinne
die Deutung von Lk 17, 21). Liebesgebot, Feindesliebe, Nichtvergel-
•en und Nichtwidcrstchen, die vdn jüdischer Seite kritisierte Absolutheit
und Impraktikabilität der Ethik Jesu ergibt sich aus der in ihr
angesagten vorausgreifenden Realisierung des Reiches Gottes (163).
Dank der so gegebenen Verbindung hängt das Verständnis der Ethik
Jesu von der Wertung der Gestalt Jesu ab.

Der Abschnitt über die Beziehung des Menschen zu Gott zeigt, daß
da, wo sich Jesu Lehre mit den Aussagen des zeitgenössischen Judentums
berührt, wie bei den Themen Gnade, Vergebung, Gebet und
Vatergott, auch die moderne jüdische Interpretation angemessener erscheint
(191-216). Aber auch hier macht der Vf. die Einzigartigkeit
Jesu deutlich. Das Verständnis der Lebenshingabe als Erlösung (Mk
'0,45 gilt als jesuanisch) und die exklusive Vaterbeziehung zeigen die
von den jüdischen Auslegern oft überspielten Grenzen an.

An den Schluß der Einzeluntersuchungen ist ein Kapitel über die
person Jesu und ihre Sendung gesetzt worden (227-272). Es geht zunächst
nicht um das Selbstverständnis Jesu, sondern um die Versuche,
ihn einzuordnen. So erscheinen noch einmal die Parteien (Pharisäer.
Essener, Zeloten), denen er jüdischerseits zugeordnet wird, aber auch
die Kategorie des Propheten. Erst dann folgen die Hoheitstitel, die in
jüdischer Sicht (sofern sie überhaupt als authentisch gelten) historisch
interpretiert, aber nicht akzeptiert werden können: Messias, Herr,
Menschensohn, Gottessohn. Der Schluß lenkt zum Ausgang zurück
und umgreift die vorausgehenden Abschnitte: Erst von seinem Anspruch
her wird die Lehre Jesu kohärent (270).

Der Vf. hat sich im Hauptteil seines Werkes bewußt dem historisch
-deskriptiven Verfahren, das sich an den Forschern statt an den
Problemen orientiert, versagt, sich vielmehr für eine systematisch-

analytische Darstellung entschieden. Sie erlaubt es ihm denn auch,
das eigene Anliegen, das über das Gespräch mit jüdischer Theologie
hinausgeht, stärker zum Zuge zu bringen. Obwohl die Auseinandersetzung
mit englisch schreibenden (jüdischen) Autoren im Vordergrund
steht, kommt auch der deutschsprachige Anteil nahezu lückenlos
zur Geltung. Die thematische Konzentration auf Verkündigung
und Anspruch Jesu hat freilich dazu geführt, daß ein so wichtiger
Gegenstand wie der Prozeß Jesu so gut wie völlig entfällt (selbst der
Name Paul Winter fehlt in der Bibliographie). Daß die neue, auf
redaktionskritischer Durchdringung der Quellen beruhende Darstellung
des Pharisäismus durch J. Neusner und seine Schule auch
Konsequenzen für die Beschreibung des geschichtlichen Spannungs-
feldcs hat, in das Jesus und die pharisäische Richtung hineingehören,
wird kaum deutlich.

Den Vorwurf, letztlich doch von antijüdischen Motiven bestimmt
zu sein, wird der Vf. unschwer entkräften können. So kann es ihm
nicht um eine Minimierung des Jude-Seins Jesu zu tun sein (etwa über
die Herausstellung seiner galiläischen Herkunft); es ist ihm wichtig zu
betonen, daß fast alle neutestamentlichen Autoren aus dem Judentum
kamen und von dort geprägt sind. Dennoch begegnet uns im Rahmen
der Unterscheidung zwischen dem strikt abgelehnten Antisemitismus
und der im Neuen Testament enthaltenen Kritik am Judentum ein
Satz, der im deutschsprachigen Raum so wohl nicht hätte formuliert
werden können: "This anti-Judaism is a necessary component in any
form of Christianity that seeks to be true to the New Testament"
(290). Man würde sich aber einer Fehldeutung schuldig machen, wenn
man in diesem Werk das Signal für eine Wende im christlich-
jüdischen Dialog oder gar für sein Ende sehen würde. Jener Richtung
der angelsächsischen Theologie, für die der Vf. spricht, geht es um
Koexistenz in der Wahrheit anstelle eines Konsens zu herabgesetzten
Preisen. Mit der Analyse moderner jüdischer Jesusforschung ist das
kritizistische Bild Jesu auf die Waage gelegt und zu leicht befunden
worden.

Leipzig/Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Croisees du Judaismc (Themaheft RSR 74. 1986. H. 4): Rabbi Eliezer et son
fourneau. les debats des Sages de Yabnc (Y. Rash) (483-510) - Presences
hebraiques dans l'histoire de l'Eglise (A. A. Winogradsky) (511-536) - Intro-
duetion ä «Theologie athee» de Franz Rosenzweig (G. Petitdcmange)
(537-544) - Theologie Athee (1914). Traduction et notes de Jean-Louis Schlegel
(F. Rosenzweig) (545-557).

Neues Testament

Lang, Friedrich: Die Briefe an die Korinther, übers, u. erklärt. Göttingen
-Zürich: Vandenhoeck & Ruprecht 1986. 382 S. gr. 8' = Das
Neue Testament Deutsch. Neues Göttinger Bibelwerk. 7. Kart.
DM 48,-.

Ein halbes Jahrhundert hindurch hat die von H.-D. Wendland
besorgte Auslegung der Korintherbriefe einen für Exegese und Verkündigung
anregenden und daher hochgeschätzten Dienst getan. Im
Zuge der kontinuierlich voranschreitenden Neubearbeitung des NTD
hat nun der Tübinger Neutestamentier F. Lang eine Kommentierung
vorgelegt, die den derzeitigen Stand der Arbeit an diesen beiden
Paulusbriefcn widerspiegelt: Die Ergebnisse der soziologischen Forschungen
zum Urchristentum sind hier aufgenommen (z. B. zu I Kor
1.26). es finden sich wiederholt Beobachtungen zur Kompositionstechnik
(etwa zu IKor 1,10-4,21:5.1-6.20:8.1-1 1,1). und Teilungshypothesen
werden eingehend diskutiert.

L. versteht einleitend die Korintherbriefe zu Recht als die eindrücklichsten
Zeugnisse der paulinischen Kreuzestheologie und arbeitet
diesen Aspekt in der Auslegung fortlaufend heraus, vor allem in der
Konfrontation mit der von pneumatischem Vollendungsenthusias-