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Ausgabe:

1987

Spalte:

616-619

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Herms, Eilert

Titel/Untertitel:

Theorie für die Praxis - Beiträge zur Theologie 1987

Rezensent:

Müller, Norbert

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Seite 1, Seite 2, Seite 3

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 8

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Erscheinen des Bandes im Alter von 78 Jahren gestorben ist. Der
Leser verbindet mit der Freude über den Text das dankbare Erinnern
an diese ungewöhnliche, in christlicher Theorie und Praxis gleichermaßen
engagierte Frau. Die Ausgabe ist gut lesbar und enthält einen
erfreulich knappen Belegapparat, bei dem die ausführliche, von
G. Sauter geleistete Arbeit der Nachweise zur „Christlichen Dogma-
tik im Entwurf vorausgesetzt werden konnte. Man muß nun vor
allem hoffen, daß die nächsten Bände des „Unterrichts"'auch nach
dem Tode von Hannelotte Reiffen bald erscheinen werden. Wer
diesen Band kennt, wartet gespannt auf die noch ausstehenden drei
Bände.

Die Ausgabe der ersten Fassung von Barths „Römerbrief' bietet
naturgemäß nicht so viel Neues. Neu war der Text, als er 1919 in Bern
erschien und dann nach dem Weltkrieg vor allem in Deutschland verschlungen
wurde. Da Barth diese Fassung nach wenigen Jahren durch
eine völlig neugearbeitete ersetzt hat, ist sie zu einem historischen
Dokument herabgesunken, das zudem kaum zugänglich war. Ein von
Barth 1963 genehmigter und mit einem Vorwort versehener Nachdruck
war auch wieder bald vergriffen, so daß das jetzige Erscheinen
diese früheste größere Veröffentlichung Barths endlich dauerhaft für
das Studium zugänglich macht. Man möchte wünschen, daß es nicht
nur ein historisches Studium sein wird, denn das Buch, das Barth bald
(wie er am 27. 10. 1920 an Thurneysen schrieb) „schloddrig', überladen
, schwammig" vorkam, zu Mißverständnissen und Irrtümern
Anlaß gebend, zu sehr „auf Hurra! gestimmt", das ihm vor allem
sachlich zu sehr „osiandrisch" war (so öfter), ist nun doch gehaltvoll
und aufrüttelnd genug, um als eigener Wurf und nicht nur als Vorläufer
zu späteren Taten gewürdigt zu werden. Das hatten auch bald
nach Barths Tod eine Reihe interessierter, sog. unruhiger Studenten
gemeint, die deshalb auf eigene Faust einen Nachdruck veranstalteten
, zu dem F.-W. Marquardt das Vorwort geschrieben hat. Doch das
Buch ist nicht nur wegen seines Verhältnisses zum religiösen Sozialismus
wichtig, sondern grundsätzlicher, weil es den ersten Versuch
einer Überwindung der liberalen Theologie darstellt, nicht zuletzt
wegen seiner Zugangsweise zur Bibel, und dies durchaus nicht in
Abkehr von der Moderne, sondern in bewußter Zeitgenossenschaft.

Wozu Barth bewußter und aktiver Zeitgenosse war, das wird in den
Anmerkungen der Neuausgabe lehrreich vermerkt. Auch die Bezüge
auf die zeitgenössische Theologie werden, soweit sie sich direkt
bemerkbar machen, belegt. Es ist klar, daß dazu manches nur vermutet
werden kann und anderes gar nicht als „Beleg" zu erscheinen
vermag, weil kein direkter begrifflicher Rückgriff Barths stattfindet,
sondern eine verborgene Auseinandersetzung, die nur in einer eingehenden
Analyse erhellt werden kann. Der Hg. Hermann Schmidt
hat zu Recht den Anmerkungsapparat in Grenzen gehalten und
künftigen theologiegeschichtlichen Untersuchungen und Verglei-
chungen nicht vorgreifen wollen. Er hat aber doch viele aufschlußreiche
Verweise anbringen können, die manches in klarerem Licht
erscheinen lassen, und für deren mühevolle Erhebung die Benutzer
ihm Dank wissen werden.

Am aufregendsten aber ist der Anhang, der eine Fundgrube von
bisher Unerschlossenem darstellt. Zunächst werden alle Entwürfe
zum Vorwort abgedruckt, und sie zeigen, daß Barth schon zur
1. Fassung des Römerbriefes eine Standortbestimmung gegenüber der
historisch-kritischen Exegese geplant hatte, die dann erst im großen
Vorwort zur 2. Fassung vollzogen worden ist. Die damals liegengelassenen
Entwürfe zum Vorwort der 1. Fassung lesen sich wie Vorarbeiten
zu dem der 2. Fassung - mit z. T. unvergleichlichen Formulierungen
. Des weiteren bringt der Anhang einen Bericht über Barths
Vorgehensweise bei der Entstehung des 1. Rom, der möglich geworden
ist, weil Barths Hefte aus der ganzen Zeit seiner zweijährigen
Arbeit daran erhalten sind. Das ist, wie Schmidt zu Recht sagt, „ein
Glücksfall der Theologiegeschichte" (S. 603), für die Erkenntnis des
Werdens von Barths Theologie unschätzbar. Ich denke etwa an Barths
Arbeit an der Adam-Christus-Typologie Rom 5. Schließlich wird
noch Barths persönliche briefliche Beantwortung der Rezension des

