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Ausgabe:

1987

Spalte:

595-596

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Morrice, William G.

Titel/Untertitel:

Joy in the New Testament 1987

Rezensent:

Popkes, Wiard

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Seite 1

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595

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 8

596

Da die Positionen der klassischen Formgeschichte zunehmend
durch die aktuelle Diskussion verflüssigt werden, ist der Bedarf an
Abhandlungen zu Einzelthemen aus der Umwelt des Neuen Testaments
außerordentlich groß. Eine neutestamentliche Gattung der
Evangelien und Acta, die zugleich in den antiken Rhetoriklehrbüchern
wichtig war, ist die Chrie. Im Rahmen eines großangelegten
Unternehmens der Untersuchung der antiken Chrien wird hier ein
erster Band vorgelegt. Er enthält eine allgemeine Einführung (Themen
: Ursprung und Verbreitung der Chrien, ihre mündliche Überlieferung
und Aufzeichnung, Ursprung und Geschichte der Pro-
gymnasmata, Definitionen und Unterteilungen der Chrie in der
Antike, Erweiterungen und Ausbau von Chrien und das Problem der
Historizität der Chrien) und sodann Text, Ubersetzung, Kommentar
und Bibliographie der Abschnitte aus antiken Progymnasmata über
Chrien. Geboten werden Texte von Theon, Quintilian, Hermogenes,
Priscian, Aphthonius, Nikolaus von Myra und vom vatikanischen
Grammatiker. Eine kurze Biographie des jeweiligen Rhetors bildet die
Einführung jedes Abschnittes. - Auf den S. 295-343 dieses Bandes
werden Chrien nach Hauptpersonen alphabetisch geordnet geboten,
die von den in den ersten drei Bänden dieses Unternehmens behandelten
Rhetoren berichtet werden.

Für den am Neuen Testament orientierten theologischen Leser sind
aus Einführung und Textbeispielen dieses Bandes folgende Gesichtspunkte
wichtig: 1. Die Bedeutung der Chrien im antiken und nachantiken
Bildungssystem wird klar erkennbar, eine Reihe bereits
antiker Chriensammlungen wird genannt (S. 3). 2. Der Zusammenhang
von Chrie und Biographie (S. 8) ist wichtig für die Verankerung
von Chrien über Jesus in den Evangelien. 3. Besonders aufschlußreich
ist der „Katechismus eines Schuljungen" aus den Oxyrhynchus-
Papyri, der S. 9 geboten wird (PSI 1,85 = Pack2 2287). 4. Das spezielle
Ziel dieses ersten Bandes ist die Einordnung der Chrien in das System
der Progymnasmata. Hier stehen sie neben Gleichnis, Sentenz, Enko-
m iuin etc., welche insgesamt für die Evangelienliteratur ebenfalls von
Bedeutung sind (z. B. S. 17). 5. Wichtig für die Problematik moderner
Formgeschichte sind antike Berichte über mündliches bzw. schriftliches
Tradieren von Chrien (S. 70- 6. Besonders brisant sind die auf
S. 27-42 gebotenen Beispiele für die mangelnde historische Zuverlässigkeit
bei der Zuschreibung bestimmter Chrien an bestimmte
Autoren - hier ist fast alles möglich. Das gilt auch für jede Art freier
Variation des Chrienstoffes selbst.

Die ausführlich berichteten Einteilungen der Chrien durch antike
Autoren machen deutlich, nach welchen Prinzipien in der Antike
Gattungen beurteilt wurden (Syntax und andere Kriterien der Textoberfläche
).

Das Unternehmen ist im ganzen außerordentlich zu begrüßen.
Nach völlig unzureichenden Vorarbeiten über Chrien und Apo-
phthegmen in der bisherigen Literatur werden unsere Kenntnisse über
diese wichtige Literaturgattung auf ein breites und solides Fundament
gestellt. Ein ganz entschiedener Mangel ist die schlechte Druckqualität
des Buches (schwammige, fette Buchstaben), die das Auge
nervt und technisch archaisch wirkt.

Heidelberg Klaus Berger

Morrice, William G.: Joy in the New Testament. Exeter: Paternoster
Press 1984.173 S. 8". Kart. £4.95.

