Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1987

Spalte:

549-551

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Hark, Helmut

Titel/Untertitel:

Religioese Neurosen 1987

Rezensent:

Winkler, Klaus

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

549

Theologische Literaturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. 7

550

Issendorf. Bernhard v.: Segen - Wiederentdeckung eines alten Zeichens (ZGP
4. H. 5.. 1986, 17-20).

kugler. Georg: Läßt sich die Beichte wiedergewinnen? (ZGP 5. H. 1. 1987,
22-27).

Rost. Dietmar, u. Joseph Machalke: Vieles müßte anders sein. Gebete für
junge Menschen. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1986.
80 S. m. Abb. 8" = GTB/Siebenstern 813. DM 6,80.

Taylor. John V.: Weep Not For Me. Meditations on the Cross and the Resur-
rection. Genf: World Council ofChurches 1986. IX, 46 S. 8* = Risk Book Series,
27. Kart. sfr6.90.

Volp. Rainer: Die Taufe zwischen Bekenntnisakt und Kasualhandlung. Beitrag
für ein zu erneuerndes Sakramentsverständnis (PTh 76, 1987, 39-54).

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Hark, Helmut: Religiöse Neurosen. Ursachen und Heilung. Stuttgart:
Kreuz Verlag 1984.299 S. 8*. Kart. DM 29,80.

Wer eine Monographie „über die Beziehungen zwischen Frömmigkeit
und seelischen Schwierigkeiten mit der oft tragischen Folge von
sogenannten ekklesiogenen Neurosen" (S. 7) veröffentlicht, kann auf
ein breites Interesse bei einer betroffenen Leserschaft stoßen. Entsprechenden
Erwartungen kommt Hark entgegen, zumal er flüssig
und leicht zugänglich zu schreiben und in komplizierte Sachverhalte
einzuführen vermag. Hinzu kommt, daß ihm die plastische Darstellung
von Fallbeispielen gut gelingt, abstrakte Gedankengänge auf das
Notwendigste beschränkt bleiben, durchweg ein emsiges Literaturstudium
zum Tragen kommt und zahlreiche Hinweise auf weiterführende
Bücher und deren Autoren nicht fehlen. Wie kommt es
dann, daß sich der rezensierende Pastoralpsychologe bei der Lektüre
nach anfänglich interessiertem Engagement zunehmend verärgert und
schließlich fast verbittert vorfindet?

Am formalen Konzept und Aufbau des Buches kann es nicht liegen.
Hark führt geschickt in die fatale Wechselwirkung von „Frömmigkeit
und Neurose" ein (S. 11 ff). Er schildert in enger Anlehnung an seinen
hauptsächlichen Gewährsmann C. G. Jung und dessen Schule die
typologischen Aspekte des Glaubenserlebens (S. 31 ff). Bei Hinweis
auf die weitverbreitete Typenbestimmung Fritz Riemanns wird daraufhin
eine Erweiterung charaktertypischer Erlebensmomente unter
dem Titel „Persönlichkeitsstruktur und Glaubensleben" (S. 77ff) vorgestellt
. - Auch S. Freuds, C. G. Jungs und V. E. Frankls Konzeptionen
einer Verhältnisbestimmung von Neurose und Religion findet
man kurz aber sachgemäß abgehandelt und durch ein nützliches
Kapitel „Religion in der Familientherapie" ergänzt (S. I I9ff). - Die
eigentliche Zielverstellung des Vf. schlägt sich dann in dem Kapitel
„Gottesbild und Gotteskomplex" nieder (S. 141 ff). Hier werden betont
rcligionskritische Stimmen (Tilman Moser, H.-E. Richter) mit
vereinnahmender Tendenz als Zeugen für die eigene Perspektive in
Gebrauch genommen: Hinter allen Vor- und Zerrformen geht es dem
Vf. unbeirrt um „Das ganzheitliche Gottesbild". Von ihm gehen heilende
Kräfte aus, vermitteln „Sclbstverwirklichung und Ganzwer-
dung".

Ein zweiter Teil behandelt dann „Die Heilung der religiösen Neurose
" im engeren Sinne. Hark veröffentlicht den Umgang mit einer
Traumscrie und dessen Auswirkungen in einem therapeutischen Ge-
sprächsvcrlauf. In Auseinandersetzung mit ihren religiösen Traumbildern
und der Deutung im Gespräch wird hier einer Klientin
schließlich deutlich: „Die Abwertung des Leibes und der Sinnlichkeit
hat mich seelisch krank gemacht" (S. 207). - In dem Abschnitt „Religion
und Neurose Hermann Hesses" (S. 209ff) möchte Hark nochmals
paradigmatisch die Entstehung und (kreativ-dichterische) Bewältigungsmöglichkeit
der ekklesiogenen Neurose aufweisen: „Seine
Therapie bestand darin, sowohl sinnvoll als auch sinnlich zu leben.
Man könnte auch sagen, daß Hesse ein ganzheitliches Leben vorschwebt
" (S. 234). - Schließlich wird anhand einer weiteren Traumserie
nochmals „Die Entwicklung des religiösen Selbst" demonstriert
(S.237ff).

