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Ausgabe:

1987

Spalte:

551-552

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Current issues in the psychology of religion 1987

Rezensent:

Stollberg, Dietrich

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Theologische Literaturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. 7

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lang der jeweilige Idcntitätsverlust, wie Richard Riess in seiner „Seelsorge
", Göttingen 1973, mit Recht aufweist. - Es muß demgegenüber
heutzutage immer weitergehend darum gehen, die konstruktive Verhältnisbestimmung
in Theorie und Praxis auch auf die unterschiedlichen
theologischen und humanwissenschaftlichen Prämissen auszudehnen
. Der psychologischen Religionskritik ist eine theologische
Religionskritik entgegenzustellen. Erst die entsprechenden Auseinandersetzungen
können dann zur Grundlage für das methodische Vorgehen
werden. Hark umgeht diesen Aufwand und argumentiert dadurch
sowohl psychotherapeutisch als auch seelsorgerlich kurzschlüssig
. So erweitert er zwar die Verstehensbasis für bestimmte neurotische
Erscheinungen im religiösen Gewand. Dem eigenen Anspruch
, der sog. ekklesiogenen Neurose nicht nur pragmatisch und
situativ sondern auch konzeptionell zu begegnen, kann er jedoch nicht
gerecht werden.

Hannover Klaus Winkler

Beizen, J. A. van, and J. M. van der Lans [Ed.]: Current issues in the
Psychology of Religion. Proceedings of the third Symposium on
the psvchology of religion in Europe. Amsterdam: Rodopi 1986.
XIV, 271 S. gr. 8". geb. hfl. 80.-.

Der schlecht lesbare, da nur maschinenschriftlich (mit Randausgleich
) und teilweise in mangelhaftem Englisch vorliegende Bericht
über das 3. europäische Symposion für Religionspsychologie (Nijme-
gen, August 1985) vereinigt Beiträge unterschiedlichster Art: Dem
Eröffnungsvortrag über „Religion in Australien" von L. Brown folgen
1. „theologische und historische" Arbeiten, 2. „Untersuchungen an
religiösen Texten", 3. Berichte über „Erfahrung und Praxis", 4. „Laborstudien
", 5. „Untersuchungen zu religiösen Rollen und Ritualen".
6. Forschungsberichte zu Batsons Religious Life Inventory, 7. Untersuchungen
über sozial- und entwicklungspsychologische Aspekte der
Religion.

Von geringem Interesse erweist sich der Eröffnungsvortrag, der die
Religiosität des europäisch zivilisierten Australien als moralistisch,
auf Erhaltung der Familie und der sozialen Sicherheit bezogen kennzeichnet
. Tendenzen der religionspsychologischen Forschung
1950-1980 stellt K. Bergling dar. Sie zeigen u.a., wie sehr diese
Wissenschaft um ihre Identität ringt und mit sich selber beschäftigt ist.
J A. van Beizen und A. J.R. Uleyn liefern einen Beitrag zur Geschichte
der holländischen Rcligionspsychologie, die eine ihrer
Hauptwurzeln in der Psychiatrie erkennt. H. E. Lupton befaßt sich
mit dem Begriff der „impliziten Religion" und vertritt die Auffassung.
Religionspsychologie habe sich nur mit Forschungsgegenständen zu
beschäftigen, die von den betroffenen Subjekten auch tatsächlich „religiös
" genannt bzw. verstanden werden, um verwissenschaftliche
Eintragungen des Forschers zu vermeiden. Ähnlich argumentiert
auch A. Vergote: Gegenstand der Religionspsychologie seien „Offenbarungssysteme
" im Unterschied zu „Weltanschauungen" und ihre
Einwirkung auf das Leben des einzelnen; die Gefahr, den Gegenstand
an die Methoden der Wissenschaft anzupassen, sei zu vermeiden.
J. M. van der Lans hält dem entgegen, Religionspsychologie sei eine
psychologische Disziplin und habe sich nicht in erster Linie am
Selbstverständnis der Religionen zu orientieren, sondern sei auf jedes
Verhalten zu beziehen, das mit der Suche nach Sinn verbunden ist.
J. Szmyds Untersuchung von Einstellungen gegenüber Tradition und
Religion im Zusammenhang des Identifikationsprozesses dürfte dem
Ansatz van der Lans' verwandt sein. H. F. de Wit plädiert demgegenüber
für die Etablierung einer „kontemplativen Psychologie", die
ganz von ihrem Gegenstand bestimmt ist und anscheinend so etwas
wie hermeneutische Phänomenologie sein könnte.

H. G. Heimbrock fordert eine Entwicklungspsychologie, die sich
der vorwissenschaftlichen Annahmen Freuds und Piagets, welche
einen Fortschritt von der Illusion zur Realität postulierten, entledige
und die Fähigkeit zu Symbolbildung und zur konstruktiven religiösen

Daseinsbewältigung positiv interpretiere. H. Grzymala entwirft ein
Modell dynamischer Aspekte von Religion, um die Wandlungen der
Religion besser verstehen zu können.

