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Ausgabe:

1987

Spalte:

638-639

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Schlaudraff, Karl-Heinz

Titel/Untertitel:

"Heil als Geschichte?" 1987

Rezensent:

Schlaudraff, Karl-Heinz

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637

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 8

638

Bemerkenswert erscheint nicht zuletzt die vom Vf. mitgeteilte
Erkenntnis, daß bei der Behandlung konkreter politischer und gesellschaftlicher
Probleme weniger die konfessionelle als die nationale
Zugehörigkeit der Teilnehmer, ihre soziale Herkunft und ihre politische
Einstellung eine Rolle gespielt haben. Das gilt gerade auch für
die vom Deutschen Evangelischen Kirchenausschuß entsandte Delegation
, der bescheinigt wird, vor allem zur Abwehr der den Deutschen
angelasteten alleinigen Kriegsschuld das nationale politische Interesse
vordie eigentlichen Ziele von Life and Work gestellt zu haben.

Vf. hat seiner Darstellung eine Übersicht über die einschlägigen
Archive, die gedruckt vorliegenden Protokolle und das zur Vorbereitung
der Weltkonferenz erschienene Material angefügt. In einem
weiteren, umfangreichen Teil werden die für das Verhältnis des
Luthertums zur frühen Life-and-Work-Bewegung bedeutenden
Dokumente in Originalsprache und in deutscher Übersetzung zugänglich
gemacht.

Das von Söderblom eingebrachte Memorandum zur Vorbereitung
einer Ökumenischen Konferenz trägt dort das Datum vom 2. Oktober
1919, (S. 358), während in der Darstellung dafür der 1. Oktober
angegeben wird (S. 29). Vor allem eine terminologische Präzisierung
würde man sich wünschen, wo es um die beteiligten Kirchengemeinschaften
geht. Verschiedentlich entsteht der Eindruck, als ob die
Stockholmer Konferenz allein eine Angelegenheit der lutherischen
bzw. evangelischen und der orthodoxen Kirchen gewesen sei (vgl.
S. 210, 218, 290 u. ö.). Daß die Anglikaner schon früh wesentlich
daran beteiligt waren und zu den evangelischen Kirchen ebenso auch
die reformierten mit ihrer nicht geringen Bedeutung gehören, wird
dadurch nicht ohne weiteres deutlich. Vf. kann sich für seinen
Sprachgebrauch zwar auf Söderblom berufen; eine Verdeutlichung im
Sinne der heute ökumenisch üblichen Bezeichnungen erschiene mir
jedoch sachgemäß.

Schöneiche b. Berlin Helmut Zcddies

Referate über theologische
Dissertationen in Maschinenschrift

I iipko. Johannes von: Wege der Weisheit. Studien zu Lessings Theologiekritik
. Diss. Tübingen 1985. IV, 376 S.

Mit dem Begriff der Weisheit gibt Lessings Thcologickritik ihr theologisches
Interesse zu erkennen. „Aufklärung in Religionssachen"
bedeutet hier nicht die Verabschiedung des theologischen Denkens
zugunsten einer in sich selbst begründeten kritisch-wissenschaftlichen
Rationalität, sondern eine weisheitliche Kritik, die den Weg theologischer
Wahrheitssuchc an seinem eigenen Ziel, an der „inneren
Wahrheit" der christlichen Religion, Maß nehmen läßt. Im Horizont
der Weisheit bilden Theologickritik und Vernunftkritik eine untrennbare
Einheit. Lessing versucht mit seinen kritischen Beiträgen zur
Theologie ein begreifendes Denken zu fördern, „ein Denken, das dem
Gedachten ebensowenig wie dem Denkenden äußerlich bleibt, sondern
beide Seiten so miteinander vermittelt, daß das Erkennen der
Wahrheit mit dem Wahr-Werden des Subjekts zusammenfällt"
(19).

Demgemäß werden im Anschluß an Teil I, der die Fragestellung
und Methode der Arbeit entfaltet und an Frühschriften Lessings zu
bewähren versucht („Hinführungen zum Problem der Weisheit",
1-85), in Teil II „Wege des Begreifcns" vorgestellt (86-197). An
exemplarisch interpretierten Texten (insbesondere: „Palastparabel",
„Über den Beweis des Geistes und der Kraft l Das Testament
Johannis", „Ernst und Falk" und „Nathan der Weise") läßt sich deutlich
machen, daß Lessings Theologiekritik als Kritik der theologischen
Vernunft primär deren Methoden und Sprachformen betrifft.
Im Blick auf die „innere Wahrheit" der Religion, die als „notwendige
Vernunftswahrheit" begriffen werden will, erweisen sich die von
Lessing bevorzugten dialogischen und parabolischen Sprachformen

als die sachgemäßen Wege theologischen Begreifens. Die in der sokra-
tisch-platonischen Tradition stehenden Formen der „indirekten Mitteilung
" in „Ernst und Falk" sind als Erkenntnismodell zu verstehen,
das zur methodenkritischen Anwendung auf die Theologie herausfordert
. Geheimnis und Erleuchtung als Selbstmitteilung der Idee
bilden eine dialektische Einheit, die ihre theologische Analogie in
dem Spannungsverhältnis von Offenbarung und Vernunft hat.

