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Ausgabe:

1987

Spalte:

612-613

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Dietenberger, Johann

Titel/Untertitel:

Phimostomus scripturariorum 1987

Rezensent:

Beyer, Michael

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 8

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besondere deren Einwand: Gregors des Großen „Dialoge" erfüllten
die Forderungen, die an gute Legenden zu stellen seien, weit besser als
die LA. So widmet er den zweiten Teil seines Buches einem Vergleich
zwischen der LA und Gregors „Dialogen". Gregors „Dialoge" -
700 Jahre vor Jacobus am Ende des 6. Jh. geschrieben - stellen eine
Kombination von Hagiographie und Traktat dar. Das Wunderbare -
insbesondere der Kern der „Dialoge", die Legende um Benedikt, zeigt
das - hat eine pädagogisch-moralische Funktion. Der Frage nach der
Verbindung von Aktion und Kontemplation in einem authentischen
Christenleben wird eine sehr flexible Antwort erteilt: Jeder Stand ist
Für die Kontemplation offen. Gottes- und Menschenliebe stehen nicht
in Konflikt zueinander. Im Vergleich zur Benediktslcgende der „Dialoge
" fällt die LA durch entscheidende Auslassungen, allzu starke
Betonung des Wunderbaren und Unfähigkeit zur moralischen-theolo-
gischen Unterweisung auf und ab. Die LA ist durchwegs reduktiv
gegenüber ihrer Quelle. So fällt das Mitmenschliche aus, der Heilige
wird in eine kämpferisch oppositionelle Rolle gegenüber der Umwelt
gerückt. Damit artikuliert sich Jacobus gegenüber Gregor als ein rein
Kontemplativer, der für seinen Orden und damit für eine eng verstandene
Weltflucht Reklame macht. Das zeigt sich auch in seinen
Predigten, in denen er zwar auch auf andere Legendenquellen zurückgreift
, aber doch letztlich ein Tugendideal vorträgt, das an Gehorsam,
Weltflucht und Frauenfeindlichkeit (d. h. Keuschheit) ausgerichtet
ist. Das vermag Reames an vielen Beispielen zu erhärten. Er konzediert
damit der humanistischen Kritik an Jacobus ein Vertrauen, das
sich bei näherer und objektiver Betrachtung belohnt sieht.

Der dritte Teil der Untersuchung fokusiert sich auf die LA in ihrem
historischen Kontext. Reames vermag an der Darstellung des Heiligen
Ambrosius und Augustinus in der LA zu zeigen, wie sehrein aktuelles
kirchenpolitisches und ordensspezifisches Interesse deren Vita prägt.
So läßt Jacobus bei Ambrosius gegenüber seiner Quelle alte Legendenmotive
verschwinden und die ideologischen Dimensionen
schrumpfen (etwa die Konfrontation Juden-Heiden-Christen), verstärkt
dagegen die Situationen, in denen sich eine Konfrontation
zwischen Heiligen und weltlicher Herrschaft abzeichnet. Als Dominikaner
ist Jacobus einer päpstlichen mililia zugehörig, die hierin zum
Zuge kommt: Seine Legenden versuchen in eminentem Maße die
kirchliche Hierarchie gegenüber den weltlichen Mächten ideologisch
zu stützen. Autorität verkörpern daher für ihn die Bischöfe und Prälaten
als die aktuellen Führer der Kirche, deren Prärogativen nicht in
Frage zu stellen sind. Historisch hat diese Konstellation zu tun mit der
Zeitlage in der Mitte des 13. Jh., da die Rivalität zwischen
Friedrich II. und dem Papst eine bedrängende historische Realität
darstellte. Die LA rückt daher in den Kontext eines Kampfs für die
überlas Ecclesiae. Ein anderer ideologischer Zug kommt in Jacobus'
Augustinuslegende zum Tragen: Es ist die enge Auffassung einer con-
ersio im Sinne des zeitgenössischen Bettelmönchtums, deren Ziel
hier noch nicht eigentlich eine Befreiung zur einheitlichen Ausübung
von actio und contemplatio war, sondern eine scharfe Absage an die
Welt und einen entsprechenden contemptus mundi beinhaltete. Das
spiegelt wiederum die spezielle Situation der frühen Dominikaner, bei
denen die Ideale eines weltflüchtigen Mönchtums, das am Altväterleben
der Wüstenmönche orientiert war, noch vor den integralen
Möglichkeiten dominierte, die eine konsequent durchgeführte Predigerexistenz
zwischen Kontemplation und Aktion darbot. Auch hierin
also läßt sich eine puritanisch-konservative Stilisierung der Legende
feststellen. Deutlich wird das nochmals in der Legende über den Heiligen
Ordensgründer Dominikus, in der Jacobus den Orden und seinen
Beginn in ein eschatologisches Licht rückt und der Dominikanerorden
als zur Rettung der Welt berufen vorgestellt wird. Dabei unterläuft
ihm die Unterstellung, daß schier jeder außerhalb des Klosters
lebende Mensch potentiell ein Glaubensfeind ist. Das mag Reflex der
Situation sein, in der Jacobus als noch nicht 40jähriger lebte: klausu-
riert und unbekannt mit einer Welt, die er mit 14 verlassen hatte.

