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Ausgabe:

1987

Spalte:

663-664

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Ben-Ḥorin, Shalom

Titel/Untertitel:

Was ist der Mensch 1987

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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Seite 1

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663

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 9

664

verzichtet, bietet Midrash in Context einen von L. Haas besorgten
bibliographischen Anhang, der für sich genommen lückenhaft ist und
in einem grotesken Mißverhältnis zum Corpus des Buches steht).
Berlin (West) Peter Schäfer

Ben-Chorin, Schalom: Was ist der Mensch. Anthropologie des Judentums
. Tübingen: Mohr 1986. 160 S. 8 Pp. DM 28,-.

Schalom Ben-Chorin, der dem Dialog mit dem Christentum verpflichtete
jüdische Denker und theologische Publizist, hat in einer
ganzen Serie von Studien, beginnend mit Jüdischer Glaube (1979),
den Grundriß einer systematischen Theologie des Judentums zu entfalten
versucht. Systementwürfe dieser Art sind, wie H. J. Schoeps
seinerzeit aufgewiesen hat, erst im Gegenüber zur christlichen Theologie
seit dem 19. Jh. entstanden. Als sechstes Stück legt der inzwischen
Fünfundsiebzigjährige seine Theologische Anthropologie vor,
die auf einer Vorlesung basiert, die 1986 vor katholischem Publikum
in der Dormitio Abtei Zion gehalten wurde. Dieser Bezugsrahmen ist,
angefangen von dem aus Thomas von Aquin STh 1,12 genommenen,
die Seinseinheit von Leib und Seele ausdrückenden Motto, bei den
Ausführungen immer gegenwärtig.

In lockerer Folge werden neun Themenbereiche durchschritten.
Der in unkomplizierter Sprachgestalt, fast ohne Anmerkungen entwickelte
Gedankengang wird getragen von Zitaten aus dem Alten
Testament (zumeist nach Buber-Rosenzweig) und aus jüdischer, vor
allem rabbinischer Überlieferung (in mehr oder minder freier Wiedergabe
). Beeindruckend ist die Fülle von Verweisen und Anspielungen
auf gegenwärtige jüdische und nichtjüdische-in diesem Fall vorallem
katholische - Autoren. Bemerkenswert erscheint das Werk vor allem
da, wo es den von ihm in Anspruch genommenen „Quellen des Judentums
" eigenwillige Deutungen abgewinnt, wie sie schon die früheren
Bücher des Vf. auszeichneten und einen beträchtlichen Leserkreis faszinierten
. Wenn wir sie letztlich mehr als Fragen denn als Ergebnisse
begreifen möchten, dann entspräche das durchaus dem offenen Charakterjüdischen
Denkens.

Jeder der neun Abschnitte enthält neben Vertrautem auch gänzlich
neuartige Gedanken und eindrucksvolle Interpretationen. Die Gottebenbildlichkeit
wird nicht nur in einem positiven Sinn begriffen, sondern
schließt die „Nachtseite des Elohim" (Oskar Goldberg) mit ein
(vgl. Gen 32,22ff; Ex 4,24ff) und erstreckt sich auch auf den bösen
Trieb (11-24). Der im Titel des Buches aufklingenden „Kant-Frage"
wird die dialogische Gestalt ihrer Formulierung in Ps 8 und dem
Hiobbuch entgegengestellt (25-34). Unter der wohl im Blick auf den
Zuhörerkreis gewählten Überschrift „In Sünden geboren - Immaculata
" wird betont, daß man in jüdischer Überlieferung zwar den Fall
des übernatürlichen Todes (Henoch, Elia) kennt, nicht jedoch den
übernatürlichen Lebensbeginn (35-42). Als Exempel eines antiasketischen
Konzepts der Einheit von Leib und Seele steht, wie bei vielen
neueren Interpreten, das Hohelied, wobei nicht übersehen wird, daß
dessen allegorische Deutung schon im frühen Judentum einsetzt
(43-58). Hier schließen sich die originellen Ausführungen über Sex
und Sacrum an, in denen versucht wird, das vom Glauben der Propheten
bestimmte „moralische Gottes- und Menschenbild" durch
Rückgriff auf ein altes Verständnis der Heiligkeit, das in der Bezeichnung
der Huren als Kedeschen fortlebt, zu relativieren (59-74). Der
Abschnitt über Freiheit und Bindung erweist sich als die Mitte des
Buches, wo ein als jüdisches deklariertes humanistisch-religiöses
Menschenbild zur Entfaltung kommt, dessen Konstituenten Liebe
und Tod, Angst und Glaube sind (75-104). Die jüdische Variante des
unheilvollen Zusammenhangs von Askese und Perversion (Sabbat-
ianer, Frankisten) kommt im Kapitel über die Rache des Fleisches zur
Sprache (105-112). Die Auflösung der vom Alten Testament bis zum
modernen Zionismus reichenden Spannung von Theokratie und Demokratie
wird in der Richtung einer Sozialphilosophie auf der Basis
der Ich-Du-Relation (in der Nachfolge M. Bubers) gesucht: der
Mensch in der Gemeinschaft (113-132).

