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Ausgabe:

1987

Spalte:

33-35

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Petersen, Normann R.

Titel/Untertitel:

Rediscovering Paul 1987

Rezensent:

Suhl, Alfred

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Theologische Literaturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. 1

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gemeint ist. sondern jedes Lob Gottes in seiner Spannung „von
gläubiger Hinwendung zu Gott und öffentlicher Proklamation vor den
Menschen" (166)-das Wesen derToda.

2. Die Wunder sind nicht Fremdkörper, sondern integraler Bestandteil
der Jesustradition; Jesus steht an der Stelle, wo im Psalm
Gott, der Erbarmer, steht (vgl. v. a. Mk 5,19.20). Das hebt ihn über die
rabbinischen Gebclsheilcr. aber auch über Mose und Elia hinaus.
(1620

3. Die historische Frage: Mit ..historisch-kritischer Sicherheit" sind
die am Ursprung stehenden Ereignisse nicht mehr festzulegen. Der
hohe Anteil unableitbarer individueller Eigenarten der Wundergeschichten
spricht aber dafür, daß Erfahrungen mit Jesus den
„primären Impuls" für das Erzählen abgaben: Denen das Herz voller
Freude war und Dank gegen Gott, ging der Mund über. Nirgendwo
erstarrt das Erzählte zur ..formelhaften Schablone". (165.167) Man
kann auch nicht erkennen, daß die ..erzählten Inhalte aus den
Psalmen herausgesponnen wären". (23)

Aber nicht einmal so sehr in diesen gut abgesicherten Schlußfolgerungen
' liegt m. E. der primäre Wert des Buches. Mich beeindruckten
am meisten viele einfühlsame Interpretationen und feine Beobachtungen
im Detail. Um zwei Beispiele zu nennen: Auf S. I07ff
bespricht Vf. einige lukanische Stellen, denen gemeinsam ist. daß
..Rettung. Erlösung, Berufung und Bekehrung des Menschen als Folge
eines besonderen Sehens Gottes bzw. Jesu erscheinen. Es ist die
gnädige .Heimsuchung' Gottes, die aus Verlorenheit in Sünde und
Leid befreit." Wieder erkennt der Vf. ein Psalnimotiv (z. B. Ps
33.l3.l8f: 102.18.201': 113.1.5-7 u.a.): wieder wäre zu fragen, ob
nicht die Exodustradition (Ex 4.31: Jahwe ..sucht" die Israeliten
..heim", nachdem er ihr Elend ..gesehen" hat) die lukanische Darstellung
mindestens ebenso stark bestimmt hat.

In dem von den Psalmen vorgegebenen Verstehen (zusammen hang
(vgl. z. B. Ps 13: 44,240 ..verliert die Jiingerfrage in Mk 4.38 ihre oft
kritisierte Härte und Anstößigkeit... Sie ist Ruf in äußerster Bedrängnis
bzw. Todesnot und steht in der Glaubens- und Gcbctstradi-
tion der Psalmen, der die zwiespältige Erfahrung des Menschen geläufig
ist. einerseits an Gottes Schweigen und Abwesenheit fast zu verzweifeln
und dennoch die bedrohliche Anfechtung des Glaubens in
einer klagend-anklagenden. versteckten Bitte vor Gott auszusprechen
." (700

Stuttgart Werner Grimm

1 Sic stimmen mit unseren schon 1977 in BetZ, ().. Cirimm. W.. Wesen und
Wirklichkeit der Wunder Jesu. ANTJ 2, vorgelegten T hesen im wesentlichen
Bbcrein. Freilich hatten wir in unserer gcsumthiblischcn Metrachtung einerseits
das ganze AT. vor allem die Exodus- und die Eliatradition, mit in die Untersuchung
einbezogen und andererseits den Psalmen nur beiläufige Aufmerksamkeit
geschenkt (51 ff).

Petersen. Norman R.: Redisen» cring Paul. Philemon and the Soeio-
logy of Paul's Narrativc World. Philadelphia. PA: Fortress Press
1985. XII. 308 S.gr.8

Was der Verfasser will, sagt er ganz am Ende seines Buches: Der
Titel "Rediscovcring Paul" impliziere die These, daß Paulus irgendwie
verlorengegangen war und es ihn wicdcrzuentdeckcn galt. Ob die
These stimmt, könne nur dadurch beantwortet werden, ob der Leser
durch die vorliegende Untersuchung irgend etwas Neues entdeckt
habe. Der Vf. seinerseits "wanted to find a social being named Paul
whom I had lost behind the vcils of theological criticism and
eomparative sludies. For mc the former had reduced Paul to an
itincrant if not an armchair church intellcctual. and the latter had
dissolved his image into a kaleidoscopc of 'parallels'" (S. 302). In
liebenswürdiger Bescheidenheit stellt er sieh die selbstkritische Frage,
ob er womöglich in der Entdeckcrfrcude den-Gegenstand, den er
meint gefunden zu haben, erst selbst geschaffen hat. anstatt den

