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Ausgabe:

1987

Spalte:

621-622

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hanson, Anthony Tyrrell

Titel/Untertitel:

The image of the invisible God 1987

Rezensent:

Barth, Hans-Martin

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 8

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zu springen als folgerecht fortzuschreiten; wuchernde Anmerkungen
beeinträchtigen nicht selten die Lesbarkeit des demgegenüber bisweilen
allzu knappen Textes; neue Begriffe werden nicht eingeführt;
eine doch immerhin weitreichende Entscheidung wie die Beschränkung
auf das „teleologische Argument" wird nicht begründet. Daß der
Autor, über dessen Person man zur besseren Orientierung auch gern
einiges erfahren hätte, dadurch die „Chancen der natürlichen Theologie
" vergrößert hätte, darf füglich bezweifelt werden. Dies gilt zumal
insofern, als man die Aussichten eines Unternehmens, will sagen der
natürlichen Theologie, wohl nur dann zu ermessen vermag, wenn
man es stärkster Gegnerschaft aussetzt.

Gerichshain Wolfgang Pfuller

Systematische Theologie: Dogmatik

Hanson, Anthony Tyrrell: The Image of the Invisible God. London:
SCM Press 1982. VI, 186 S. 8*. Kart. £ 6.50.

Die Aussage des Buches wird durch den Titel nicht zureichend
erfaßt. Als besonders irreführend muß sich zudem die Titelvignette
erweisen - ein auf dem Thron sitzender bärtiger Gott-Vater, dessen
Haupt von einem viclstrahligen Heiligenschein umgeben ist und der
ein großes, seine ganze Gestalt umfassendes geometrisches Trinitäts-
symbol in Händen hält. Was Hanson vorschwebt, ist eine eigene
„Rekonstruktion der Christologie" (98), welche die Schwierigkeiten
des Gedankens der „hypostatischen Union" umgeht. Hätte es ohne
das Johannesevangelium zu den Formulierungen von Chalcedon
überhaupt kommen können? Nach Hansons Überzeugung kaum (vgl.
2,3). Der Autor, Professor an der Universität von Hull, gibt zunächst
einen Überblick über den Diskussionsstand, den er durch vier Ansätze
gekennzeichnet sieht: (I) eine „anti-metaphysische Schule", der er
Moltmann. Sobrino und Käsemann zuordnet, (2) durch römischkatholische
Interpretatoren des Chalcedonense, nämlich Walter
Kasper, Karl Rahner und Schillebeeckx - Autoren, deren Distanz zu
Chalcedon trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht zu übersehen sei, (3)
durch Bryan Hebblethwaite, einen modernen Verteidiger des Chalcedonense
, der dessen Aporien jedoch nicht entgehe, und schließlich (4)
eine „alternative Christologie, die auf Metaphysik nicht verzichtet"
(20ff)- repräsentiert durch D. M. Baillie, W. N. Pittenger und den Vf.
selbst. Das zweite Kapitel erhebt die traditionelle Lehre von der Auferstehung
Christi, die freilich konzentriert wird auf die Frage nach
dem Verbleib des Leibes Christi nach der Himmelfahrt. Die beiden
Antwortmodellc - Aufnahme der Menschheit Christi zur Rechten
Gottes (z. B, Tertullian) oder Spiritualisierung des Leibes Christi (z. B.
Origenes)- werden durch die gesamte Theologiegeschichte hindurch
verfolgt, von den altkirchlichen Vätern über Thomas von Aquin und
die Reformatoren bis in das 20. Jh. hinein. Hanson kommt zu dem
Ergebnis, daß J«sus „von den Toten erweckt wurde durch die Kraft
Gottes und so seinen Jüngern erschien, um sie davon zu überzeugen,
daß er erstanden war und daß er mit Gott lebte in der Dimension des
Geistes" (55). Was mit dem Leib Christi geschah, bleibt offen - er
„verschwand" (56). Sein Schicksal interessiert uns ebensowenig, wie
einen Christen das Geschick des eigenen Leibes nach dem Tod interessieren
sollte. Wie ist aber dann die Beziehung zwischen dem Auferstandenen
und dem Glaubenden zu verstehen? Vlanson denkt an das
Modell der „Post-Existenz" Christi, das in Analogie zum pauli-
nischen Präcxistcnz-Gcdanken entworfen wird. Das dritte Kapitel
diskutiert deshalb in Auseinandersetzung mit J. D. G. Dunn zunächst
die paulinischen Präcxistenz-Vorstellungen, die nach Hanson zwar
nicht als christologisches Denkmodell gewertet, aber als nützliche
Analogie dafür verstanden werden dürfen, wie wir die „Post-Existenz
Jesu ausdrücken können, d. h., seine Beziehung zu Gott und zu uns
seit der Auferstehung" (57). Der Präcxistenz-Gedanke entstand nach
Hanson als ein Versuch, die Funktion Jesu „im Licht sämtlicher
Handlungsweisen Gottes mit seinem Volk" zu verstehen (86). Im

fünften Kapitel versucht^Hanson, auf etwaige Einwände einzugehen,
insbesondere auf die Anfrage, ob er nicht doch letztlich nestorianisch
denke. Im sechsten Kapitel bekennt er sich im Blick auf die Redevon
Gott zu einem Anthropomorphismus, der nicht primitiv ist, sondern
sich an alttestamentlichen Aussagen wie Hos 11 oder Jes 42 und 43
orientiert. Das siebte Kapitel nimmt schließlich unter der Frage der
„himmlischen Fürsprache" das Problem des „priesterlichen Amtes
Christi" auf.

