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Ausgabe:

1987

Spalte:

627-628

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Riess, Richard

Titel/Untertitel:

Pfarrer werden? 1987

Rezensent:

Daiber, Karl-Fritz

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Seite 1

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627

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 8

628

wie die des überfordernden Aktivismus, weil alles vom vorlaufenden
Handeln Gottes her gesehen wird. Möllers Lehre vom GA basiert auf
solider reformatorischer Theologie.

Das Kernproblem für weitere Überlegungen scheint mir das Verhältnis
von göttlichem und menschlichem Handeln sowie von Glaube
und Erfahrung im GA zu sein. Die stark hervorgehobene „Gebrochenheit
menschlichen Tuns" muß dialektisch mit der durch Gottes
Geist im Glauben freigesetzten Aktivität verbunden werden. Die
Briefe des Pfarrers aus der DDR empfinde ich überwiegend als
destruktiv, sie sind auch nicht repräsentativ für die Situation in der
DDR. Wenn ein Pfarrer in einer toten Gemeinde keine Besuche
macht und sich dafür selig preist, als Faulenzer betitelt zu werden, so
gehört solche „Faulheit" (die Anführungszeichen helfen hier gar
nicht!) bestimmt nicht zur geistlichen Erneuerung des Pfarrerstandes
(257). Das mit'Gogarten betonte „hörende Hören" kann nach
biblischer und reformatorischer Sicht nicht ohne hörendes Handeln
bleiben. Damit kommt die diakonische Dimension des GAs in den
Blick, die sich auch hinter der Überschrift des Schlußkapitels verbirgt.
Das Sachregister des 2. Bandes wird deshalb sicher das Stichwort
„Diakonie" enthalten. „GA im Kraftfeld der Liebe" ist ein Leitmotiv,
das positive Impulse verschiedener Konzepte und Programme zu integrieren
und unfruchtbare Gegensätze zu überwinden vermag. Ich
danke dem Autor für diesen I.Band und freue mich auf den
zweiten.

Halle (Saale) Eberhard Winkler

Riess, Richard: Pfarrer werden? Zur Motivation von Theologie-
Studenten". Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1986. 252 S.
gr. 8-. DM 32,-.

Die veröffentlichte Abhandlung stellt die Überarbeitung einer
psychologischen Diplomarbeit dar. In einem ersten theoretischen Teil
wird ausführlich der Motivationsbegriff geklärt und werden ausgewählte
Konzepte der Motivationsforschung dargestellt; besondere
Erwägungen gelten dem Motivationsbegriff der Berufspsychologie.
Der empirische Teil geht auf eine im Wintersemester 1981 /82 durchgeführte
Befragung von Theologiestudierenden des ersten Semesters
an der Kirchlichen Hochschule Bethel und den Universitäten
Erlangen, Marburg und Tübingen zurück (insgesamt 160 Befragte).
Kurz zusammengefaßt sind die Ergebnisse folgende:

1. Ein großer Teil der interviewten Theologiestudenten kommt aus
kleinen Orten, aus Dörfern oder der Kleinstadt, nicht aber aus
Großstädten.

2. Die Mehrzahl der befragten Theologiestudierenden kommt aus
einer häuslichen Atmosphäre der Freundlichkeit und Geborgenheit
, aus intakten Familien.

3. Die religiöse Sozialisation der Theologiestudenten ist ausgeprägt
nachweisbar. Dies gilt sowohl für die religiöse Sozialisation in der
Familie wie durch den Konfirmanden- bzw. Religionsunterricht,
bzw. die Jugendarbeit der Kirchengemeinden.

4. Der Entschluß, Theologie zu studieren, reift in einem längeren
Prozeß, insbesondere während der Gymnasialzeit; von hohem Einfluß
sind persönliche Kontakte mit Freunden, aber auch mit Mitarbeitern
der Kirche.

5. Die Theologiestudenten lösen sich nur langsam von Elternhaus
und Heimatgemeinde, jeder vierte Theologiestudent hat die
Tendenz, am Hochschulort ohne Kontakte oder fächerübergreifenden
Anschluß zu leben.

,6. Das Theologiestudium wird offensichtlich nicht zuletzt deshalb
gewählt, weil es den Ausbildungsgang zu einer beruflichen Position
darstellt, in der anderen Menschen geholfen werden kann.
7. Die Beziehung zur Kirche ist positiv, aber auch in hohem Maße
von Belastungen beeinflußt.

Riess weist seiner Arbeit die Funktion einer „Erkundungsstudie"
zu, dies mit vollem Recht. Zum Teil interpretiert er die Ergebnisse
seiner empirischen Befragung durch Überlegungen aus der erweiterten
Theoriediskussion; dies erhöht fraglos den Wert der Überlegungen
.

