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Ausgabe:

1987

Spalte:

676-678

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Dierks, Margarete

Titel/Untertitel:

Jakob Wilhelm Hauer 1881 - 1962 1987

Rezensent:

Nowak, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 9

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Referaten und einen von Manfred Agethen besorgten Diskussionsbericht
(195-205).

Themenauswahl und Diskussionsverlauf rechtfertigen die Formulierung
im Untertitel, daß die Hugenottenproblematik „als europäisches
Ereignis" zu werten ist, das „den frühneuzeitlichen Staaten"
(195) wichtige Impulse vermittelt hat. Man wird es der im Gedenkjahr
1985 ein Jahrzehnt alten Universität Bayreuth danken dürfen, daß sie
die Tagung aufgenommen hat, deren Ergebnis weit über ein Jubiläumsjahr
hinaus wirken wird.

Der Hg. sieht das wissenschaftliche Kolloquium im Rahmen von
ähnlichen Bemühungen in Frankreich, in beiden deutschen Staaten, in
Großbritannien, Irland, in den Niederlanden und in der Schweiz.
Bayreuth als Tagungsort legte sich außerdem nahe, weil das Edikt
Markgraf Christian Emsts seit Frühjahr 1686 Hugenotten zur Einwanderung
veranlaßte. (6 u. 7) Wie in anderen deutschen Territorien hatten
„die Hugenotten in den Jahrzehnten nach 1686 das Bild dieser Stadt
und dieser Region ganz maßgeblich geprägt" (a. a. O.). Konfessionspolitisch
waren die Ereignisse noch dazu interessant, hatte man es doch „mit
Reformierten zu tun, die in ein lutherisches Territorium kommen".

Der Mainzer Historiker Hermann Weber referierte zum Thema:
„Die Hugenottenfrage zur Zeit Ludwigs XIII." (9-28) Er schließt seinen
Beitrag mit der für das Zeitalter dieses Königs offengebliebenen
Frage, „ob es für ein absolutistisches Regime letzten Endes genügen
konnte, lediglich die Rebellion der Häresie zu liquidieren, ober ob
nicht schließlich auch die Häresie selbst ein Politikum werden müßte,
weil die totale Einheit des Staates auch die totale Einheit im Glauben
voraussetzte." Gelöst wurde diese Frage unter Ludwig XIII. nicht, sie
wurde „an das Zeitalter Ludwigs XIV. weitergegeben" (28).

Der Herausgeber selbst, Historiker in Bayreuth, steuerte einen Beitrag
zur Konfessionspolitik Ludwigs XIV. und damit zur folgenschweren
Aufhebung des Edikts von Nantes bei. (29-52) Die Revokation
entsprach „dem Staatsideal der absolutistischen Theoretiker, das
auf den Abbau von Sonderrechten, auf ein homogenes Staatsvolk
abzielte, das seinerseits ganz auf die Person des Herrschers auszurichten
war". (52)

Rene Pillorgel von der Universität Amiens handelte über die
Juristischen, finanziellen und familiären Auswirkungen des Edikts
von Fontainebleau in Frankreich" (53-68) und kommt zu dem Resultat
, daß eine einheitliche, übersichtliche Rechtspraxis nicht festzustellen
ist, das Edikt aber in zahlreichen Fällen „nicht nur Streitigkeiten
, sondern Dramen ... in zahlreichen Familien und zwischen
Verwandten und verschwägerten Familien" (64) ausgelöst hat.

Günther Lottes von der Universität Erlangen geht den Entwicklungen
nach, die der Exodus der Hugenotten in England hervorgerufen
hat. (69-87) Er konstatiert, daß nach anfänglichem Druck
auf die Hugenotten (83) und nach weiteren Schwankungen um die
Mitte des folgenden Jh. „die zweite und dritte Generation der hugenottischen
Flüchtlinge . .. treu zur etablierten Dynastie stand" (87).

Jörg Fisch, Universität Bielefeld, geht den Hugenotten am Kap der
Guten Hoffnung nach. (89-119) Er gibt u.a. „Auskunft über die
Bedingungen einer Aufnahme in die Kolonistengesellschaft" (118).

Jürgen Weitzel, Jurist an der Freien Universität Berlin (West),
sprach über „landesherrliche Administrationsmaßnahmen zur Eingliederung
hugenottischer Flüchtlinge" (121-140). Er bezieht sich auf
die deutschen Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Referent
stellt zwei große Ordnungsvorstellungen fest: ,,die Eingliederung
durch volle Einbürgerung ohne rechtliche Sonderstellung, die Eingliederung
durch Ausbau einer Sonderrechtsstellung" (139).

Klaus Vetter, Historiker an der Humboldt-Universität in Berlin, widmete
sich den „Hugenotten im System der ostelbischen Gutswirtschaft
in der Mark Brandenburg" (141 -154). Er faßt seine Ergebnisse in 4 Thesen
zusammen (1530, in denen er u. a. daraufhinweist, daß die „Hugenottenkolonien
... in einer von der feudalen Gutswirtschaft bestimmten
Umwelt Inseln mit einer persönlich freien und nicht zu Frondiensten
verpflichteten Landbevölkerung" bildeten und somit zu einer
„allmählichen Unterhöhlung ... der Feudalwirtschaft" beitrugen.