Hanson polemisiert gegen das Verständnis Jesu als des „Sohns", das
seiner Meinung nach das Mißverständnis ontischer Identifikation
nahelegt und für das er im Wesentlichen das Johannes-Evangelium
verantwortlich macht. Er bietet dagegen das alttestamentliche Denken
auf: Für das Verständnis der Gegenwart Gottes im historischen
Jesus sei eher an die Analogie mit Hosea oder Jeremia zu denken als
an die mit Krishna oder Dionysos (15). Jesus war der schlechthin
Gehorsame, er war „gänzlich erfüllt ('indwelt') von dem Wort
Gottes" (95). Die gottesdienstliche Verehrung der Christen gelte daher
nicht Jesus, sondern „Gott-in-Christus" (98). „Gott das Wort ist nun
auf den Glaubenden bezogen in der Form oder Gestalt Jesu Christi"
(ebd). Gottes Präsenz in Christus sei daher zu denken in Analogie
dazu, wie Gott in den Heiligen anwesend ist (136). Es handle sich
somit in der Tat um eine „Beziehung der Einwohnung" und nicht um
eine personale oder gar physische Identifikation. Das priesterliche
Handeln Christi bestehe im wesentlichen darin, daß er allein „ein
Gott gänzlich gehorsames Leben zeigte" (160).

Das Buch versteht sich als ein Beispiel des „fides quaerens intellec-
tum" (163); in umständlichen Abhandlungen und literarischen Auseinandersetzungen
versucht der Vf., seiner These den Weg zu bahnen.
Er greift wiederholt auf Ausführungen seines Buches über "Grace and
Truth" (London 1975) zurück. Schwer ist seine Methode einzuordnen
; gelegentlich gibt er seine Sympathie für das analytische
Denken zu erkennen; auf Metaphysik will er auf keinen Fall verzichten
(5). Die Väter-Tradition wird eingeführt, ohne daß ihr
Gewicht für die Argumentation näher bestimmt wird. Die neu-
testamentlichen Erörterungen sind eher systematisch-theologisch als
exegetisch angelegt. Welche theologischen Kriterien gelten sollen,
kann man allenfalls ahnen: Hanson kommt zu dem Ergebnis, seine
These habe ja „eine respektable Ahnenreihe in der Antiochenischen
Tradition", und es handle sich nach seiner Auffassung um eine
Beziehung zwischen Gott und Mensch, „die wir kennen in unserer
eigenen Erfahrung" (114). Wenig Verständnis bringt er den Anliegen
seiner theologischen Gegner, den Alexandrinern oder auch den Verteidigern
des Chalcedonense, entgegen. Inkarnation ist für ihn im
wesentlichen Selbsterschließung „Gottes des Wortes", der sich nun
einmal dazu entschieden habe, sich auf diese Weise zu offenbaren;
dies hat natürlich Auswirkungen auf das Verständnis der Eucharistie
(vgl. 106f)- Das soteriologische Pathos des alexandrinischen bzw.
chalcedonensischen Lagers, das auf der Erlösung von Fleisch und Blut
des Menschen durch Inkarnation bestand, ist Hanson unverständlich.
Er dürfte daher auch keine Möglichkeiten haben, seine Christologie in
die kosmische Dimension hinein zu entfalten; schon der Bereich des
Politischen bleibt außer Sichtweite. Hanson hat über die christolo-
gische Alternative zwischen Alexandrien und Antiochien nicht hinausgeführt
, sondern sich schlicht auf eine Seite geschlagen. Vielleicht
liegt die Richtung zu einer Lösung aber doch eher bei den Ansätzen
von Theologen, mit denen Hanson hart ins Gericht geht: Moltmanns
Buch über den „Gekreuzigten Gott" sei „voll von Rhetorik"*(5),
Käsemanns Christologie sei gekennzeichnet durch „eine Art fidei-
stischen Irrationalismus", eine „Kombination aus lutherischem
Fideismus und marxistischem Pragmatismus" (7). Ich kann nicht
finden, daß Hansons eigener Denkvorschlag von jener "perfect intelli-
gibility" geprägt wäre, die er selbst ihm bescheinigt (98). Verborgen
bleibt dem Leser freilich nicht das angestrengte Ringen um einen Weg,
der unter heutigen Denkbedingungen über die Formel von Chalcedon
endlich hinausführen könnte.

Marburg (Lahn) Hans-Martin Barth