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Ausgabe:

1987

Spalte:

619-621

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Vörckel, Karl

Titel/Untertitel:

Chancen der natürlichen Theologie 1987

Rezensent:

Pfüller, Wolfgang

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619

Theologische Literaturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. 8

620

Autor dadurch die Möglichkeit eröffnet, ihm selbst schließlich in
einer Praxissituation zu begegnen. Die Einladung zu „Achtung und
Lust" (im Sinne von Pslll,2 in Luthers Übersetzung) wird er
befolgen können, und er wird sich dadurch zugleich aufgefordert
sehen, das vorher Gelesene auf der Ebene der eigenen Erfahrung (vgl.
S. 374) nochmals zu überdenken.

Im Rückblick stellt sich das Buch von Eilert Herms vor allem als
Dokumentation einer ungewöhnlich intensiven Übersetzungsleisiung
dar, durch die Begriffe und Methoden der theologischen und kirchlichen
Tradition mit den Denkformen und Arbeitsweisen der Zeitgenossen
und der zeitgenössischen Wissenschaft in neuer Weise
kommunikabel und in den Aufgabenbereichen kirchlicher Arbeit
angesichts neuer gesellschaftlicher Realitäten praktikabel gemacht
werden sollen. Die Aufgeschlossenheit für Erfahrung einerseits, für
onlologische Aspekte innerhalb der berührten Problemstellungen
andererseits, verleiht seinem Vorgehen Weite und Tiefe zugleich.
Wichtig ist bei allen Erörterungen, daß die Beziehungen zwischen
dogmatischer Grundfrage und pastoraler Praxis (und umgekehrt)
immer wieder ganz ausgelotet werden, so daß einseitiger theologischer
Pragmatismus ebenso vermieden ist wie jede Art von Fundamentalismus
; so darf das Buch als ein Beitrag zur Einheit der Theologie
betrachtet werden. Kritisch wird man vielleicht fragen dürfen, ob die
Übersetzungsarbeit des Vf. überall schon bis zur letzten Klarheit
gelangt ist. Das betrifft etwa, um nur zwei Beispiele zu erwähnen,'
schon den Begriff der Kompetenz selbst, der mir in der differenzierteren
Auffassung, in der er bei Chomsky begegnet (s. o.), praktibler und
dem neutestamentlichen Exousia-Gedanken näher zu entsprechen
scheint als in der Neufassung durch Herms; und wenn der „biblischchristliche
Schöpfungsgedanke" als „Integral und Differential von
Gottes- und Weltbegriff" bezeichnet wird (S. 42), so hätte man diese
Metapher lieber etwas präziser aufgeschlüsselt. - Fragen zu wecken
liegt im Wesen und sicher auch in der Absicht eines solchen Buches,
das neue Wege sucht und exemplarisch abschreitet. Aber beides, die
Antworten, die geboten werden, und die Fragen, die sich neu erheben,
bedeuten für den Leser einen Gewinn an Deutlichkeit.

Halle (Saale)/Leipzig Norbert Müller

Vörckel, Karl: Chancen der natürlichen Theologie. Fernwald: Verlag
litblockin 1985.287 S. 8 Kart. DM 31,-.

Es sei besser gleich zu Anfang gesagt: Dem Rez. ist es schwer
geworden, sich im vorliegenden Buch zu orientieren und d. h. nicht
zuletzt: die „Chancen der natürlichen Theologie" zu entdecken.
Dabei läßt die Problemstellung an Klarheit kaum etwas zu wünschen
übrig. „Wir fordern eine theoretische Bewahrheitung der Glaubenslehre
ak allgemeine Vorbereitung zur Antwort auf die Glaubensanfechtungen
, mit denen heute zu rechnen ist." (9) Zu diesem Zweck
soll das Potential der klassischen natürlichen Theologie erneut
erprobt werden. Wie das bündig formulierte „Untersuchungsprogramm
" (22) ausweist, geht es näherhin um das „teleologische
Argument". Die Fragestellung richtet sich mithin darauf, ob „Naturwirkungen
so auffällig auf vorgegebene Ziele bezogen sind, daß die
Deutung der Natur als Handlungswirkung (sc. Gottes) überzeugt"
(167).

Berücksichtigt man die praktische Intention der Untersuchung, den
Glaubenden in ihren Anfechtungen wirksam aufzuhelfen, so mag man
nach alledem in etwa orientiert sein hinsichtlich dessen, wessen man
gewärtig zu sein hat. Dementsprechend sieht man sich im ersten Teil
„Die Natur als Spur und Wunder" (23-121) gewissermaßen auf die
Spur gesetzt. Von antiker Mythologie und Weisheit über den teleologischen
Gottesbeweis bei Thomas v. Aquin, die Physikotheologie der
Aufklärung, den Zweckbegriff in Kants „Kritik der Urteilskraft"
(nicht also die Auseinandersetzung mit dem teleologischen Gottesbeweis
in der „Kritik der reinen Vernunft"!) bis hin zur neuscholastischen
Apologetik mit ihrer Betonung der „Möglichkeit