Rudolf Endres, Universität Erlangen, gibt Auskunft über das
„Moderne" bei den hugenottischen Städtegründungen (155-175) und
resümiert in 6 Thesen (1740, daß die Hugenotten in vielfacher Hinsicht
in ihren Städten „Vorboten des Fortschritts" wurden, besonders
auch was das Schul-, Bildungs- und Sozialwesen angeht.

Etienne Francois, Göttingen, schließlich orientiert über „Tradi-
tions- und Legendenbildung des deutschen Refuge"(177-193). Er legt
dar, daß „sich gleich nach der Aufhebung des Edikts von Nantes in
den Ländern des Refuge eine reiche und durchaus erfolgreiche .Geschichtsmythologie
'" entwickelte, „deren Nachwirkung sich bis in
unsere Tage beobachten läßt" (177).

Alles in allem: Ein ansprechender Band mit einer Vielzahl von Erkenntnissen
, an denen künftige Hugenottenforschung nicht vorbeigehen
wird.

Görlitz Joachim Roggc

Dierks, Margarete: Jakob Wilhelm Hauer 1881-1962. Leben - Werk
-Wirkung. Mit einer Personalbibliographie. Heidelberg: Schneider
1986. 602 S. m. 75 Abb. u. Faks. auf Taf. gr. 8 Lw. DM. 78,-.

In der kirchlichen Zeitgeschichtsschreibung ist der Indologe Jakob
Wilhelm Hauer vor allem als Mitbegründer und Leiter der Deutschen
Glaubensbewegung 1933-1936 bekannt. Da die Deutsche Glaubensbewegung
zeitweilig zu einer ernsthaften Konkurrentin des Christentums
aufzurücken drohte und bekenntniskirchliche Einsprüche gegen
das „Neuheidentum" empfindliche Repressalien nach sich zogen,
genießt Hauer in der Kirchenkampfliteratur einen denkbar schlechten
Ruf. Eine genauere Auseinandersetzung mit seinem religiösen Anliegen
, welche die zeitgenössischen Analysen (W. Künneth, H. Schreiner
, G. Gloege, H. Mulert, M. Rade, K. Leese u. v. a.) hätte fortführen
und überbieten können, unterblieb nach 1945. Es scheint, als ob in der
gegenwärtigen Phase verstärkter Hinwendung zur Geistes- und Religionsgeschichte
der zwanziger und dreißiger Jahre den Hauerschen
Irritationen nicht mehr mit Ausgrenzungsleistungen und polemischen
Feindbestimmungen allein begegnet werden kann. Die Tatsache, daß
Hauer mit seinem theoretischen und praktischen Anspruch auf
„deutsche Glaubensgründung" in der Gesellschaft der dreißiger
Jahre einen beträchtlichen Resonanzboden fand, läßt sich offenbar
nicht in einlinigen historisch-politischen und konfessionspolitischen
Kategorien erklären, wie dies die ansonsten gesicherte These von der
gezielten Instrumentierung der Deutschen Glaubensbewegung durch
rigid christentumsfeindliche Kräfte in der NS-Hierarchie versucht.
Hauer gehört in das breite, noch längst nicht zureichend erforschte
Einzugsgebiet der neureligiösen Bewegungen in Deutschland und
Europa zu Beginn des 20. Jh.

Die Monographie der Vfn. (die Bezeichnung Biographie wird vermieden
) macht Herausforderungen dieser Art nicht zuletzt deshalb
bewußt, weil durch das Buch ein dem christlichen Theologen und
Kirchenhistoriker fremder Geist weht. In Person und Werk Hauers
verschränken sich viele Linien deutscher Zeit-, Religions- und Theologiegeschichte
. Aus diesem Grunde sah sich die Autorin zu umfänglichen
, im Jahre 1972 begonnenen Quellenstudien herausgefordert.
Außer dem Hauernachlaß im Bundesarchiv Koblenz standen ihr das
Archiv der Basier Mission, das Archiv des Bundes der Köngener, das
Universitätsarchiv Tübingen, die Handschriften- und Rara-Abtei-
lung der Universitätsbibliothek Marburg und weitere Archive zur
Verfügung. Anspruch auf vollständige Quellenverwertung ist nicht
erhoben, zumal einige relevante Personennachlässe noch geschlossen
sind. Die Bestände des Zentralen Staatsarchivs der DDR (Potsdam),
die für die Rekonstruktion der Geschichte der Deutschen Glaubensbewegung
unerläßlich sind, sind weder erwähnt noch benutzt. Unterstützung
hat die Vfn. durch Annie Hauer, Hauers Gattin aus zweiter
Ehe, erfahren, die sich als Sachwalterin des Hauerschen Erbes versteht
. Auf einer Tagung der „Freien Akademie" 1959 hat die Autorin
Hauer noch persönlich kennengelernt. Bereits diese Konstellationen
mögen den eigenartigen Gestusdes vorliegenden Buches erklären.