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Ausgabe:

1987

Spalte:

652-653

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Panikkar, Raimundo

Titel/Untertitel:

Der unbekannte Christus im Hinduismus 1987

Rezensent:

Dockhorn, Kurt

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 9

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gemeinsamen Verantwortung sind in den letzten Jahrzehnten zahlreiche
interreligiöse Gespräche und Friedenskonferenzen veranstaltet
worden, bei denen die unterschiedlichen Traditionen Tür dasselbe Ziel
einer humanen und friedlichen Welt fruchtbar gemacht werden sollten
. Dem diente auch das zweite christlich-asiatische Religionsgespräch
der Stiftung ORATIO DOMINICA vom 31. 10. bis 3. 11.
1984 in St. Märgen (Schwarzwald). Der vorliegende Band vereinigt
sieben Beiträge dieses Symposiums. Sie veranschaulichen eindrucksvoll
, wie unterschiedlich die verschiedenen Religionen und Richtungen
an das vorgegebene Thema „Vergänglichkeit, Nichtserfahrung
und Weltverantwortung" herangehen und wie schwierig es doch ist,
von so verschiedenen Denkstrukturen her zu einer Kooperation für
die Lösung der Menschheitsprobleme zu kommen.

Der Sammelband enthält drei Beiträge aus christlicher Tradition,
zwei aus buddhistischer und zwei aus hinduistischer Sicht. Judentum
und Islam (und andere asiatische Religionen) sind ausgespart, was seinen
Grund im Charakter des Symposiums haben dürfte.

E. Zenger überschreibt sein „theologisches Gespräch mit dem 90.
Psalm": „Dem vergänglichen Werk unserer Hände gib du Bestand!"
und geht dem „vielschichtigen Bedenken des Todes" in diesem Psalm
nach. Danach gelte es. Jeden einzelnen Tag als Gabe staunend anzunehmen
und als Herausforderung zu bestehen. Das Bedenken des
Todes befreit so zur Wahrnehmung des Augenblicks" (27). Es gibt
freilich andere, geeignetere Zeugnisse der Bibel, um Weltverantwortung
in der Perspektive der alten israelitischen Religion vorzuführen.
- „Christliche Schöpfungsverantwortung in einer vergänglichen
Welt" lautet der Beitrag von H. Ott, der bestimmt wird von der christlichen
Hoffnung auf eine neue Schöpfung: „In solcher Hoffnung erscheint
es dann nicht nur lohnend, sondern zwingend, Weltverantwortung
, Schöpfungsverantwortung zu tragen, aber auch sich um das
Wohl und die begrenzte Zukunft der sterblichen, hinfälligen Einzelnen
zu kümmern" (74). Vf. betont die Bedeutung der „religiösen
Grunderfahrung", d. h. der jeweiligen Identität der in die gemeinsame
Weltverantwortung gestellten Gläubigen. Die „Grund-Erfahrung des
Christentums ist die Inkarnation, das Kommen des ewigen Logos ins<
,Fleisch' der irdischen, menschlichen Geschichte" (65) - davon muß
der christliche Beitrag Tür eine friedliche und gerechte Welt bestimmt
sein.

Am stärksten fordert R. Panikkar „Der Mensch - ein trinitarisches
Wesen" den Leser zur kritischen Auseinandersetzung heraus. Trini-
tarisch meint hier „eine aufeinander bezogene Polarität der drei konstitutiven
Pole des Ganzen: das Göttliche, das Menschliche und das
Materielle" (1510- Auf S. 148 ff nennt Vf. fünf Voraussetzungen seiner
Darstellung: die Krise der Erde, das Fiasko der Vernunft („Die
Vernunft ist blind für das Böse und genauso für das Heilige"!), die
Unglaubwürdigkeit des absoluten Monotheismus, die Unzulänglichkeit
der isolierten Tradition („Allein und isoliert, ist der Hinduismus
bedroht, das Christentum ohnmächtig, der Islam in Gärung... der
Buddhismus löst sich auf, die Urreligionen werden ausgerottet, der
Säkularismus zerstört sich selbst. . .") und die unersetzbare Rolle
aller Kulturen und Religionen. Widerspruch provozieren auch die
Äußerungen des Vf. z. B. zum Marxismus sowie zum „Wahrheitsgehalt
der anderen Traditionen". Die „christliche Interpretation" (!)
soll jene „nicht nur gelten lassen, sondern irgendwie (!) mit berücksichtigen
und wenn möglich inkorporieren..." (187). Zur Weltverantwortung
äußert sich Vf. am Schluß (1880: „ • • • Der Mensch
hat eine Verantwortung für die Realität. Blindes Vertrauen auf einen
Gott ist des Menschen unwürdig . .. Das Leben schlechthin hängt von
uns ab . . . Wir selber sind auch das Schicksal des Seins . ..".

