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Ausgabe:

1987

Spalte:

691-694

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hübner, Eberhard

Titel/Untertitel:

Theologie und Empirie der Kirche 1987

Rezensent:

Schröer, Henning

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691

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 9

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Der fünfte Band „Umwelt" faßt endlich erstmals in dieser Reihe die
Aussagen des Christentums in einem einzigen Artikel zusammen,
statt wie bisher Katholizismus und Protestantismus gesondert zu behandeln
. Hier entwickelt S. M. Daecke die Ablehnung einer anthropozentrischen
Umweltethik zugunsten eines „schöpfungszentrierten,
christologischen und pneumatologischen Ansatzes", für den er auch
auf Ernesto Cardenal und Jürgen Moltmann verweisen kann. Wie
sinnvoll ein solcher Ansatz ist, zeigt der Vergleich mit den islamischen
Anschauungen, wobei die Fülle der Parallelen zur jüdisch-christlichen
Schöpfungstradition auffällt. Da zeichnet sich eine breite Übereinstimmung
zwischen den Religionen ab. Neben den Artikeln über
Judentum, Buddhismus, Hinduismus und Taoismus enthält dieser
Band noch einen über indianische Stammesreligionen in Nordamerika
, die auf manche ökologischen Gruppen eine seltsame Anziehungskraft
auszuüben scheinen. Vielleicht äußert sich darin auch ein
Wiedergutmachungsbedürfnis angesichts der brutalen Vertreibung
der Indianer in wenige Reservate. Im Schlußwort, das in diesem Band
auffällig breit gehalten ist, verweisen die Hgg. auf eine Fülle moderner
Untersuchungen zu den Wechselbeziehungen zwischen Religionen
und Umweltfaktoren oder auf Ansätze zu einer Art „Öko-Religion"
in der nordamerikanischen New-Age-Bewegung.

Wahrscheinlich ist es die Aktualität des Themas, die diesen Band
besonders lesenswert erscheinen läßt. Das Verantwortungsbewußtsein
gegenüber der Natur bedarf eben über die einfache Nutzen-Kosten-
Rechnung hinaus einer philosophischen oder religiösen Fundierung,
um eine neue Einstellung gegenüber unserer natürlichen Umwelt gewinnen
zu können. Gerade dafür vermittelt der Band eine Reihe von
Impulsen aus den verschiedenen religiösen Traditionen, wobei auch
stärker als in manchen früheren Bänden auf aktuelle Tendenzen eingegangen
wird.

Wenn die Reihe jetzt abgeschlossen sein soll, kann das jedoch nicht
bedeuten, daß die Themen bereits erschöpft seien. Der gesamte Bereich
des Politischen im engeren Sinne oder die Stellung der Religionen
zu Krieg und Frieden verdienten einen weiteren ähnlich aufgebauten
Band. So möchte ich den Wunsch äußern, daß die Reihe noch
einmal um bisher fehlende Themen erweitert werden kann.

Rostock Joachim Wiebering

Praktische Theologie: Allgemeines

Hübner, Eberhard: Theologie und Empirie der Kirche. Prolegomena
zur Praktischen Theologie. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag
1985. IX, 345 S. 8 KaTt. DM 48,-.

Der bekannte Münsteraner Religionspädagoge legt mit diesem
Buch efhe um das Verständnis der Kirche zentrierte Erörterung der
Grundsatzfragen der Praktischen Theologie vor. Er löst damit die von
mir 1974 erhobene Forderung, die Praktische Theologie müsse ihre
Prolegomena selbst schreiben und nicht der Dogmatik überlassen, ein.
Das Vorwort gibt die auch mit dem Titel schon deutlich angezeigte
Zielrichtung an. Es geht um eine „theologisch sachgemäße wie empirisch
angemessene Theorie der Praxis" (VII).

Der „Anmarschweg" ist mit Bedacht lang gewählt. Zuerst erfolgt
eine „Neutestamentliche Orientierung" (3-19). Dann bietet Hübner
einen ausführlichen „Rückblick" (21-148), der sich mit den Ekklesio-
logien seit Schleiermacher befaßt. Kriterium ist dabei die Frage, inwieweit
diese theologischen Konzeptionen die empirische Kirche im
Blick haben, so daß sie für eine Praktische Theologie geeignet sind.
Schließlich folgt ein ähnlich umfangreicher „Ausblick" (149-310), in
dem Hübner die gegenwärtige Diskussion um Praktische Theologie
und Kirche Revue passieren läßt, um seine Leitthese zu erläutern, die,
den drei Teilen vorangestellt, so lautet:

„Theologie ist Wissenschaft um evangelischer Praxis der Kirche willen. Deshalb
spitzt sie sich in Ekklesiologie zu, die die empirische Kirche theologisch
identifiziert und ihre Praxis theologisch orientiert. Die empirische Kirche in

unserem Raum ist infolge seiner Geschichte und soziokulturellcn Gegebenheiten
immernoch Volkskirche."