Im Anhang ist der (letztendlich wenig aussagekräftige) „Jungsche
Typentest" nach Gray-Wheelwright abgedruckt. Ein knapp formuliertes
(und nach dem entsprechenden Muster in C. G. Jungs Buch
„Psychologische Typen" angelegtes) „Glossar der wichtigsten Begriffe
" (S. 285ff) gelingt dem Vf. informativ und rundet ab. - Leider
kann er aber neben dieser Verstehenshilfe und dem sehr brauchbaren
Literaturverzeichnis nicht auf die Veröffentlichung von ausgewählten
„Tabellen einer Untersuchung" zum Thema „Neurose und Religion"
verzichten (S. 266ff). Fragen, wie „Sind/waren Ihre Eltern fromme
Leute . . . ? Haben Sie seelische Probleme ... ? Haben Sie bestimmte
Ideale . . . ? Streben Sie nach Selbstverwirklichung. . . ?" usw. lassen
starke Zweifel aufkommen, welchen tatsächlichen Aussagewert einer
bejahenden oder verneinenden Antwort eigentlich zukommen kann.
Die von Hark (in den einleitenden Abschnitten) bereits aufgeführten
Ergebnisse führen jedenfalls nicht dazu, „hinter den nüchternen
Zahlen die Schwere des seelischen Leidens ahnen" zu lassen (S. 16).
Vielmehr legt sich der Verdacht nahe, daß dem Leser im Hinblick auf
das Gesamtkonzept der Eindruck von statistisch abgesicherter „Wissenschaftlichkeit
" vermittelt werden soll.

Wir sind damit gleichzeitig bei der ärgerlichen Reaktion, die das
Buch auszulösen vermag. Die strikte Identifikation des Vf. mit der
Psychologie C. G. Jungs erscheint gerade nicht als solche, wohl aber
in dem Moment hochproblematisch, wo dieser Psychologie der christliche
Glaube, religiöses Erleben und biblische Aussagen in völlig unkritischer
Weise einfach zu- und untergeordnet werden. Alle Spannungen
zwischen den verschieden ausgerichteten weltanschaulichen
Prämissen bzw. den so oft diskutierten unterschiedlichen Menschenbildern
erscheinen damit einfach „aufgehoben". Kein Wunder, daß
Hark dann theologische (und „fromme" bzw. kirchliche!) Sprachformen
in auffälliger Weise ungebrochen in Gebrauch nehmen kann.
Dann sind die vier Evangelisten z. B. einerseits „Menschen mit einer
bestimmten Typologie". Daneben aber sind sie wie selbstverständlich
auch „in besonderer Weise vom Heiligen Geist erfüllt" (S. 31). Von
einem protestantischen Theologen berichtet Hark in voller Übereinstimmung
mit dessen entsprechendem Sprach- und Erlebensstil, daß
er „Zuflucht und Trost im Gebet" suchte, „zu Stille und Einkehr"
strebte und motiviert wurde, „sein Herzeleid anzuvertrauen" (S. 72).
Das alles geschieht, ehe dieser evangelische Pfarrer „etwas von der erneuernden
Kraft des Segnens" spürt, wobei dann die entsprechenden
Symbole und Rituale zum „speziellen Ausdruck für das Selbst"
(S. 74) geraten und damit wiederum in den psychologischen Jargon
eingebunden erscheinen. Wie weitgehend die auffällige Sprache Harks
Ausdruck dafür ist, daß ihm theologische und psychologische Denkkategorien
völlig durcheinander geraten, zeigt seine geradezu skurrile
psychologische Stellungnahme zu Luthers „Streß" bzw. „Nervenzusammenbruch
" in der Folge theologischer Streitgespräche, politischer
Wirren und der gleichzeitigen Auseinandersetzung mit den
Schwärmern: „Dies alles konnte der geniale Gottesmann auch mit
Gottes Hilfe nicht mehr zusammenhalten" (S. 46). - Summa: Probleme
mit unreflektierten „religiösen" Sprachformen, aber auch mit
der Religion als solcher gibt es im therapeutischen Kontext nie! Denn
letztendlich lautet Harks frappierend einfache Devise: „Ob Frömmigkeit
und Glaube als Seelengift krank machen oder als Heilmittel zur
Seligkeit wirken, ist eine Frage der Dosis und der religiösen Erziehung
von Eltern, Schule und Kirche" (S. 210).

Nahe einer gewissen Verbitterung reagiert der Pastoralpsychologe
schließlich dort, wo durch dieses Buch eines ausgebildeten Theologen
und Psychotherapeuten ausgerechnet im Hinblick aufdic Zuordnung
von Theologie und Tiefenpsychologie ein eingeschliffcnes Vorurteil
geradezu klassisch bestätigt erscheint. Harks Veröffentlichung verstärkt
den Eindruck, eine strikte „Gebietsaufteilung" - wie sie die
meisten Therapeuten, aber auch viele Seelsorger nach wie vor fordern
- sei immer noch akzeptabler als die sonst anscheinend unvermeidbare
„Auslieferung". Verbindet sich doch mit dieser über kurz oder