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Ausgabe:

1987

Spalte:

694-695

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Schinzer, Reinhard

Titel/Untertitel:

Im Spiel die Bibel verstehen 1987

Rezensent:

Schwerin, Eckart

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 9

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Phänomenologie lehren könnte. Der Streit zwischen Wesen und
Funktion kann nicht einseitig zugunsten des Funktionalismus entschieden
werden, wie Hübner selbst zu erkennen gibt. Denn sein
»Ausblick" zielt zwar auf eine „funktionale theologische Ekklesiolo-
©e", versucht aber gerade eine funktionale Ekklesiologie etwa im
Sinne K. W. Dahms zu vermeiden.

Hübner ist es gelungen, mit seiner scharfen Systematik beiden
Linien der Entwicklung jeweils ein aporetisches Defizit vorzuhalten.
Die. von Schleicrmacher ausgehende Linie verliert Christus als das
»extrinsische Fundament der Kirche" und tauscht Religion als
änthropologische Begründung ein, die andere Linie wahrt das theologische
Fundament, aber verliert, weitgehend geisteswissenschaftlich
befangen, die reale Empirie. Ob die Analyse voll zutrifft, wird näher
zu prüfen sein, heuristisch ist sie sicher von Wert.

Der dritte Teil, „Ausblick" genannt, wo doch vielleicht zuerst ein-
ma' „Einblick" und „Rundblick" nötig wären, fängt kennzeichnend
m't dem reformatorischen Verständnis von Kirche an. Das dortige
Verständnis der „Kirche des Glaubens" wird sachgemäß von der Verheißungskategorie
her entwickelt. Idealismus und Empirismus werden
gleichermaßen abgewehrt. Es folgt eine Darstellung „der Kirche
ln Raum und Zeit". Hier wird die Entwicklung des Volkskirchenverständnisses
als Soll- und Seinsbegriff gründlich aufgezeigt. Hübner
möchte der Verwendung als Programmbegriff wehren, aber das Gewicht
der anzunehmenden realen Situation nicht mindern. Wissen-
^haftstheoretisch führt das zu einer Konzeption, die er „funktionale
theologische Ekklesiologie" nennt. In Kritik an Pannenbergs, nach
Hübner szientistischer Position und im Anschluß an G. Sauter, der
sowohl theologischen Begründungs- wie wissenschaftlichen Entdek-
kungszusammenhang zu wahren versucht, will Hübner praktischer
Theologie eine Funktionalität zugunsten der theologischen Wahrheit
der extrinsischen Begründung von Kirche in Verheißung und Rechtfertigung
zusprechen. Seine beiden Kriterien, theologische Identifizierung
und theologische (funktionsgerechte) Orientierung der Kirche,
bleiben dabei die systematischen Angelpunkte. „Theologische Ekklesiologie
, die nicht zur Kirche und ihrer Praxis durchdringt, ist
dysfunktional. Praktische Theologie, die sich von der theologischen
Ekklesiologie dispensiert, ist untheologisch" (257). Eine neue Kon-
Vergenz von Systematischer und Praktischer Theologie wird angehebt
. Von daher würdigt Hübner die Geschichte der Universitätsdis-
ZlPün Praktische Theologie von Hyperius bis zu Lämmermanns
Studie über „Kritische oder empirische funktionale Handlungstheo-
rie?" (TEH N.F. 211, 1981). Als Kritikpunkte arbeitet er die
mangelnde Unterscheidbarkeit von empirischer Kirche und Kirche
des Glaubens, den ungeklärten Theoriebegriff und schließlich widersprüchliche
Bestimmungen des Gegenstandsbereichs der Praktischen
Theologie heraus. Als Schadensquelle macht er immer wieder die
Ungenügende Beachtung seines Doppelkriteriums von theologischer
Identifizierung und empirischer Orientierung aus.

Daß bei Schleiermacher allerdings dieser Ansatz schon markant
erscheint, wird de facto anerkannt (S. 2870, aber die schon geschilderte
systematisch-theologische Kritik an Schleiermacher hindert
Hübner doch daran, seinen Entwurf als Fortentwicklung Schleier-
"lachers aufzufassen. Der Schlußabschnitt des Buches wiederholt die
doppelte Grundforderung noch einmal rekapitulierend und verheißt -
e'ne wohl für einen zweiten Band geplante - Entfaltung der Praxis der
Volkski rche als dem Gegenstandsbereich Praktischer Theologie.

