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Ausgabe:

1987

Spalte:

690-691

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Besitz und Armut 1987

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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689

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 9

690

Systematische Theologie: Ethik

O Donovan, Oliver, M. A.: Resurrection and moral order. An outline
forevangelical ethics. Leicester: Inter-Varsity Press; Grand Rapids,
Ml:Eerdmans 1986. 284 S. 8°. Lw. £ 14.95.

Die Frage „Wozu und warum Moral?" ist angesichts der geistigen
und gesellschaftlichen Umbrüche der Gegenwart zu einer vieldisku-
t'erten und gerade auch für die theologische Ethik brisanten Thematik
geworden. Nicht nur konkrete materialethische Probleme, die sich
z- B. aus der technologischen Entwicklung in Gentechnik oder Reproduktionsmedizin
ergeben, fordern zur Stellungnahme heraus.
Vielmehr stellen sich auch in grundsätzlicher Hinsicht gewichtige
Fragen: Welcher Standort und welche innere Begründung kommt der
theologischen Ethik im Rahmen einer säkularisierten, pluralistischen
Gesellschaft zu? Wie läßt sich das spezifisch (^eofogwc/i-ethische
Dcnkanliegen gegenwartsbezogen und argumentativ nahebringen?

'ndem Oliver O'Donovan, der sich als Schüler P. Ramseys vorstellt
'8). in seinem Buch den Prinzipien- und Grundlegungsfragen theologischer
Ethik nachgeht, trifft er den Kernbereich der gegenwärtigen
ethischen Grundsatz- und Begründungsdebatte. Jedoch fuhrt sein
Buch in der Substanz über traditionelle theologische Argumentationen
und bekannte Denkmodelle nicht hinaus. Der Autor sucht eine
am Evangelium orientierte ("evangelical"), genauer: christologische
Ethik zu entfalten, indem er die dogmatischen Leitgedanken von
Schöpfung und Auferstehung aufeinander bezieht. Die Auferstehung
bedeutet Erlösung und Umwandlung der Schöpfung (56) und bewirkt
»ontologisch" eine neue Schöpfungs- und Moralordnung (150). Von
daher vollzieht der Autor eine (knapp gehaltene) Abgrenzung gegenüber
Karl Barths Ablehnung der Schöpfungstheologie (860; vor allem
aber wendet er sich gegen die Ethik Helmut Thielickes, die den Vor-
rang des Evangeliums und der Christologie mißachte, indem sie die
ethische Bedeutung des Gesetzes überbetone. Die lutherische Lehre
von Gesetz und Evangelium verleite dazu, das christliche Leben
-unter eine andere Autorität als die Autorität Christi" zu stellen (146,
v8l. 153 ff).

Sein eigenes Anliegen fuhrt der Autor in drei Teilen vor Augen. Zunächst
(I) wird mit Schöpfung, Eschatologie und Christologie -
letztere ist der Angelpunkt - die „objektive Wirklichkeit" ("The ob-
Jective reality") als Grundlage der Ethik benannt; sodann (2) gelangt
u'e „subjektive Wirklichkeit" der Ethik zur Sprache: Die Erlösung
*lfd dem Menschen durch den Heiligen Geist vergegenwärtigt, der-
W|e mit einem kurzen Hinweis auf Kierkegaard formuliert wird - eine
Gleichzeitigkeit des Christen mit Christus bewirkt (103). Besonders
l'egt dem Autor an der Bindung christlicher Moral an die göttliche
Autorität, die sich im Heiligen Geist, im Wort Gottes und in der Per-
500 Jesu manifestiert (121-162). Auch die Kirche hat prinzipiell an
der Autorität der Offenbarung teil (172). Schließlich (3) fragt der
Autor nach dem moralischen Lebensweg des Christen ("The form of
'he moral life"): Er betont u.a. die Notwendigkeit von „Weisheit",
welche Einsicht in die von Gott gegebene Ordnung der Schöpfung ver-
'e'ht (189); anhand des Doppelgebotes der Liebe akzentuiert er den
Stellenwert der Liebe als Gipfel- und Einheitspunkt unterschiedlicher
Tugenden (218-244) und erörtert abschließend die eschatologische
Erfüllung des moralischen Lebens aufgrund letztendlicher Gnade und
Liebe Gottes (" The endof themoral life" 245ff).