Mit ihrer engen Optik auf die apokalyptisch geprägte Weltsituation,
die nur Freund-Feind-Schemata von brüskierender Enge zuließ.

erweist sich die LA als ein ideologisch fixiertes Werk, das dem Trend
der spätmittelalterlichen Kirche und deren Heiligenverehrung aufs
beste entsprach. Die idealisierte, wesentlich monastische Definition
des Heiligkeitsideals stammt von einer konservativen Elite, die den
Heiligenkult aus kirchenpolitischen Gründen einschränken und kontrollieren
wollte gegenüber einem eher demokratischen Kirchenkonzept
. Die LA ist - wie Reames mit sehr starken Argumenten deutlich
zu machen versteht - im Rahmen dieser kirchenpolitischen Situation
zu sehen.

Reames' Buch ist vom Methodischen he/ interessant: Anstatt sich
apologetisch vor sein Untersuchungsobjekt zu stellen, nimmt er die
humanistische Kritik an ihm ernst und kann, indem er deren Richtigkeit
anerkennt, historisch recht entscheidende Sachverhalte für seinen
Untersuchungsgegenstand ermitteln.

Zürich Alois M.Haas

Dietenberger, Johannes: Phimostomus scripturariorum Köln 1532.

Hg. u. eingeleitet von E. Iserloh u. P. Fabisch in Verb, mit
J. Toussaert u. E. Weichel. Münster/W.: Aschendorff 1985. XCIV,
272 S. gr. 8' = Corpus Catholicorum. Werke kath. Schriftsteller im
Zeitalter der Glaubensspaltung, 38. geb. DM 98,-.

Mit Johannes Dietenbergers „Maulkorb für die Schriftprinzipler"
legen Hgg. und Verlag einmal mehr ein gewichtiges Werk eines hochgebildeten
und vom Humanismus nicht unbeeinflußten römischkatholischen
Kontroverstheologen aus der ersten Hälfte des 16. Jh.
vor. Das bisher nur einmal - 1532 bei Petrus Quentel in Köln -
verlegte Buch enthält eine Sammlung von 16 Traktaten aus den
Jahren 1527 bis 1532, entstand jedoch in seinen Hauptteilen im
Umfeld des Augsburger Reichstages von 1530. D. (um 1475 bis 1537),
der aus Frankfurt/Main stammte, dort auch den Dominikanern beitrat
, in Köln und Heidelberg studierte und 1515 in Mainz zum Doktor
der Theologie promoviert wurde, bis 1526 Prior seines Klosters in
Frankfurt, danach bis 1532 in Koblenz war und schließlich bis zu
seinem Tode als Professor in Mainz wirkte, besuchte den Reichstag im
Gefolge des kurtrierschen Legaten und späteren Erzbischofs Johannes
von Metzenhausen. Dort wurde er in die Theologenkommission
berufen, die die römisch-katholische Gegenschrift zur Confessio
Augustana, die Confutatio, auszuarbeiten hatte. Von Metzenhausen
erbat sich von D., der nach deren Verlesung nicht an den Ausschußsitzungen
von Altgläubigen und Evangelischen teilnahm, einige
Abhandlungen über die strittigen Fragen. Zusammen mit dem bereits
1527 verfaßten, nun aber aus Gründen der Zugehörigkeit zum Thema
„Schrift und Tradition" hinzugenommenen Traktat „De canonicis
scripturis" sowie der angehängten Streitschrift gegen Erasmus von
Rotterdam zum Problem der Ehescheidung, wurden die 14 zunächst
zum Privatgebrauch des Legaten verfaßten Traktate aufgrund einer
Aufforderung Valentins von Tetleben zum Druck gebracht.

Während sich D. in den ersten sechs Traktaten ausführlich mit dem
Themenkreis „Heilige Schrift, Tradition und Kirche" befaßt, widmet
er die Traktate 7 bis 15 einigen Einzelproblemen, die, durch die
Artikel des Confessio Augustana vor das Forum des Reichs gebracht,
kraft kaiserlicher Sanktionierung der Confutatio weitgehend in altgläubigem
Sinne zurückgewiesen worden waren, allerdings während
der Ausgleichsverhandlungen noch einige Zeit im Gespräch blieben.
Er behandelte die Frage der Heiligenanrufung, die Rechtfertigungslehre
(3 Traktate), die sakramentale Beichte, das Meßopfer, den freien
Willen, die Form der Ausspendung des Abendmahls sowie außerdem
das Fegefeuer. Die Hgg. haben es in der Einleitung übernommen, die
Eigenleistung des Autors gegenüber Einflüssen von Seiten seiner altgläubigen
Mitstreiter wie z. B. Johannes Eck sowie gegenüber der
Annäherung bzw. dem Auseinanderdriften der streitenden Parteien
abzugrenzen. Insgesamt erhärtet sich im Laufe der Lektüre der Eindruck
, daß es sich bei D. um einen zwar äußerst bibel kundigen und
echter Seelsorge verpflichteten, aber auch um einen sehr konservativ