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Ausgabe:

1987

Spalte:

623-625

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Heinrich, Rolf

Titel/Untertitel:

Verheissung des Kreuzes 1987

Rezensent:

Müller, Hanfried

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623

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 8

624

Heinrich, Rolf: Verheißung des Kreuzes. Die Christologie Hans-
Joachim Iwands. München: Kaiser; Mainz: Grünewald 1982.
338 S. 8' = Gesellschaft und Theologie. Fundamentaltheologische
Studien, 4. Kart. DM 48,-.

Der Titel des Buches, obgleich im tieferen Sinne sachgerecht,
täuscht. Nicht die Christologie im herkömmlichen Sinne des Wortes,
sondern die Theologie Hans-Joachim Iwands insgesamt ist sein
Gegenstand. Im tieferen Sinne sachgerecht nenne ich trotzdem das
Thema, weil Iwands ganze Theologie Christologie ist, täuschend
jedoch darum, weil die Einzelprobleme weit über den konventionellen
Rahmen der Christologie hinausgreifen: Im 1. Teil behandelt der
Autor unter der Überschrift „Der Problemhorizont der Christologie"
Iwands Interesse am deutschen Idealismus, insbesondere die Frage
„Glauben und Wissen", und dann den „systematischen Hintergrund
der Lutherdarstellung Iwands", konkreter: „Luthers negative Rechtfertigungslehre
als Ergebnis der Christologie". Auf das nun wirklich
christologische Zentralstück im engeren Sinne des Wortes (im 2. Teil:
„Christologie als Simultantheorie der Promissio Crucis. Kreuz in Verheißung
, Verheißung im Kreuz") folgt (3. Hauptteil) die „promissio-
rische Rechtfertigungslehre als Ergebnis der Christologie".

Vf. zitiert einführend Walter Kreck über Iwand: „Bei allem Reichtum
seines Wissens verkörpert er so gar nicht den Typ eines akademischen
Gelehrten, der behutsam Stein auf Stein seines literarischen
Lebenswerks schichtet. Bei aller Originalität seines Denkens hat er
keine Schule begründet. Die Differenziertheit seines wissenschaftlichtheologischen
Fragens hinderte ihn nicht, leidenschaftlich Anteil an
den großen Kämpfen in Kirche und Welt zu nehmen und entschlossen
Stellung zu beziehen." (11) Eben das macht Schwierigkeit und Reiz
einer Iwandmonographie aus - und beides ist dem vorliegenden Buch
abzuspüren. Es betritt jungfräulichen Boden; der Umfang der „Sekundärliteratur
" zu Iwand ist bislang gering, die Fülle verstreuter
Quellen, vieles unveröffentlicht und viel Veröffentlichtes mehr an
unzugänglicher Stelle verborgen als publik, schwer überschaubar.
Und-außer den von Iwand kontinuierlich selbst publizierten Studien
zur Theologie Luthers - zeigt sein Werk wenig vordergründige systematische
Ordnung: ähnlich dem Werk Luthers selbst, dem immer
wieder Iwands kongeniales Interesse galt. Ebenso kommt Iwands
„Dogmatik" immer dort als umfassender Quell, aber gerade nicht
didaktisch-reflektiert zum Ausdruck, wo Iwand ihrer bedarf, um
konkret in das kirchlich-gesellschaftliche Geschehen seiner Zeit - als
homo theologicus, ecclesiasticus und politicus - einzugreifen. In der
Tat hat er dabei keine „Schule" gebildet, aber ein die Kirche heute
reformatorisch-kritisch begleitendes Denken geprägt, wie es seinen
epochal wesentlichen Ausdruck im Bruderratswort „Zum politischen
Weg unseres Volkes" in Darmstadt 1947 gefunden hat.

Vf. hat die Interdependenz aller Iwandschen Gedanken richtig
erfaßt, hat bemerkt, daß eine zu weitgehende Systematisierung dieser
lebendigen theologischen Denkbewegung die Glut in Schlacke verwandeln
würde und versucht, das zu respektieren - allerdings um den
Preis, daß er sich zuweilen im Weiterdenken der Prämissen Iwand-
scher Erwägungen in uferlose Weite verliert. Das findet seinen Ausdruck
in so mancherlei Exkursen, in denen sich auf einmal Positionen
, auf die Iwand sich anknüpfend oder polemisch bezieht, unter der
Hand verselbständigen.

Zuerst jedoch sei hervorgehoben, inwiefern m. E. Vf. seinem
Gegenstand gerecht geworden ist. Er hat - und ich setze das, weil nicht
selbstverständlich, an die Spitze - niemals aus dem Auge verloren,
daß für Iwand theologische Existenz umfassende Existenz eines Menschen
als Theologe war, sich also nicht in akademischen Reflexionen
erschöpfte, sondern in der Realität von Kirche und Gesellschaft ihren
Ausdruck fand, dies jedoch so, daß dabei gerade nicht das „Leben"
zum Dirigenten der „Lehre" wurde, sondern das theoretische Interesse
in der Verantwortung für die Geschichte erst ganz wach wurde, so
daß bei Iwand immer ein - alle Schematisierungen unmöglich
machender - Überhang blieb: ein Überhang der Wirklichkeit selbst

gegenüber dem denkenden Erfassen der Wirklichkeit und ein Überhang
der alle Wirklichkeit setzenden und richtenden Wahrheit Gottes
gegenüber der Wirklichkeit selbst, den auch der Glaube nur so
erfassen kann, daß das Wort dem Glauben immer voraus und überlegen
bleibt.