Dieser stichwortartige Überblick zeigt, daß das Buch fast ausschließlich
an der Personalethik orientiert ist und nach einer christo-
'°gisch begründeten Lebensführung des Christen fragt. Einzelne
Aspekte sind bedenkenswert, wenn z. B. die ethische Lernfähigkeit
des Individuums angesichts neuer, gewandelter Handlungssituationen
betont (195) und diese Einsicht einer kasuistischen oder starr gesetzlichen
Ethik entgegengehalten wird. Allerdings sind Analysen und
normative Erwägungen zu konkreten Fragen heutiger Personalethik,
etwa zur Sexualcthik oder Reproduktionsmedizin, allzu knapp ausgefallen
, geschweige denn, daß sozialethische Themen zur Sprache gelangten
. An sich hätte der Rückgriff des Autors auf den Schöpfungsgedanken
sozialethische Reflexionen, z. B. zum Naturverständnis und
zur Ökologie, ja durchaus nahegelegt. Wenn der Autor die christliche
Moral - unter Vernachlässigung anderer Wertgesichtspunkte und
möglicher Wertkonflikte - einseitig und monistisch auf den Liebesbegriff
konzentriert und überdies die Rangfolge der Liebespflichten
wie folgt festlegt: Liebe zu Christus und Gott, zum Nächsten (neigh-
bour), zu sich selbst und - zuletzt - zur Welt (243), dann ist der Verzicht
auf eine auch an Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität orientierte
Sozialethik im Denkansatz vorprogrammiert; die Eigengesetzlichkeit
der Welt wird faktisch akzeptiert. Es dürfte gleichfalls wenig
überzeugen, ein in „Weisheit" zu vollziehendes Zutrauen zur „Permanenz
und Stabilität der geschaffenen Ordnung" (189) einzufordern
und darüber das soziologische Phänomen des gesellschaftlichen
Wertewandeh sowie die ökologische und technologische Zukunftsbedrohung
von Schöpfung und menschlicher Existenz, die besonders
Hans Jonas (Das Prinzip Verantwortung, 1979) herausgestellt hat,
außer acht zu lassen. Eindringlich hat Jonas im übrigen - für theologische
Ethik provokativ! - den weitgehenden Verlust eines religiösen
Wert- und Normbewußtseins in der'heutigen Kultur und Ethik benannt
und beklagt (a.a.O. 36, 58 u. ö.). Aber ob das Buch O'Donovans
der von Jonas zum Ausdruck gebrachten Herausforderung gerecht
wird und eine überzeugende Vermittlung und Verknüpfung dogmatischer
sowie biblischer Gesichtspunkte mit Gegenwartsfragen der
Ethik gelungen ist, dürfte zweifelhaft sein. Durch den bloßen Hinweis
auf die göttliche Autorität als Grundlage christlicher Moral (131 ff)
wird eine inhaltliche Reflexion zur Geltung, Überzeugungskraft und
Tragweite ethischer Normen nicht ersetzt. Das Buch "Resurrection
and Moral Order" bietet ein Beispiel für eine klassisch dogmatisch
konstruierte Morallehre, der freilich kritische, wegweisende Denkimpulse
zur Gegenwartsethik schwer zu entnehmen sind.

Bonn Hartmut Krcß

Klöcker, Michael, u. Udo Tworuschka [Hg.]: Ethik der Religionen -
Lehre und Leben. Bd. 4: Besitz und Armut. Unter Mitarb. von
H. Balz, H. Hamer, N. Hanada, R. Kramer, H.-J. Loth, P. J. Opitz,
F. Trzaskalik, M. Tworuschka. München: Kösel; Göttingen: Van-
denhoeck & Ruprecht 1986. 174 S. 8 Kart. DM 19,80.

-: Ethik der Religionen - Lehre und Leben. Bd. 5 : Umwelt. Unter Mitarb
, von S. M. Daecke, A. van Dijk, H. E. Hamer, H.-J. Loth,
H. Möllenberg, R. Neu, M. Tworuschka, E. Vierheller. München:
Kösel; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1986. 207 S. 8 Kart.
DM 19,80.

Die beiden Bände, die die Reihe abschließen sollen, widmen sich
zwei Themen der Sozialethik, die heute auf starkes Interesse stoßen.
Die Frage nach Reichtum und Armut klingt heute in vielen Diskussionen
über die Dritte Welt an; sie betrifft jedoch auch die individuellen
Einstellungen zu Wohlstand und Wohltun. Die Mitarbeiter am
vierten Band arbeiten die Aussagen der jüdischen Religion, des
Katholizismus und Protestantismus, Islam, Buddhismus und Kon-
fuzianismus sowie der afrikanischen Stammesreligionen (am Beispiel
der Bakossi in Kamerun) heraus. Die verschiedenen Anschauungen
werden im Schlußwort auf drei Typen zurückgeführt: Bejahung des
Besitzes als göttlicher Gabe. Reserve angesichts der Gefahren, die
Reichtum Tür das Ziel religiösen Lebens bedeuten kann, radikale Ablehnung
des Besitzes aus religiösen Gründen. Dabei herrscht in den
großen Religionen der mittlere Typ vor, während freiwillige Armut
eher am Rande begegnet, etwa bei den buddhistischen Mönchen oder
den Reformbewegungen des christlichen Mittelalters. Nur knapp wird
das Verhältnis der Religionen zu den modernen Eigentums- und Gesellschaftsordnungen
angesprochen. Immerhin findet man zum
Thema „Solidarität mit den Armen" Texte der lateinamerikanischen
„Theologie der Befreiung", des Weltkirchenrates, der neuen islamischen
Soziallehre und von neubuddhistischen Bewegungen in
Japan.