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Ausgabe:

1987

Spalte:

591-592

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Watson, Francis

Titel/Untertitel:

Paul, Judaism and the Gentiles 1987

Rezensent:

Niebuhr, Karl-Wilhelm

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Seite 1

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591

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 8

592

Königs). Diese Bildmotive sind im mesopotamischen Raum sonst nur
für die friihdynastische Zeit und die anschließenden Perioden bis zum
Beginn des 2. Jts. bezeugt, abgesehen von ihrer Wiederbelebung in der
neubabylonischen Epoche. Eine Abhängigkeit von diesem frühen
südmesopotamischen Bildgebrauch hält W. Tür unwahrscheinlich. Es
ist eher an eine eigenständige assyrische Bildtradition zu denken,
wenn sie auch bei der derzeitigen Quellenlage noch nicht belegt
werden kann.

Berlin Karl-Heinz Bernhardt

' Es handeil sieh um die Veröffentlichung von erweiterten, durch Anmerkungen
und Literaturverzeichnisse ergänzten Vorträgen, die von den Autoren
auf dem Symposium „Altorientalische Ikonographie und Altes Testament" im
Juni 1984 in Fribourg gehalten wurden.

1 Erfreulicherweise kündigt der Vf. eine Monographie über die neuassyrischen
Prophetentexte an (56, Anm. 5).

Judaica

Watson, Francis: Paul, Judaism and the Gentiles. A sociological
Approach. Cambridge - London - New York - New Rochelle -
Melbourne-Sydney: Cambridge University Press 1986. XII, 246 S.
8" = Society for New Testament Studies. Monograph Series, 56. Lw.
L 22,50.

Die (durchgängig überarbeitete) Oxforder Dissertation W.s greift
ein für den christlich-jüdischen Dialog relevantes Thema auf. Der
Untertitel läßt weiterführende methodische Ansätze erwarten.

W.s Ergebnis ist ebenso klar wie ernüchternd: Paulus (PI.), der
Heidenapostel, steht dem Judentum seiner Zeit eindeutig gegenüber.
An E. P. Sanders anknüpfend, sieht W. den fundamentalen Bruch
nicht in dem theologischen Gegensatz von Glaube und Werken (dazu
kritisch im Einleitungskap. "Paul, the Reformation and Modern
Scholarship", 1-22), sondern in dem soziologischen Tatbestand der
Gründung heidenchristlicher gesetzesfreier Gemeinden. Die pln.
gesetzesfreie Heidenmission ist mit den Grundlagen des Judentums
unvereinbar (21,36 ff).

Der Aufdeckung dieser hinter den Auseinandersetzungen mit
judenchristlichen Gegnern stehenden Grunddifferenz zum Judentum
dient der "sociological approach". W. beschreibt die Auseinandersetzung
zwischen PI. und dem Judentum - damit sein Interpretationsmodell
anbietend - als Umwandlung einer Reformbewegung in eine
Sekte. Die theologischen Darlegungen in den Briefen haben die
Funktion, die Sektenbildung ideologisch zu legitimieren, u. zw. durch
Denunziation, Antithese und Neuinterpretation der überkommenen
Traditionen (190-

Methodisch knüpft W.an die „Tendenzkritik" F. C. Baursan (lOff,
88 u. ö.), allerdings unter umgekehrtem Vorzeichen: Der universalen
jüdischen Bundestheologie steht der in der Christologie wurzelnde
pln. Partikularismus gegenüber (17)! Die Antithese „Glaube -
Gesetzeswerke*' bedeute bei PI. nichts anderes als das Gegenüber
jüdischer (bzw. judenchristlicher) und pln. heidenchristlicher, d. h.
gesetzesfreier Lebensform (vgl. 63-69,77-80, 112f, 118 ff).

Kap. 2 (23-48) erhebt "TheOriginsof Paul's View ofthe Law". Sie
liegen nicht in seinem Berufungserlebnis, sondern in seinen Erfahrungen
als christlicher Missionar. Erfolglose Judenmission führte ihn zur
Mission an Heiden. Um diesen den Übertritt zu erleichtern, verzichtete
er auf einen Teil der jüdischen Gesetzesforderungen. Dies implizierte
den Bruch mit der Synagoge und die Bildung einer eigenen
Sekte.