Gegenstand wiederzuentdecken. den er verloren hatte. Die Antwort
hierauflegt sich bei der Lektüre dieses überaus anregenden und lesenswerten
Buches zwingend nahe. Der Titel sollte nicht mißverstanden
werden. Tatsächlich ist der Philemonbrief immer wieder nur das
Exemplum. an dem die Fragestellung verdeutlicht wird, um sodann
das gesamte paulinische Denken in den Umkreis der Untersuchung
einzubeziehen. Als Mangel habe ich dabei lediglieh empfunden, daß
das Buch nicht gründlich genug strukturiert ist. Die Überschriften
sagen viel zu wenig, die Fülle der sich bei der Explikation ergebenden
Gesichtspunkte hätte eine viel detailliertere Untergliederung ermöglicht
. Cicwiß hätte das Buch dabei seinen locker erzählenden
Charakter v erloren, aber es hätte an Übersichtlichkeit gewonnen.

Methodisch geht es dem Vf. darum, zeitgenössische literarische und
soziologische Einsichten (capabilities) mit der traditionell philologischen
Basis der historisch-kritischen Methode zu verbinden. Dabei
verarbeitet er neben reichlich theologischer auch eine immense Fülle
an nicht-theologischer Literatur insbesondere aus dem Bereich der
Soziologie und Anthropologie, die leider nicht in einem gesonderten
Literaturverzeichnis erscheint, sondern nur über die vielen Anmerkungen
zugänglich wird.

Als entscheidende Voraussetzungen, die ihn zu seinem neuen
methodischen Ansatz geführt haben, nennt Vf. einmal seine Beschäftigung
mit den „Erzähl-Wclten" (narrative worlds) von Texten wie
dem Mk-F.v und dem lukanischen Doppelwerk. Hinzu komme als Ergebnis
I >jahriger Lehrtätigkeit auf dem Gebiet der Soziologie und
Anthropologie die Einsicht, "that "worlds' are human «Instructions,
whether thev are the construetions of societies or of narrators. and that
narrative worlds are comprised of the same kinds of social facts -
symbolic forms and social arrangements - as so-called real worlds.
Thus narrativc worlds can be studied like anv other world" (S. IX).
Das Schlüsselei lehnis sei jedoch die Erkenntnis gewesen, "that letters
have stories and that the events ofthese Stories are re-emplottet in the
com Position of letters, usually with clear rhetorical significance"
(S. IX), während den endgültigen Anstoß für die vorliegende Studie
die Verw endung anthropologischer Gedankengänge (ideas) und sozio-
logischcr Einsichten für die Deutung sozialer Probleme im I Kor und
Phlm gab.

Methodologisch sehr reflektiert und durch immer erneute Abgrenzungen
von anderen Vorgehensweisen sehr anschaulieh wird das
Programm entwickelt, indem in einer Einleitung zunächst die grundlegenden
Begrifft geklärt und veranschaulicht werden (S. I ff)- Hier
gehl es insbesondere um ein reflektiertes Umgehen mit den Entsteh
ungsbedingungen eines Briefes, die üblicherweise in den Einleitungsfragen
behandelt werden. Hilfreich und weiterführend erscheint
mir dabei die Unterscheidung zwischen der "contextual
history" und der "referential history". mit der die alte Unterscheidung
aufgegriffen wird, daß /. B. die Evangelien Primärquellen für ihre Entstehungszeit
, aber nur Sekundärquellen für die in ihnen dargestellten
Ereignisse sind. Diese Unterscheidung wird nun auch für die Briefliteratur
fruchtbar gemacht, insofern jetzt die "referential history" als
die eigentliche "narrative world" unter der neuen Fragestellung
analysiert wird (S. 610. Jeder kurzschlüssige Rückschluß von der
"narrative world" auf die zugrundeliegende "real history" wird dabei
vermieden, vielmehr der I atsache Rechnung getragen, daß die Darstellung
realer Ereignisse im Brief immer eine "narrative quality" hat.
Festgehalten bleibt dabei, daß "while letlers are not narratives thev
nevertheless refer to narrative worlds" (S. 9).

Die These, "the narrativc worlds of letters. like the narrative worlds
of narratives. have both litcrary and sociological dimensions" (S. 9).
erweist sich bei der konkreten Durchführung des Programms als
überaus fruchtbar. Es gelingt dem Vf.. nach einem stärker methodisch
ausgerichteten ersten Kapitel (From Letter to Story - and back:
Toward a Narratology and Sociology of Letters. S. 43-88) einen
lebendigen Eindruck von der paulinischen Lebenswirklichkeit (Kapitel
2: Social Structures and Social Relations in the Story of Philemon.
S. 89-199) und vom paulinischen Denken insgesamt (Kapitel 3: