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Ausgabe:

1987

Spalte:

625-627

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Konzepte - Programme - Wege 1987

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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625

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 8

626

Autor durchaus den rechten Geschmackssinn hat, in die alten
Schläuche akademischer Methodik gießt, die dieser Sache nicht entspricht
.

Berlin Hanfried Müller

Praktische Theologie: Allgemeines

Möller, Christian: Lehre vom Gemeindeaufbau. 1: Konzepte -
Programme - Wege. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1987.
272 S. 8". Kart. DM 29,80.

Möllers neues Buch ist eine notwendige und hilfreiche Publikation.
Es ist notwendig, das „problematische Programmwort" „Gemeindeaufbau
" zu klären, die damit bezeichneten Konzepte übersichtlich
darzustellen und kritisch zu sichten, und nach Möglichkeit die
Blockaden zu beseitigen, die die oikodome der Gemeinde behindern.
Es ist hilfreich, Konzepte aus Vergangenheit und Gegenwart in ihren
Stärken und Schwächen zu beschreiben, nach ihren Wirkungen zu
fragen und ihre Bedeutung für künftigen Gemeindeaufbau (=GA) zu
erkunden. Für diese notwendigen und hilfreichen Dienste ist Möller
zu danken.

Der vorliegende 1. Band setzt mit Erläuterungen der Begriffe
„Gemeinde" und „GA" ein. Neben begriffsgeschichtlichen Hinweisen
bringt diese Einführung schon Zielangaben. So fordert Möller,
„die einzelne Gemeinde von der Diktatur der Zahlen und Hochrechnungen
zu befreien, um sie zu ihrer eigenen Erfahrung kommen
zu lassen" (22). Empirische Untersuchungen können „Hilfe zur
Erfahrung" sein, dürfen aber nicht zur „Diktatur des Querschnitts"
führen. GA ist nicht „ein Krisenmanagement, das Handlungsanweisungen
ausgibt, wie eine Gemeinde zu höheren Mitglieds-,
Besucher- und Kollektenzahlen kommt" (23), sondern er soll „das
Wahrnehmungsvermögen ... schärfen für Gaben, Menschen, Zusammenhänge
, in denen und mit denen eine Gemeinde lebt".

Die gegenwärtig wirksamen Konzepte teilt Möller ein in solche
zum volkskirchlichen (1. Kap.) und missionarischen GA (2. Kap.). In
ersten Erwägungen zum Begriff und Problem „Volkskirche" wird als
deren Chance ihre Offenheit, als ihr Mangel die Undeutlichkeit
(„Offenes Haus ohne Kontur") genannt. Volkskirchliche Ansätze vermeiden
oft den Begriff „GA", um von „Gemeinwesenarbeit",
„Gemeindeberatung" oder „Gemeindepädagogik" zu sprechen. Die
mit diesen Stichworten verbundenen Programme werden im |. Kap.
erläutert. Das entscheidende Problem eines volkskirchlichen GAs ist
die Frage, wie die verschiedenen Erfahrungen und Erwartungen „von
einer geistlichen Mitte her aufgenommen und integriert werden
können" (55). Dahms „Verbundenheitsmodell Volkskirche" und das
Programm der kon/i liaren Gestalt der Kirche gemäß der EKD-Studie
„Christsein gestalten" werden mit dem Ergebnis vorgestellt, daß die
integrierende Mitte nicht in der notwendigen Weise zu finden ist. Mit
W. Huber betont Möller den Ursprung der konziliaren Gemeinschaft
im Gottesdienst. Damit wird schon hier die zentrale Bedeutung sichtbar
, die Möller dem Gottesdienst für den GA beimißt.

Als Konzepte des missionarischen GAs werden „Mission als Strukturprinzip
", R. Strunks „Vertrauen" (in einem Exkurs) sowie der
missionarisch-evangelistische GA nach Th. Sorg, F. und
Ch. A. Schwarz, M. Seitz und M. Herbst, die Gemeindewachstumsbewegung
nach McGavran und der missionarisch-charismatische GA
als geistliche Gemeindeerneuerung dargestellt. Möller bemüht sich,
die Stärken der Entwürfe zur Geltung zu bringen, spricht aber ebenso
deutlich seine Anfragen aus. Besonders hellhörig ist er gegenüber der
Gefahr, ein „Zweiklassensystem" unter den Getauften zu installieren.
Hier stellt sich allerdings die Frage (z. B. im Blick auf die Kritik an
Seitz und Herbst), ob nicht doch eine Differenzierung der Gemeinde
notwendig ist, die zwar kein Zweiklassensystem ergeben darf, aber der
Tatsache entspricht, daß es Kirchenzugehörigkeit ohne aktiven Glauben
gibt, so daß missionarischer GA notwendig wird.