Kap. 3 "The Galatian Crisis" (49-72) bezieht sich auf mehrere
Stufen der Auseinandersetzung zwischen PI. und den „Judaisten":
Eine von Jerusalemer Judenchristen in Antiochia ausgelöste Auseinandersetzung
(so wird Gal 2,3-5 gedeutet) führt zum Apostelkonzil,
auf dem PI. - entgegen seiner Darstellung in Gal 2,7ff - keine volle

Anerkennung für seine gesetzesfreie Heidenmission fand. Beim
„antiochenischen Zwischenfall" gelingt es den Jerusalemern, die
wahren Ergebnisse des Apostelkonzils gegen PI. durchzusetzen. Auch
in den von PI. alsbald gegründeten eigenen gesetzesfreien Gemeinden
(Galätien!) verfolgt ihn die Agitation der Jakobus-Leute. Die pln. Antwort
auf den Konflikt besteht darin, Separation vom Judentum als für
die Kirche wesentlich zu fordern und mit Hilfe von Denunziation
(Gal l,8f; 5,12; 2,12; 6,12), Antithese (Glaube - Werke, Christus -
Gesetz) und Neuinterpretation (Abraham, Gesetz) ideologisch zu legitimieren
.

Im Phil warnt PI. vor dem bevorstehenden Wirken der gleichen
Gegner. Dagegen haben die Auseinandersetzungen in Korinth einen
anderen Hintergrund, wenngleich PI. Elemente seiner Polemik gegen
die Judaisten argumentativ verwendet (Kap. 4,73-87).

Kap. 5-9 (etwa die Hälfte des Buches, 88-176) sind dem Rom
gewidmet. Rom wendet sich an eine judenchrislliche Gemeinde, die
unabhängig von und ohne gottesdienstliche Gemeinschaft mit der
heidenchristlichen am Ort lebt (das wird aus 14,1-15,13 herausgelesen
). Die judenchristliche römische Gemeinde ist die ursprüngliche
, schon vom Claudius-Edikt betroffene, die heidenchristliche ist
indirekt pln. (also gesetzesfrei!), da von nach Rom gelangten
PI.-Anhängern gegründet. PI. versucht mit seiner Argumentation in
Rom 1-11, die judenchristliche Gemeinde dazu zu bringen, „seine"
Gemeinde als legitim anzuerkennen, sich mit ihr zu vereinen und so
den endgültigen Bruch mit dem Judentum zu vollziehen.

W.s Untersuchung zeichnet sich aus durch überschaubare Argumentation
, eindringliche Textanalysen (bes. des Rom) und eine klare,
eigenständige Position zur gegenwärtigen Forschung (vgl. die notes
182-231 und die Bibliographie 232-244). Sicher muß man auch
gegenüber zahlreichen Einzelergebnissen Widerspruch erheben. Ich
möchte mich jedoch auf einige grundlegende Bedenken konzentrieren
.

Wird die scharfe Alternative zwischen pln. Heidenchristen auf der
einen und Judenchristen auf der anderen Seite der komplizierten
Situation der ersten christlichen Generation gerecht? Die in Apg verarbeiteten
Traditionen deuten m. E. auf ein differenzierteres Bild
(gegen 23-28).

Ist es gerechtfertigt, die Bedeutung des Berufungsgeschehens für PI.
so stark herunterzuspielen und Gal 1,16 als nachträgliche tendenziöse
Aussage beiseite zu schieben (so W. 30)?.Steht nicht die Gegenthese,
die gesetzesfreie Heidenmission verdanke sich allein mißglückter
Judenmission und der Anpassung an Bedenken von Heiden gegenüber
bestimmten jüdischen Gesetzen, auf zu schwachen Füßen? 2Kor
11,24; IKor 9,20; Gal 5,11 sind kaum ausreichende Belege. Hinter
diesen Anfragen steht die weiterreichende: Muß nicht aufgrund von
Gal 1,16; 3,13 (wird nirgends eingehend behandelt!) der Christologie
eine weit größere Bedeutung für die pln. Missionspraxis und
-theologie eingeräumt werden?

Schließlich: W. bestimmt sachgemäß als Thema von Rom 9-11 die
Übereinstimmung des pln. mit dem atl.-jüdischen Gottesglauben.
Dies hat aber auch sachliches Gewicht! Nur so erklären sich Ton und
Aussage dieser Kpp. sowie die überraschende Kehre in Rom 11.
Damit wird aber W.s Sicht, daß PI. sich selbst bereits vollständig von
seiner jüdischen Vergangenheit gelöst habe und andere nun ebenfalls
dazu bringen will, im ganzen fraglich.

W. geht abschließend auf Konsequenzen seiner Darstellung ein.
Man müsse fragen, ob ein PI., der alle seine Kraft für die Gründung
und Stärkung einer exklusiven und speziell dem Judentum feindlich
gegenüberstehenden Sekte einsetzte, noch Inspirationsquelle heutiger
theologischer Diskussion sein könne, oder ob sein Denken nicht in die
Sackgasse führe. Damit ist die Kanonfrage gestellt. Es wäre bedenklich
, sie von einem Ansatz her zu entscheiden, der einem soziologischen
Modell gegenüber theologischer Argumentation Priorität
einräumt.

Halle (Saale) Karl-Wilhelm Niebuhr