Das Verdienst des Buches liegt darin, den Zwischenraum der etablierten
Disziplinen Systematische bzw. Praktische Theologie entflossen
betreten zu haben. Die theologiegeschichtliche Analyse
*°'gt einer klar erkennbaren Systematik. Das Problem einer empirischen
Theologie ist scharf gestellt. Die Bedeutung der Religions-
Pädagogik für eine bessere Ekklesiologie tritt zutage. Doch wäre hier
e'ne Aufarbeitung des Verhältnisses von Glauben und Lernen notwendig
. Das Doppelkriterium ist formal sicher zutreffend erfaßt-wie
Ja schon bei Schleiermacher - aber damit fängt die eigentliche Arbeit
erst an. Sowohl Theorie- wie Praxisbegriff scheinen mir mehr referiert

als analysiert. Das Verhältnis von Leben und Praxis bleibt ungeklärt,
derzeitige lebensweltliche Ansätze kommen noch nicht zum Tragen.
Die Vorrangstellung der Ekklesiologie ist berechtigt, aber sie zieht
sofort nicht nur - das beachtet Hübner - Probleme der Gottesfrage für
das Verhältnis von Religion und Evangelium nach sich, sondern auch
Fragen der Christologie und der Pneumatologie. Hier sind sowohl von
Bonhoeffer wie von Bohren her Vorstöße zu einer nicht nur analytischen
, sondern auch einer konstruktiven Ekklesiologie im Ansatz,
nicht erst in der Entfaltung möglich. E. Langes Konzeption von
Ekklcsia und Diaspora müßte hier auch berücksichtigt werden. Die
Entwürfe des 19. Jh. bringen uns hier kaum weiter. Barths Position ist
m. E. zu einseitig beschrieben. Das zeigen auch inzwischen vorgenommene
Analysen z. B. von A. Grözinger (ZThK Beiheft 6 [1986],
176-193) und mir (PTh 75,1986,422-437). Man kann nicht einfach
an Barths direkten Äußerungen zur Praktischen Theologie und an seinen
eigenen Entwürfen einer praktischen Theologie in dogmatischer
Verantwortung - keineswegs nur deduziert - vorbeigehen. Aber ein
Buch kann nicht alles leisten. Bedenklicher scheint mir, daß Hübner
eigentlich ein fast gar nicht kirchenpo/ii/itAw Buch geschrieben hat.
Dabei enthält der Faktor Kirchenpolitik doch massive Empirie. Wie
steht der Autor eigentlich zu der insgeheimen Kontroverse von
VEKLD-Ekklesiologie und den Positionen des EKU-Votums zu
Barmen III? Hübner ist ein belesener Autor, er hat die einschlägige
Literatur durchaus im Blick, aber ob er nicht zu sehr seinem eigenen
Leitfaden folgt, ist zu fragen. Erst der folgende zweite Band wird allerdings
darüber ein genaueres Urteil ermöglichen und dann auch die
Kritik an dem pragmatischen Ansatz des Gütersloher Handbuchs der
Praktischen Theologie wegen mangelnder theologischer Konzeptio-
nalität als gerechtfertigt oder voreilig erweisen können, wobei es
natürlich ein einzelner immer leichter hat, deutlich eine Richtung
anzugehen. Die Zuordnung der beiden leitenden Kriterien schließlich
wird noch näher zu untersuchen sein. Paßt der KonvergenzbegrifT?
Entspricht er z. B. Nipkows Analyse dieses Begriffs? Solche Fragen
sollen die Intention des Autors nicht mindern, sondern unterstreichen
, an einer gemeinsamen Basis Für Systematische und Praktische
Theologie zu arbeiten, ohne daß jeder seine Sonderposition als reine
Lehre dekretiert. Der Versuch, eine Spur zwischen Schleiermacher
und Barth mit dem realen Ausgangspunkt Volkskirche zu finden, verdient
weitergehende Aufmerksamkeit.

Bonn Henning Schröer

Schiii/er, Reinhard: Im Spiel die Bibel verstehen. Anregungen Für den
Umgang mit der Bibel in Gruppen. Göttingen-Zürich: Vanden-
hoeck& Ruprecht 1986. 156S. 8". Kart. DM 19,80.

Mit der Lektüre dieses Buches sollte beim Nachwort (137fT) begonnen
werden. Es legt unter den Begriffen „Schriftgebrauch und Glaubenswahrheit
" frei, woran Vf. gelegen ist. Als Konkretionen seiner
Absicht, aus der Engführung einer „Schreibtischhermeneutik" (137),
der es versagt ist, ,die Vielstimmigkeit biblischer Texte wiederzugeben
' (138), herauszuführen, sind die davor zusammengestellten 11
Spiele zu unterschiedlichen Texten und Themen anzusehen. Neben
Plan-und Rollenspielen zu Acta 16,11-34 (14ff), Micha 4-5 (36ff),
zum Thema „Umstrittene Rechtfertigung" (68ff), zu „Frauen in der
Gemeinde" (80ff), zur , Caligula-Krise (40 n. Chr.)' (94ff) und zum
.babylonischen Exil' (112f0 stehen „Bewegungen zur biblischen Geschichte
" (7ff), ein „Memoryspiel zu Glaube und Leben", ein Detektivspiel
zu „Untertan und Obrigkeit?" (27ff), ein Begriffs-Lotto „Zur
Sprache Jesu, des Paulus und Johannes" (49ff) und ein Podiumsgespräch
„Redaktionssitzung der Evangelisten" (5 5 ff). Die Themen
und Intentionen der Spiele bedingen eine unterschiedliche Struktur.
Aufschlußreich sind manche Informationen, die Wesentliches den
Spielern als erforderliche Voraussetzung mitteilen wollen. Im einzelnen
wird hier nicht auf die Spiele eingegangen. Gelegen ist vor allem
an der Begründung und Entfaltung des Ansatzes des Vf.