Vf. hat mit Recht die beiden Denkbezüge Iwands, die, weit mehr als
Forschungsgegenstände, die Bestimmung seines Lebens waren, aufgenommen
: die Beziehung zu Luthers Theologie und die Beziehung
auf den Deutschen Idealismus. Er läßt auch die Beziehung beider
Bezugspunkte bei Iwand sichtbar werden: Luthers Theologie ist für
Iwand Anstoß und Anleitung zur Auseinandersetzung als Theologe
mit der gesellschaftlichen und geistigen Wirklichkeit seiner Zeit, die er
als Frucht und Depravierung der Geschichte des Anfanges des 19. Jh.
erlebte.

Fragen könnte man, ob ein Grundzug Iwandscher Theologie
genügend zum Tragen gekommen ist, der sich weder von Luther noch
vom Deutschen Idealismus aus so darstellen läßt, wie er Iwand
bewegte: die Bestimmung von der Auferstehung Jesu Christi her. Das
war der Iwand, der Irenäus eigenartig positiv beurteilte, der den überraschend
offenen Zugang zur Ostkirche hatte, der für Dostojewski
schwärmen konnte - und der dennoch methodisch via theologiae
crucis zum testimonium resurrectionis kam und niemals aus der Hoffnung
der A uferstehung der Toten eine theologia gloriae ableitete.

Letztlich hat Vf. ein Proprium nicht unterdrückt, das Iwand für
linke Heterodoxie und rechten Klerikalismus gleichermaßen anstößig
macht. Er zeigt Iwand als einen reformatorischen Theologen, der in
einer „links" als schrecklich „orthodox" empfundenen Weise von der
altkirchlichen Trinitätslehre und Christologie und der evangelischen
Lehre von der Rechtfertigung der Gottlosen her etwas von der Versöhnung
der „einen Menschheit" in Jesus Christus weiß und damit
gegen alle pfäffische Bigotterie die Tore der Kirche öffnet zum Zeugnis
für die Welt gerade auch in der Kooperation mit solchen, die nicht
„Herr, Herr" sagen, aber durch die Gott seine Gerechtigkeit auf Erden
durchsetzt. So zitiert Heinrich schon ganz am Anfang sehr grundlegend
Iwand: „Wir müssen uns daran gewöhnen, daß es viel schöner
ist, mit Menschen, die nicht an Gott glauben und doch Tür den Frieden
arbeiten, in einer Linie zu stehen, als mit denen, die vorgeben, mit den
Waffen das .Reich Gottes' zu schützen" (24).

Trotz all dieses guten Verständnisses für Iwand und dieses sachgemäßen
Herangehens an die Aufgabe ist man, je länger man in der
Arbeit liest, ein wenig enttäuscht. Die Aufgabe, die Vf. darin beschrieben
hatte, es sollen „nachdenkend die theologischen Ansätze Iwands
wiederholt werden und durch sie hindurch zugleich der einheitliche
systematische Ansatz deutlich werden", erscheint nicht völlig gelöst.
Das liegt gewiß daran, daß - wie Vf. richtig sagt - „über Iwand keine
Arbeit im gewohnten Sinne geschrieben werden kann, in der -
distanziert reflektierend - Iwands Theologie in der Definition
von Begriffen zusammengefaßt erscheint". Eben zu solcher „Arbeit
im gewohnten Sinne" hat-sich der Vf. jedoch leider zwingen lassen.
Darüber gibt er im ersten Satz seines Vorworts erfreulich offen selbstkritisch
Auskunft: „Vor acht Jahren habe ich diese Iwand-Arbeit als
Dissertation geschrieben, in einer Sprache und in einem Stil, wie er
von Dissertationen erwartet wird; zumindest glaubte ich damals, so
schreiben zu müssen, um meine .wissenschaftliche Befähigung' unter
Beweis zu stellen". Treffender als der Autor damit sein eigenes Werk
kann auch der Rez. das Buch nicht kritisieren. Das Verständnis des
Autors für Iwand kann den Leser - außer in den einleitenden
Abschnitten - darum für dies Verständnis nur gehemmt gewinnen,
weil sich der Vf. durch eine leidige, speziell deutsche akademische
Tradition immer wieder in eine reflektierende Distanz zu seinem
Gegenstand gedrängt sieht, die die Iwand so typisch charakterisierende
parteiliche Wendung ad hominem durchbricht.

Es wäre zu hoffen, daß Heinrich doch Zeit findet, noch einmal ganz
„ungelehrt" die „Sache" aufzuschreiben, um die es ihm wie Iwand in
seiner Arbeit geht, unbelastet von den Zwängen einer „Belegarbeit",
die leider zu sehr den neuen Wein Iwandscher Theologie, für den der