„Sein-Nichts-Weltverantwortung im Zen-Buddhismus" behandelt
S. Ucda in einer schönen Studie, in der er abschließend feststellt, daß
die Problemstellung für den Zen-Buddhismus nicht die ist, wie es vom
Nichts zur Weltverantwortung kommen kann, sondern: „Wie kann
das Menschsein in seiner Zwischenmenschlichkeit von der Verkehrtheit
, in die wir durch unsere Ichverhaftetheit geraten sind, zur Wahrheit
umgekehrt und verwirklicht werden? Dann meldet sich im Zen

das Nichts" (57). Leider kommt Vf. auf die im Titel des Buches
genannte Thematik nicht zu sprechen. - Über „Buddhismus und
Natur" bietet L. Schmithauscn einen facettenreichen Aufsatz, der die
Lehrgrundlagen, ethischen Implikationen und vielfältigen Probleme
in den buddhistischen Richtungen im Blick aufdie „Natur" im Sinne
des gesamten Lebens betrachtet. Darin wird besonders die erfüllbare
„ethische Leitlinie" des „Nichtverletzens" im Mahayana-Buddhis-
mus ausgezogen, wonach „eine Schädigung von Tieren, Pflanzen und
Lebensräumen so gering wie irgend möglich zu halten ist" (125).
Auch zu wichtigen Einzelfragen (Wert der Natur, Stellung der Tiere
und Pflanzen, Vegetarismus)erhält man wertvolle Informationen.

Einen interessanten Artikel mit klarer Gedankenführung hat
R. Balasubramanian über „Die Stellung des Menschen in der Welt
aus der Sicht des Hinduismus" beigetragen. Die Frage der Weltverantwortung
wird darin freilich nicht explizit behandelt, doch wird am
Schluß „Gott als Muster" menschlichen Handelns bezeichnet:
„Durch seine sichtbare Fleischwerdung bietet Gott den Menschen ein
Modell, mit dem er ihnen zeigen will, was sie tun sollen und auch wie
sie es tun sollen" (97) - Dazu gehören Erhaltung und Schutz der Welt,
„Freundschaft und Liebe zu anderen". - Schließlich sind die Ausführungen
von B. Mukerji über „Die advaitische Erfahrung und kosmische
Verantwortung" hervorzuheben, die eine Antwort auf die
Herausforderung der „heute möglichen Vernichtung der Welt" aus
der Sicht der Advaita-Lehre (der Brahman-Atman-Identität) geben
soll. Vf. weist daraufhin, daß die Weltentsagung des Suchenden sich
auf die „metaphysische Ausschaltung" des Ich-Bewußtseins bezieht,
nicht aber „auf einen physischen Rückzug von der Welt.. . Advaita
hebt den Wert der Welt nicht auf... Wer erleuchtet ist, lehnt die Welt
nicht ab", er dient vielmehr als Befreiter seinen Mitmenschen (141 ff).
Das ist ein konstruktiver Beitrag zum Thema des Buches aus einer
ganz anderen Tradition als der jüdisch-christlich-islamischen Schöpfungsverantwortung
. Diese unterschiedlichen Denk- und Herangehensweisen
studieren zu können, machen den Wert des Sammelbandes
aus, der aber, was er im Titel verspricht, nur teilweise hält.

Berlin Karl-Wolfgang Tröger

Panikkar, Raimundo: Der unbekannte Christus im Hinduismus.

Übers, aus dem Engl, von H. Riße, unter Mitarb. von B. Bäumer u.
H. Waldenfels. Mainz: Grünewald 1986. 166 S. 8' = Dialog der
Religionen.

In der von Hans Waldenfels bei Grünewald herausgegebenen Reihe'
Dialog der Religionen ist Raimundo Panikkars überarbeitete Fassung
seines zuerst 1957 in Varanasi und 1964 in London erschienenen
"The Unknown Christ of Hinduism" nunmehr auf deutsch vorgelegt
worden.

In drei großen Kapiteln - I. Die Begegnung, II. Hinduismus und
Christentum, III. Gott und die Welt nach Brahma-Sutra I, 1,2 - geht
der Autor sein Vorhaben an, im Dialog mit dem Hinduismus ein tieferes
Verständnis der Christen für das Christusgeheimnis zu erarbeiten.
Mit der Glaubenswahrheit von Christus als dem universalen Erlöser
will das Buch über den „toten Punkt" hinweghelfen, daß nur die Christen
die notwendige Identität des historischen Jesus mit dem Christus
akzeptieren können. Panikkar will den „theo-historiologischen Anspruch
" des Christentums nicht beseitigen, wohl aber zugunsten einer
„kosmo-the-andrischen Wirklichkeit" des Christus-Mysteriums relativieren
. Dieses Mysterium ist universal, d. h., es zieht alle menschlichen
Wesen gleichermaßen an. In ihm als dem Christus erkennt der
Christ das zentrale Symbol des Lebens und die letzte Wahrheit.

Damit sind, dem dritten Kapitel zum Trotz, „lehrhafte Vergleiche"
zwischen Religionen als ebenso unzulänglich benannt wie Versuche
einer kulturellen Synthese zwischen zwei Religionen. Natürlich ist damit
auch dem traditionellen Missionsverständnis der Boden entzogen,
das meint, den Hindu zum Christentum bekehren zu müssen. Erst
recht will Panikkar nicht den Hindu dazu überreden, Christus als das