1. Rom du'rch Paul Wernle vom Oktober 1919 abgedruckt. Auch das
ist ein erhellendes, für Barths theologisches Denken ebenso wie für
seine menschliche Art bezeichnendes. Schriftstück, für dessen Veröffentlichung
man nur dankbar sein kann. Es ist nur schade, daß der
8 Monate jüngere Antwortbrief an Jülicher (auf dessen Rezension hin)
nicht auch hier Aufnahme gefunden hat. Vielleicht standen dem
urheberrechtliche Probleme im Wege. Jedenfalls müssen diese beiden
Briefe Barths immer mitbedacht werden, wenn das bis heute nicht
geklärte oder gar befriedete Spannungsverhältnis zwischen dem Bibeltheologen
Barth und der historisch-kritischen Exegese bedacht
wird.

Paderborn/Münster Dieter Schellong

Systematische Theologie: Allgemeines

Horms, Liiert: Theorie für die Praxis - Beiträge zur Theologie.

München: Kaiser 1982.396 S.gr. 8

Das schon 1982 erschienene Buch von Eilert Herms - die Gründe
für die Verzögerung der Anzeige liegen beim Rez. - enthält 12 bereits
vorher gedruckte und zwei bisher unveröffentlichte Einzelbeiträge des
Vf. aus den Jahren 1974 bis 1981. Aber es bietet nach Anspruch und
Gehalt mehr als eine Zusammenstellung von vielleicht eher zufällig
im gleichen Zeitraum entstandenen Arbeiten. Durch die wohldurchdachte
und systematisch ausgewogene Anordnung und Gliederung
des Stoffes, vor allem aber durch die ausführliche und informative
Einleitung (S. 7-30) und die sorgfältigen Einführungen zu den drei
Hauptteilen, die jeden Beitrag vorstellen und in den Zusammenhang
einordnen (S. 31-34, 1 15-119, 253-255), ist eine nicht nur formale
Geschlossenheit der Darbietung erreicht worden, die dem Band die
Bedeutung eines Grundrisses systematischer Theologie verleiht.

Der Leitbegriff, der nicht nur die im Buchtitel hervorgehobene
Theorie-Praxis-Relation konkretisiert, sondern auch die Beziehung
der Teile und Beiträge des Buches zueinander und zum Ganzen plausibel
macht, heißt theologische Kompetenz, vom Vf. verstanden als
„eine spezifische Qualifikation vom Handeln" (S. 35). Theologie als
„Theorie für die Praxis" hat dementsprechend Handlungskompetenz
für den Wirklichkeitsbereich zu begründen, auf den hin sie entworfen
ist, nämlich für „das gegenwärtige Leben der christlichen Gemeinde"
(S. 31). Dafür ist sie auf ein Wirklichkeitsverständnis angewiesen, das
einerseits durch den christlichen Glauben vermittelt ist und darum
selbst als „christlich" gekennzeichnet werden, sich andererseits aber
erst im Dialog mit Philosophie und Erfahrungswissenschaft voll entfalten
kann (vgl. S. 24). Die Theorie ist aber für ihre Ausbildung auch
auf die Situationen der Praxis selbst angewiesen, für die sie entworfen
ist und die zugleich Bewährungsfeld und Korrektiv für sie darstellt.
Die Gliederung des Buches folgt dem hier skizzierten Gedankengang
.

Der erste Teil, „Das entfaltete christliche Wirklichkeitsverständnis
als Grund theologischer Kompetenz" bietet mit seinen vier Beiträgen
eine Schritt für Schritt vertiefte und erweiterte Bestimmung des
Begriffs „Theologische Kompetenz". Für die Verwendung des Ausdrucks
„Kompetenz" beruft sich Herms auf N. Chomsky, grenzt sich
ihm gegenüber aber insofern ab, als Chomsky in seiner Syntaxtheorie
zwischen „Sprachkompetenz" und „Sprachverwendung" (compe-
tence - Performance) unterscheidet, während Herms unter Kompetenz
eine Qualifikation des Handelns selbst versteht. Kompetentes
Handeln ist für ihn (nur) „dasjenige Handeln . .., das seine Ziele nicht
zufällig, sondern aufgrund einer Orientierung an bewährten theoretischen
Einsichten erreicht" (S. 38). An einzelnen Kennzeichnungen,
die hier nur aufgezählt werden können, macht Herms deutlich,
wodurch so verstandene Kompetenz näher charakterisiert ist: Kompetentes
Handeln ist „phantasievolles", „realistisches", „kritisches
und konstruktives", „kreatives Handeln", es ist „die Einheit von