besonderer Erfahrungen" („Wunder") wird die Fährte aufgenommen.
Die Metapher der Spur dient als Leitfaden; auf die Glaubenspraxis
bezogene Ansätze (Lehrgedichte der Aufklärungstheologie, J. Kleut-
gen als ausgezeichneter Vertreter der Neuscholastik) werden hervorgehoben
. So weit, so gut. Indessen fragt man sich bereits an dieser
Stelle, ob der Vf. sich derart ungebrochen in die katholische Tradition
einstellen zu können meint, daß er die zum Teil energischen Bestreitungen
der Chancen oder gar bereits der Legitimität der natürlichen
Theologie von seilen der evangelischen Theologie für unerheblich zu
halten sich berechtigt sieht. Derlei der Tradition der natürlichen
Theologie kritisch gegenüberstehende Stimmen kommen jedenfalls
nirgends zu Wort.

Der Eindruck einseitiger Problembehandlung verstärkt sich im
Blick auf den zweiten Teil „Kritik des .Anthropomorphismus'"
(122-170), in dem laut „Untersuchungsprogramm" die Theologie
mit der Wissenschaft verglichen werden soll „hinsichtlich der Fähigkeit
, die eigenen Wahrheitseinsichten zur Geltung zu bringen" (22).
Zur Disposition wird lediglich eine „reduktionistische" Wissenschaftstheorie
gestellt (besonders E. Nagel), die mit der Reduktion
wissenschaftlicher auf das Muster physikalischer Erklärungen nicht
zuletzt den Zweckbegriff kausal unterfangen will und darüber hinaus
auch noch einen Ausschließlichkeitsanspruch solcher Wissenschaft
auf gültige Erkenntnis erhebt. Daß der Vf. derlei Ansprüche zurückweist
und demgegenüber den Zweckbegriff gerade mit Blick auf die
nicht reduzierbare Biologie verteidigt, wird man ihm gerne zugestehen
. Nur wird man sich sogleich darüber im klaren sein, daß es andere
wissenschaftstheoretische Ansätze gibt, hinsichtlich derer ein Vergleich
der Bewahrheitungsfähigkeit von Theologie und Wissenschaft
für die Theologie weit schwieriger, aber doch wohl auch ergiebiger
sein dürfte.

Im dritten Teil „Der Zweckbegrift"als Entscheidungshilfe" (171 bis
223) tritt der Vf. in eine intensive, durchaus interessante Auseinandersetzung
mit der Systemtheorie N. Luhmanns ein. Von besonderem
Interesse sind natürlich Luhmanns Zweckbegrift", sodann sein Konzept
der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft, besonders der
Funktionalität der Religion - und dies nicht zuletzt in der evolutionären
Perspektive der kommenden Weltgesellschaft. Freilich, weder die
frühzeitige, klärende Auseinandersetzung Habermas' noch die theologische
Auseinandersetzung (etwa T. Rendtorff) mit Luhmann werden
auch nur erwähnt.

Für den letzten Teil „Strategische Vernunft und Glaube"
(224-263) kündigt der Vf. die Zusammenfassung der Ergebnisse an
„mit dem Ziel, Vorschläge für erfolgversprechend in der kirchlichen
Verkündigung verwendbare Argumente in der Tradition der klassischen
natürlichen Theologie zu erarbeiten" (22). Eine übersichtliche
Zusammenfassung, die dem Buch wahrhaft gutgetan hätte, vermochte
der Rez. indes nicht zu entdecken - am ehesten werden 224-229
einige Gedanken lose resümiert. Hingegen werden mit den Begriffen
des Lernens und der - als erstrangige Lernleistung verstandenen -
Nachahmung gegen Ende noch zwei neue Begriffe eingeführt, von
denen Rez. wiederum nicht zu sagen vermag, inwiefern sie dem
genannten Ziel, „Vorschläge ... zu erarbeiten", dienlich sein sollen.
Daß übrigens der Glaube angesichts einer auf Sicherheit und Stabilisierung
abgezielten strategischen Vernunft sich sehr wohl eine
Position bewahren kann, hat der Vf. sicher zu Recht herausgestellt.
Gleichwohl scheint hier der Fall ähnlich dem gelegentlich der Auseinandersetzung
mit der Wissenschaftstheorie: man kann sich eine
beträchtlich stärkere Gegnerschaft des Glaubens vorstellen.

Die Bemerkungen zum Abschluß des Buches (265-278: Literaturverzeichnis
) führen zum Anfang dieser Rezension zurück. Um es
pointiert zu sagen: Der Rez. kann sich des Eindrucks nicht erwehren,
wonach das vorliegende Buch sehr einem Kaleidoskop ähnelt, in
dessen bunter Vielfalt sich gewiß manches Interessante, auch fachwissenschaftlich
Kundige findet, das jedoch der Überschaubarkeit wie
Durchschaubarkeit allzu oft sich entzieht. Dem Argumentationsgang
mangelt es an Durchsichtigkeit; der Gedanke scheint des öfteren eher