A. M. Hunter notiert im Vorwort zu Recht, es gebe manche Studie
über „Glaube" oder „Liebe", aber kaum eine über „Freude". (Das
Buch ist eine überarbeitete Fassung von Teilen der von Hunter
betreuten Dissertation M.s.) M. möchte einen wichtigen Ton der neu-
testamentlichen Botschaft wieder zum Klingen bringen, der oft überhört
wird, aber gerade in der damaligen Welt bedeutsam war und auch
heute das Christentum prägen sollte. Entsprechend skizziert M. in der
Einleitung das sehnsüchtige, doch weithin pessimistische Heilsverlangen
der urchristlichen Umwelt. Teil I behandelt elf verschiedene griechische
Wörter für Freude (agullian, eulhymein, euphrainein, hedone,
tharsein, hilaros, kauchasthai, makarios, skirtan, chairein und
synchairein, jeweils mit Derivaten). In geraffter Form wird zu jedem
Wort die Bedeutung im klassischen Griechisch, in der Septuaginta
und im Neuen Testament, und zwar hier anhand der verschiedenen
Autoren, dargelegt, manchmal auch noch eingehender unterteilt und
mit einer Zusammenfassung abgeschlossen. Teil II wendet sich den
wichtigsten Personen im Neuen Testament und ihren Aussagen über
die Freude zu (neun Abschnitte, von „Der Mann der Freude - Jesus"
über „die Freude im Herrn - Paulus" bis zur „Freude der Erlösten -
Offenbarung"). M. möchte jeweils den Sachverhalt als ganzen herausarbeiten
, orientiert sich freilich stark am Vokabular (s. Teil I).
Auch hier sind die Zusammenfassungen hilfreich. Ein kurzer Schlußteil
(drei Seiten) unterstreicht noch einmal die wesentlichsten Züge.
Der Anmerkungsteil fällt knapp aus (acht Seiten); recht ausführlich ist
der Index der Bibelstellen.

Das Buch bietet eine hilfreiche Auflistung des Materials (z. T. mit
Tabellen), aber auch nicht viel mehr. Als Leserkreis ist offenbar eine
breitere interessierte Öffentlichkeit gedacht, vor allem verschiedene
kirchliche Mitarbeiter. Dem entspricht das Vorgehen nach Konkordanz
, Wörterbuch, Tabellen und Hauptzeugen. Wer mehr erwartet,
also tiefergehende Interpretationen und Reflexionen, kommt kaum
auf seine Kosten. Auffällig ist bereits, daß bekannte Buchtitel fehlen-
wie etwa H. Gollwitzer „Die Freude Gottes", B. Reicke „Diakonie,
Festfreude und Zelos" oder J. Schniedwind „Die Freude der Buße",
gar nicht zu reden von diversen Aufsätzen zum Thema (von
J. Schniewind, O. Michel u. a.). Den langen Teil I mit seinen Begriffsstudien
wünscht man sich zugunsten eines weniger vokabular-
schematischen Vorgehens umgestaltet. So jedoch stutzt man zuweilen
, etwa bei der Notiz (S. 117), mehr als 50 % aller paulinischen
Freudenaussagen seien in 1 -2Kor zu finden, bis dann notiert wird, in
der Mehrzahl handele es sich um kauchasthai und Derivate, was den
Sachverhalt natürlich in ein anderes Licht stellt. Zuweilen erscheint
die Argumentation etwas bemühend, insbesondere bei dem Versuch,
Jesus nicht nur als „Mann der Schmerzen", sondern auch als „Mann
der Freude" darzustellen. Gewiß hat M. recht, daß das Bild Jesu allzu
oft mit Passionsfarben gemalt werde; aber auch M. kann nicht mehr
als vier (einschl. Hebr 12,2) Stellen bieten, wo direkt von Jesu Freude
die Rede ist.

Trotz all dieser offen gebliebenen Wünsche freut man sich, daß dem
Thema wieder Beachtung geschenkt wurde. Wer sich im aufgezeigten
, begrenzten Rahmen über den neutestamentlichen Befund orientieren
will, erhält hier einen übersichtlichen, weitgespannten und
leicht verständlichen Aufschluß.

Hamburg Wiard Popkes

Hahn, Ferdinand: Exegetische Beiträge zum ökumenischen Gespräch.

Gesammelte Aufsätze, 1. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
1986. 354 S. gr. 8 Kart. DM 54,-.

Die 18 in diesem Band gesammelten Aufsätze aus den Jahren
1969-83 des bekannten Münchener Neutestamentiers halten wirklich
, was der Haupttitel treffend angibt. Vom ältesten Beitrag der Antrittsvorlesung
in Mainz von 1969 zum Thema „Schrift und Tradition
im Urchristentum" bis zum jüngsten Beitrag aus dem Jahre 1983 zum
Thema „Das Verständnis des Opfers im Neuen Testament" kreisen
alle Beiträge (bis auf die beiden letzten) um grundlegende theologische
Fragen, die für das ökumenische Gespräch in dieser Zeit bestimmend
waren. Der Vf. war führend an diesem Gespräch beteiligt, wie der
„Sitz im Leben" der großenteils ursprünglich als Vorträge konzipierten
Texte belegt. Dabei reicht das Spektrum von Gastvorlesungen an
katholisch-theologischen Fakultäten über Referate in evangelischkatholischen
Arbeitskreisen und kirchenamtlichen ökumenischen
Kommissionen bis hin zu theologischen Lehrgesprächen zwischen
Vertretern der Rumänischen Orthodoxen Kirchen und der Evange-