Die „Neutestamentliche Orientierung" stützt sich im wesentlichen
exemplarisch nur auf die paulinischen Briefe, weil eben dort als Funktion
der Theologie die Identifizierung und Orientierung der empirischen
Kirche besonders deutlich geworden ist. Als Leitgedanken
arbeitet Hübner die theologische Identifizierung durch die Wahrnehmung
des „apostolischen Fundaments" und praktische Orientierung
durch die Korrelation dieses Fundaments mit der realen Kirche in
Raum und Zeit heraus. Eine solche monopaulinische Ausrichtung
halte ich für problematisch. Man könnte zumindest doch das Profil
der Gemeindesituationen bei Matthäus, Lukas und Johannes mit einbringen
, um der neutestamentlichen Empirie gerecht zu werden.
Dann würde nicht nur der Leitgedanke der „Erbauung" im paulinischen
Sinne, sondern auch die Forderung der Nachfolge oder der
Konflikt um Reichtum und Armut oder das „Bleiben" der Gemeinde
bei Johannes Paradigma. Gewiß hat der paulinische Ansatz, zumal in
der Tradition reformatorischcr Kirchen, höchstes Gewicht, doch
kann man so in Engführung geraten, die ökumenisches Lernen in
Sachen Ekklesiologie dringlich machen. Kirchenreform im evangelischen
Sinne hat fast immer wieder bei der charismatischen Gemeinde
im Sinne des Paulus angesetzt, die aber offensichtlich in der
Empirie der Kirchengeschichte immer wieder kaum realisiert wurde
bzw. für das Problem einer institutionellen Kirche als Großorganisation
paradigmatisch nicht ausreicht.

Bedeutsam ist auf jeden Fall Hübners theologisch-geschichtliche
Analyse der Lehre von der Kirche im Verhältnis von Theologie und
Empirie seit Schleiermacher, weil er versucht, eine klare Systematik
der Entwicklung aufzuzeigen. Auf der einen Seite ergibt sich eine mit
Schleiermacher anhebende Entwicklung, die der Kirche als Religionsgesellschaft
empirisch Rechnung tragt. Das wird an Schleiermacher,
Rothe, Troeltsch, Tillich und T. Rendtorff belegt. Nach Hübner geht
aber dabei jeweils das „apostolische Fundament" - Evangelium statt
Religion - verloren, die Lehnsätze aus der Ethik oder Soziologie werden
zu Axiomen; die Theologie gerät in den „anthropologischen Zirkel
". Hübner wiederholt hier, wenn auch noch einmal neu an den
Quellen arbeitend, im wesentlichen Barths Kritik am Neuprotestantismus
. Aber die folgenden Ausführungen setzen nun auch zur Kritik
an Barth und allen denen an, die dessen Antithese von Religion und
Offenbarung modifiziert übernehmen, aber dabei nach Hübner die
konkrete empirische Kirche - im Sinne seiner Leitthese, also die
Volkskirche - verfehlen. Hier werden Bultmanns, Bonhoeffers, Gollwitzers
und Moltmanns Verständnis von Kirche analysiert. Unterschiede
werden dabei durchaus beachtet, z. B. daß Gollwitzer der
Volkskirche die neutestamentliche Legitimität voll abspricht, während
Barth hier ähnlich wie bei der Taufe nur eine unordentliche
Praxis erkennt, die bei ihm durch die Zielvorstellung Gemeinde theologisch
korrigiert wird. Aber Hübner hält die Entfaltung der Aufgaben
der Gemeinde bei Barth für Deduktionen aus der Dogmatik, die die
Empirie nicht gebührend berücksichtigen, sondern zu Abstraktionen
führen. Als Indiz für das Verfehlen der realen Situation der Kirche
sieht Hübner immer wieder die ungenügende Berücksichtigung der
religionsunterrichtlichen Probleme an, die Vernachlässigung des Problems
der Vermittlung. Zum anderen stützt sich Hübners Argumentation
auf den Versuch, allen Autoren dieser zweiten Linie das Verbleiben
im „geisteswissenschaftlichen Zirkel" nachzuweisen. So gewinnen
z. B. nach Hübner bei Bonhoeffer - erörtert wird aber im
wesentlichen nur dessen Dissertation „Sanctorum communio", während
doch schon der zweite Teil der „Nachfolge" und natürlich die
Ethik Korrekturen anbringen - und Gollwitzer Sozialphilosophien
die Oberhand gegenüber einer „unverstellten" Auffassung der Phänomene
. Es ist mir fraglich, ob hier die Probleme neuerer sozialwissenschaftlicher
Axiomatik und Logik, die erst im „Ausblick" gründlicher
aufgegriffen werden, genügend berücksichtigt sind. Der wiederholt als
negativer Indikator benutzte Begriff des „Wesens" leistet weniger als
Hübner ihm zutraut, wie schon der Blick auf die Entwicklung der