Mehr als Nachtrag denn als Schlußwort verstehen sich die Unsterblichkeit
betitelten Erwägungen zur Eschatologie (133-154). Im Unterschied
zu den anderen Themenbereichen gelingt es hier kaum, die verschiedenartigen
Ansätze zur Synthese zu bringen. Scheolvorstellung
der Frühzeit und nachexilische Entdeckung des Individuums, Auferstehungserwartung
und kabbalistischer Seelenglaube - als Gemeinsames
bleibt nur der „Funke der Hoffnung". Er ist so sehr ein Humanuni
, daß das mit der Beschwörung Thomas von Aquins begonnene
Werk mit einer Zitierung Goethes („Vermächtnis") beschlossen werden
kann.

Leipzig/Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Neues Testament

Balz, Horst, u. Gerhard Schneider [Hg.]: Exegetisches Wörterbuch
zum Neuen Testament. Bd. II u. III. Stuttgart-Berlin (West)-Köln-
Mainz: Kohlhammer 1980-1983. 1 358 Sp. u. I 224 Sp„ 24* S. gr.

8

Mit dem Ende des Jahres 1983 war auch das Exegetische Wörterbuch
zum Neuen Testament zum glücklichen Abschluß gelangt, und
die Besprechung in der Theologischen Literaturzeitung 106, 1981,
415-417 verlangt dementsprechend eine kurze Fortsetzung und Ergänzung
. Daß diese an- und abschließende Besprechung erst nach
drei Jahren erscheint, dafür muß der Rez. die Verantwortung tragen
.

Es ist wirklich eine anerkennenswerte Leistung, daß es dem Verlag
und den Hgg. und Vff. der Artikel gelungen ist, ein so reichhaltiges
Werk im Laufe von wenigen Jahren herzustellen, das immerhin nahe
an die 4000 Spalten enthält. Die kurze Herstellungszeit hat natürlich
viele Vorteile; einer sei ausdrücklich hervorgehoben: Die Literaturangaben
aller drei Bände reichen ungefähr bis zum gleichen Jahr; die
Benutzer wissen, daß erst nach 1980 Nachträge benötigt werden.

Was der Titel des Werkes und sein erster Band versprachen, findet
der Leser und Benutzer auch in diesen beiden Bänden. Hier wird der
exegetischen Arbeit eine ausgezeichnete Hilfe angeboten. Die wichtigen
Wörter und Begriffe werden ausführlich behandelt (z. B. hemera,
mysterion, paler, pislis, pneuma, sarx), und im großen und ganzen ist
der Verteilung auf kürzere und längere Artikel beizustimmen; Ausnahmen
können die Regel nur bestätigen (die Präpositionen hätten
nach Meinung des Rez. mit weniger Zeilen auskommen können und
sind durchgehend für die Exegese nicht sehr ergiebig).

Die meisten exegetischen Probleme werden in den einschlägigen
Artikeln gut und gründlich behandelt. Man kann eine Vokabel nicht
nachschlagen, ohne in die Diskussion über die Exegese und Theologie
eingeführt zu werden; beispielsweise: unter louö wird Joh 13,10 diskutiert
, unter morfe Phil 2,6f, unter Sarx Joh 6,51 c—58, unter telos
Rom 10,4. Im Vorwort zum III. Bd. schreiben die Hgg.: „Obwohl das
EWNT sich nicht theologisches Wörterbuch nennt, sondern von der
Exegese der Vokabeln in ihrem Kontext ausgeht, ist es nicht weniger
theologisch orientiert." Das ist eine zutreffende Beschreibung. Die
Orientierung zeigt sich natürlich vor allem in den „großen" Artikeln
zu den theologisch, christologisch, anthropologisch und ekklesiolo-
gisch wichtigen Begriffen; aber als Schlußteil erstaunlich vieler (auch
der kleineren) Artikel wird die „theologische Bedeutung" o. ä. der
Vokabel oder des Begriffes gesondert erörtert.

Technische, archäologische, topographische und zeitgeschichtliche
Daten werden in reichem Maße aufgeführt, wobei auch hier die neueste
Forschung immer berücksichtigt wird. Nur selten kommt die Etymologie
zur Sprache, und offen gesagt, zu welchem Zweck soll sie
überhaupt erwähnt werden? Die Etymologie von z. B. thelys ist sowohl
exegetisch als auch erst recht theologisch völlig belanglos; für
thronos gibt das gleiche. Unnütz sind auch reine Hypothesen wie etwa
die einer „FehlÜbersetzung aus dem Aramäischen", die zu peehys,
allerdings im Kleindruck, vorgetragen wird; so etwas gehört nicht in