In Teil III („Wege der ausübenden Vernunft", 198-260) werden
Lessings Spätschriften „Ernst und Falk", „Nathan der Weise" und
„Die Erziehung des Menschengeschlechts" unter dem Gesichtspunkt
der praktischen Vernunft interpretiert. Lessings Ethik ist zu verstehen
als die säkularisierte Gestalt einer am Spannungsverhältnis von
Gesetz und Evangelium orientierten reformatorischen Ethik. Die
Bühnenhandlung ebenso wie die Ringparabel im „Nathan" wollen
ein Ethos vermitteln, das als „Ethos der säkularisierten Gnade" auf
den Begriff zu bringen und von der Kantischen Ethik der unbedingten
Forderung zu unterscheiden ist. In metaphorischer Sprache ist mit der
„geheimen Kraft" des Ringes in der Ringparabel die Rechtfertigungsgewißheit
als Substanz der Religion zu verstehen gegeben. Daß diese
Substanz von ihrem besonderen geschichtlichen Ursprung gelöst und
zur allgemeinen Vorgabe verallgemeinert werden soll, verrät der
Begriff des „neuen ewigen Evangeliums", mit dem Lessing in der
„Erziehung des Menschengeschlechts" das Ziel der Aufklärung und
damit zugleich den theologischen Grund der Humanität bezeichnet.
So sehr Lessing an der Vervollkommnung der Vernunft als eines theoretischen
und praktischen Vermögens interessiert ist, so sehr weiß er
doch auch um die Abhängigkeit der menschlichen Vernunft vom göttlichen
Logos, der Natur und Geschichte durch waltet.

Der Titel „Wege der Weisheit" gewinnt von hier aus einen präzisen
Doppelsinn: Es gilt, den Weg der menschlichen Wahrheitssuche
methodenkritisch so auf den Weg des göttlichen Logos in Natur und
Geschichte zu beziehen, daß dieser sich im Medium der menschlichen
Vernunft als Vermögen zu wahrhaft moralischer Praxis durchsetzt.

Schlaudraff, Karl-Heinz: „Heil als Geschichte"? Zur Cullmann-
Rezeption und Cullmann-Kritik in der neutestamentlichen Wissenschaft
des deutschsprachigen Protestantismus seit 1946. Diss.
Tübingen 1986. 313 S.

In der deutschsprachigen Theologie wird die Rede von „Heilsgeschichte
" vielfach als Ausdruck eines vordergründigen Biblizismus
empfunden, der es noch nicht gelernt hat, über das Geschehen der
Offenbarung, vor allem über das damit verbundene Verstehenspro-
blem, tiefer theologisch nachzudenken. Der vorliegenden Untersuchung
geht es darum zu zeigen, ob bzw. wie heute in der neutestamentlichen
Wissenschaft des deutschsprachigen Protestantismus auf
hermeneutisch reflektierte Weise von „Heilsgeschichte" gesprochen
werden kann. Als Leitfaden dazu bietet sich die Auseinandersetzung
mit Cullmanns Konzeption an, da Cullmann den Versuch macht,
auf dem Boden historisch-kritischen Denkens Heilsgeschichte als die
für die Darstellung der neutestamentlichen Theologie zentrale Kategorie
zu erweisen.

Prägend für Cullmanns Werk wurde seine frühe Hinwendung zu
einer formgeschichtlich-traditionsgeschichtlichen Betrachtung. Sie
konnte ihn auch in späteren Jahren davor bewahren, die Frage nach
der theologischen Relevanz des Historischen unter Umgehung des
neutestamentlichen Kerygmas zu stellen und zu beantworten. So will
Cullmanns heilsgeschichtliche Konzeption formal Schriftauslegung,
material Gcschichtsprophetie sein. Sic ermöglicht es ihm, dem extra
nos des Hcilsgeschehens Geltung zu verschaffen und einen lediglich
an der Heilscrfahrung des Einzelnen orientierten Subjektivismus
abzuwehren. Grundlage ist die christologisch vermittelte Zusammengehörigkeit
von Heilsgeschichte und Eschatologie.

Obwohl Cullmann darum bemüht war, innerhalb der Wortverbindung
Heilsgeschichte nach einer den biblischen Zeugnissen entsprechenden
Bedeutung des Begriffs „Geschichte" zu fragen, liegt sei-