In seiner Würdigung und Kritik des missionarischen GAs wendet
Möller sich dagegen, von Mängeln auszugehen, weil dann alles auf
Leistungen hinauslaufe, die den Mangel beheben sollen. Das „Erglau-
ben von Kirche" gebe Zuversicht und Gelassenheit. Nicht „die Frage
nach der Grenze, sondern der Blick auf die Mitte" sei für den GA entscheidend
(130). Dieser Devise ist zuzustimmen, und sicher ist es
richtig, die Mitte dort zu finden, „wo Christus in seinem Wort steht",
also in der „Versammlung der Gläubigen", „in der das Evangelium
rein gepredigt und die Sakramente recht verwaltet werden". Die Vertreter
der referierten Programme fühlen sich aber kaum von dem Satz
angesprochen, die Frage nach dem GA werde „zu einem Fluch, wenn
sie den fehlenden Glauben an die Selbstwirksamkeit des Wortes durch
aktivierende Programme zur Leistungssteigerung dynamischer
Gemeinden ersetzen soll" (132). Die Autoren des missionarischen
GAs leugnen ja den Vorrang des göttlichen Handelns nicht. Der dialektische
Zusammenhang göttlichen und menschlichen Tuns im GA
läßt sich mit dem Gegensatz von „Selbstwirksamkeit des Wortes" und
„aktivierenden Programmen" nicht erfassen. „Aktivierende Programme
", die nicht gesetzlich überfordern, sondern dem Wirken des
Wortes Gottes Raum schaffen wollen, möchte Möller gewiß nicht
abwerten. Wer aber dem Gottesdienst zentrale Bedeutung für den GA
zuerkennt, muß angesichts der deprimierenden Gottesdiensterfahrungen
in vielen Gemeinden „aktivierende Programme" suchen, die zwar
nicht „Leistungssteigerung" beabsichtigen (dieser BegrifT ist hier
unangemessen), aber doch dazu beitragen, die theologisch postulierte
Wirkung des Gottesdienstes erfahren zu lassen. „Nun ist in R. wieder
keiner zur Kirche gekommen", zitiert Möller aus dem Brief eines
Pfarrers aus der DDR (132). Wie soll sich das ohne „aktivierende
Programme" ändernd

Die zentrale Bedeutung des Gottesdienstes im weiten Sinn zieht
sich als roter Faden auch durch den 2. Teil: „Wege vom Gottesdienst
zum GA und zurück". Möller schildert in einer instruktiven, klaren
Übersicht die Impulse zum GA von E. Sülze bis E. Lange. Sulzes
Antipoden B. Dörries und G. Hilbert, sein Sympathisant M. Schian,
W. Bülck, F. Gogarten und K. Barth werden mit ihren ekklesiolo-
gischen Entwürfen vorgestellt, die Entstehung des Begriffs „GA" in
der Äußeren Mission bei B. Gutmann erläutert, Impulse der Berneu-
chener und Tillichs aufgenommen und natürlich wird Bonhoeffer
berücksichtigt. Ein Kapitel ist dem GA der Bekennenden Kirche
gewidmet. Der Ertrag des Kirchenkampfes und die Konsequenzen für
den GA auf lutherischer und reformierter Seite sind Inhalt eines weiteren
Kapitels, ehe der „Ruf nach Kirchenreform als Protest gegen die
festgelegte Kirche" besonders bei E. Lange Würdigung findet. Diese
Überschau ist ein Meisterwerk der Darstellung, die ich mit Spannung
und Gewinn gelesen habe. Das bisher kaum bekannte „Trinitatisgespräch
" der Bekennenden Kirche von 1941 sei als Beispiel für die
oft erstaunliche Aktualität historischer Befunde genannt. Vermißt
habe ich einen Hinweis auf die Gemeinschaftsbewegung, doch findet
sie vielleicht im 2. Band ihren Platz.

Das Schlußkapitel bringt einen theologischen Ausblick: „Gemeindeaufbau
im Kraftfeld der Liebe". Möller greift Gogartens Warnung
auf, der „.vernichtenden, schaffenden Tat Gottes' durch Flucht in
Aktivismus" auszuweichen (254). Der „homo faber in mir, der
Gemeinde nach seinen Plänen bauen will", müsse vernichtet werden.
Das „Erleiden von Gottes Aktivität im GA wie im Gemeindeabbau"
soll sich verbinden „mit einer Sensibilität für die Augenblicke, in
denen des Menschen Aktivität gebraucht wird" (257). GA im Kraftfeld
der Liebe heißt, daß die Gemeinde auf ihren Reichtum hin angesehen
wird, der glaubend vorauszusetzen ist. Die Liebe ist der „köstlichere
Weg" als die Programme zum GA, obwohl sie die Not erleiden
muß, „daß sie den Forderungen der Empiriker und Wachstumsstrategen
nach vorweisbaren Erfolgen so wenig zu bieten hat und
scheinbar unterlegen ist" (262).

Noch einmal sei gesagt: Dieses Buch ist notwendig und hilfreich. Es
informiert sachlich und regt durch pointierte Stellungnahmen den
Dialog an. Die Gefahr der Geschichtslosigkeit ist ebenso überwunden