Angewandte Religionspsychologie (im Sinne pastoralpsychologischer
Exegese und Kirchengeschichtsschreibung) liefern A. J.R.
Uleyn (Deutung der Perikope Mk 5,1-20) und J. Wcdzel (Martin
Luthers Persönlichkeit und Werk auf dem Hintergrund der Rollentheorie
H. Sundens). Auf einen der Väter der Religionspsychologie
bezieht sich J. H. Clark, indem er W. James' Kriterien des Mysti/is-
mus anwendet und als erweiterungsbedürftig ansieht. O. Schreuder
beschreibt das Phänomen zunehmender Beliebtheit von Meditationspraktiken
und interpretiert es als Schicht- und bildungsabhängig, während
die Jungianerin M. Kassel über Transzendenzerfahrungen im
Zusammenhang des Symbols des leeren Grat» berichtet, das sie als
„weibliches" Symbol versteht, ohne den exegetisch-theologischen
Zusammenhang der einschlägigen Texte (Auferstehung Jesu Christi)
genauer zu erfassen. Ein Bibliodrama zu Hiob gibt A. Gerritsen Gelegenheit
, Sundens Rollentheorie zu erläutern und auf Seitat findungs-
prozesse durch Trauerarbeit anzuwenden.

Zwei experimentelle Studien (E. E. W. Scobie und O. Wikström)
beschäftigen sich mit der Verarbeitung religiöser Information und mit
den religiösen Implikationen der Imagination des Aufstiegs auf einen
Berg. Es folgen interessante Untersuchungen kirchlicher Wirklichkeit,
z. B. zum Zölibat (A. M. Hoenkamp-Bisschops), zur Psychologie von
Pilgern und deren Heilungserfahrungen (J. W. Oostcrwijk,
M. H. F. Uden, L. Hensgcns; fürden Effekt ist eine außengeleitete Religiosität
erforderlich) und zur kirchlichen Trauung als einem P.issa-
geritus(J. Z. T. Pieper).

Über Forschungsmethoden reflektieren vier Aufsätze, die sich mit
Batsons Religious Life Inventory (RLI) beschäftigen (F. Derks,
J. M. van der Lans, C. Donders. J. Weima). Diese Aufsätze erhärten
die Vermutung, daß das RLI nicht über amerikanische Protestanten
hinaus anwendbar ist, weil seine Items konfessionell bedingt verschieden
verstanden werden.

Fünf Untersuchungen zur Entwicklungs- und Sozialpsychologie der
Religion (E. Bocquet, M. de Fraeye, N.J.Holm, J. M.Jaspard,
M. H. F. van Uden) beschließen den Band. Gefragt wird u.a. nach
dem Elternbild bei Glaubenden und Nichtglaubenden, nach der religiösen
Entwicklung als Integrationsprozeß, nach Prozessen religiöser
Überlieferung (in Finnland), nach der Identifikation mit Jesus und
nach der entwicklungspsychologischen Funktion von Religion als
individuellem Sinnsystem.

Das Buch dokumentiert die geradezu verwirrende Vielfalt einer
Disziplin, die durch kein eindeutiges forschungsleitendes Interesse definiert
ist, sondern einmal stärker naturwissenschaftlich-beobachtend,
dann wieder hermeneutisch-partizipierend, einmal im Dienst der
Kirche pastoralpsychologisch, ein anderes Mal im Interesse größerer
Distanz zur einengenden Tradition oder auch mit therapeutischer
Zielsetzung religiöse Erscheinungen wahrzunehmen und zu untersuchen
trachtet, sich dabei aber immer wieder durch konkurrierende
oder auch kooperative Ansprüche von Theologie und Psychologie
herausgefordert sieht. Die Methodendiskussion als eine Art „Dauerbrenner
" ist nur folgerichtig. Bereits im Vorwort stellen die Hgg. die
Vorherrschaft des Fragebogens und den Mangel an Fallstudien
oder Textanalysen fest. Der wachsende Einfluß der kognitiven
Psychologie zeigt sich überall dort, wo über weltanschauliche Aspekte
der Religion geforscht wird: Religion wird dann als kognitiver Komplex
zur Wirklichkeitsbewältigung interpretiert. Ethnische und geschlechtsspezifische
Untersuchungen fehlen (denn das Eingangsreferat
über Australien kann man nicht im strengen Sinne als ethno-
psychographisch bezeichnen). Der Kontakt mit den vergleichenden
Religionswissenschaften, Religionsgeschichte und Religionsphäno-
menologie scheint uns erheblich unterbelichtet. Trotzdem ist nicht zu
bestreiten, daß der Band eine Bereicherung des religionspsychologischen
Wissenschaftsspektrums darstellt.

Marburg Dietrich Stollberg Katrin Wienold