Leider hat aber die Arbeit doch nun eine Reihe von Mängeln, die
nicht übersehen werden können: Der motivationstheoretische und
der empirische Teil sind kaum zureichend aufeinander bezogen.
Genauer: Die Theorie ist für die empirische Fragestellung nicht ausreichend
fruchtbar gemacht. Darüber hilft auch nicht die Aussage
hinweg: „Die Frage nach der Motivation ist von einer Komplexität,
die sich nicht leicht in lauter kleine Komponenten zerlegen und
erfassen läßt" (216). In der Tat enthüllen die referierten Ergebnisse
auch wenig über die Motivation von Theologiestudenten, sehr viel
eher Sachverhalte, die motivationsfördernd bzw. -hemmend sind.
Geht man davon aus, daß ein Theorieteil die Fragestellungen nach
einer empirischen Untersuchung entwickeln soll, sind die theoretischen
Überlegungen des Buches weitgehend überflüssig. - Die empirische
Erhebung entspricht nicht völlig den anzulegenden Standards.
Dies gilt insbesondere für die Auswertung des Materials. In der Regel
kommt der Vf. mit arithmetischen Mittelwerten und Prozentrechnungen
aus, die Faktorenanalyse verwendet er einmal (1830, an anderer
Stelle, wo sie ebenso sinnvoll gewesen wäre, berichtet er von ihrer
Durchführung, referiert sie aber nicht (194). Diffizilere Verfahren
werden sowieso nicht angewandt. Dies hat beispielsweise zur Folge,
daß im Blick auf die Bewertung einzelner Sozialisationsfaktoren vieles
vage bleibt. Glücklicherweise liegen inzwischen eine ganze Anzahl
von Untersuchungen zur religiösen Sozialisation vor, die klarere Aussagen
ergeben. - Ganz problematisch wird das Verfahren, wenn Riess
Ergebnisse seiner Untersuchung mit anderen Untersuchungen vergleicht
, so etwa mit denen von Andreas Feige (Erwartungen an die
Kirche, Hannover 1982). Er stellt beispielsweise fest, Theologiestudenten
würden sich in ihrer Nähe oder Sympathie zur Kirche von
Gleichaltrigen der Normalbevölkerung nicht unterscheiden (204).
Diese Aussage kommt dadurch zustande, daß er zwei völlig unterschiedliche
Fragestellungen von Feige und aus seiner eigenen Untersuchung
nebeneinander stellt. Feige formuliert folgendermaßen: „Es
ist heute nicht mehr außergewöhnlich, wenn jemand aus der Kirche
austritt. Die Meinungen darüber sind allerdings nicht einheitlich.
Welcher der folgenden Meinungen würden Sie sich am ehesten
anschließen können?" Dann gibt Feige eine Reihe von ausformulierten
Antwortvorgaben vor, etwa: „Für mich käme ein Kirchenaustritt
unter keinen Umständen in Frage:" Oder: „Über Kirchenaustritt
habe ich eigentlich noch nicht nachgedacht, das ist für mich kein
Thema." (Feige, 386) Bei Riess lautet die Vergleichsfrage: „Wie
beurteilen Sie selbst ihr Verhältnis zur Kirche, wie Sie sie zur Zeit
erleben?" Als Antwortmöglichkeit sieht der Fragebogen vor: „Meine
Verbundenheit mit der Kirche ist zur Zeit sehr eng . . . sehr distanziert
". Die Skalierung zwischen diesen beiden Polen erfolgt über die
Ziffern 3,2, 1,0, 1,2, 3. Die Feigesche Fragestellung orientiert sich an
einem konkreten Problem, nämlich dem Kirchenaustritt, die
Riess'sche Fragestellung bleibt unspezifisch allgemein, ist eher emotional
orientiert. Derartig Unterschiedliches kann nun einfach einmal
nicht verglichen werden. Deshalb ist eine Aussage unmöglich, die
folgendermaßen das Ergebnis des Vergleichs formuliert: „Die Vergleichswerte
ergeben - schon für das bloße Auge - den interessanten
Befund, daß sich die Theologiestudenten in ihrer Nähe oder Sympathie
zur Kirche nicht von den Altersgenossen der Normalbevölkerung
unterscheiden." (204) Auch ein weiterer Vergleich zum Thema
„Ansehen des Pfarrerberufes" ist ähnlich problematisch. Aus diesem
Grunde kann man einzelne Ergebnisse von Riess nur mit Vorsicht
genießen.

Eigentlich ist es ja höchst verdienstlich, sich empirisch mit dem
Thema „Studienmotivation von jungen Theologen" zu beschäftigen.
Nur sollten halt doch Theologen, wenn sie sich schon auf empirische
Sozialforschung einlassen, das übliche Niveau nicht unterschreiten.
Dies ist nicht ein Prestigeproblem, sondern das Problem der Verläßlichkeit
der Forschungsergebnisse.

Hannover Karl-Fritz Daiber