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Ausgabe:

1987

Spalte:

540-542

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Dogmatismus 1987

Rezensent:

Bieritz, Karl-Heinrich

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Theologische Literaturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. 7

540

wirklichungsweisen des Reiches Gottes, nämlich Jesus C hristus und
die Nachfolge in Glauben, Liebe und Hoffnung als seine .realsymbolische
Vermittlung'", die Kirche als sein soziales Subjekt und die
Vollendung selbst, die versöhnte Schöpfung. Es folgt ein Abschnitt
über den einzelnen, über seinen Tod. Diskutiert werden die sog. Unsterblichkeit
, der Zwischenzuslund und schließlich das Gericht, die
Läuterung (wie das Legfeuer jetzt heißt), der Himmel und die
Hölle.

Ein abschließender 4. Teil will diese christliche Hoffnung „bewähren
", indem er sie kritisch in Beziehung setzt zu verschiedenen
anderen, insbesondere philosophischen Eschatologien. Kehl geht ein
auf Kant, Hegel, Marx, Benjamin, Bloch und Nietzsche.

Von den vielen Anfragen, die sich mir aufdrängen, sind dies die
wichtigeren:

/. Es ist zu prüfen, wie Kehl die einzelnen Abschnitte einander
zuordnet und ob seine Teile sich wirklich zueinander fügen.

Wie kommt Eschatologie zu ihrer Wahrheit? Was begründet dabei
was? In seinem systematischen Teil behandelt Kehl die Frage: „Inwiefern
entspricht unsere gegenwärtige Hoffnung nicht nur in ihrer geschichtlichen
Kontinuität, sondern auch in ihrem sachlichen Gehalt
der Verheißung, die von Jesus Christus ausgeht, die von der Kirche
lebendig gehalten wurde und die auch für unsere gegenwärtige geschichtliche
Situation eine befreiende Hoffnung wecken kann?"
(S. 215) Ist demnach Christus die entscheidende Norm? Doch wohl
nur, sofern er einer der Verheißungsträger ist, Träger der Verheißung,
die auch in der Tradition der Kirche sich erweist und endlich auch
darin, daß sie gegenwärtig zu Taten zu inspirieren vermag. Was also
ist Norm? Christus? Die Botschaft von ihm? Der Glaube und die Erfahrung
der Kirche? Die heutige Anwendbarkeit? Die heutige Tat?
Liefert die gegenwärtige Brauchbarkeit der Verheißung einen Beitrag
zu ihrer Wahrheit? Ich verstehe nicht, was hier was begründen und erweisen
soll.

Anscheinend möchte Kehl ein Miteinander jener Elemente. Aber
kann man ein harmonisches Zusammenstimmen dieser Glieder denn
immer schon voraussetzen? Konkret möchte Kehl die traditionelle
Jenseitserwartung der Kirche vereinen mit einer chiliastischen Anwendung
der Eschatologie auf die Gegenwart. Aber will die Eschatologie
, wie sie das Neue Testament vertritt, wirklich so angewandt
werden? Vor allem nimmt Kehl eine recht eigenartige Interpretation
des Endes vor. Aus der Angst, nur ja nicht mythologisch zu werden,
zieht er sich hier auf eine extreme Spiritualisierung zurück. Wenn
aber das Ende derart vergeistigt werden muß, wie kann es dann noch
mit einer Sozialethik zusammenpassen?

2. Wie verhält sich eigentlich Jesus Christus zum Reich Gottes? Ist
er sein Exponent oder ist er sein Subjekt? Werden wir erlöst, indem
Liebe geschieht? Worin besteht überhaupt die Erlösung? Besteht sie
nur in der Botschaft, daß Gott allen seine Liebe zuwendet (auch wenn
es nicht den Anschein hat)? Welche Bedeutung hat eigentlich das
Kreuz? In gewissem Sinn hat es nach Kehl auch den Charakter der
Versöhnung, weil nämlich auch dieser gewaltsame Tod Gottes Liebe
nicht aufhalten kann (S. 151). Genügt das? Gewiß sucht Kehl immer
wieder die grundlegende Bedeutung Christi herauszustellen. (So heißt
es gegen eine neuere Philosophie recht vorsichtig, aber immerhin, sie
habe den „Einwand Hegels, daß der Wille zur Selbsterlösung ein
direkter Widerspruch zur Versöhnung bedeutet, weil er gerade den
unbedingten ethischen Leistungsdruck nicht vom Menschen nimmt,
, sondern verschärft. . ., nicht hinreichend beantwortet" - S. 327.)
Aber das Auftreten und Wirken Christi und unsere Nachfolge, unsere
Tat, werden immer wieder mindestens kombiniert. Der Glaube wird
geradezu identifiziert mit der Liebe. (Vgl. S. 221 -224) Was also erlöst
uns? Droht hier nicht eine immense Werkerei?

Kehl teilt auch eine heute verbreitete Sicht über das Kommen des
Reiches. Mit dem Auftreten und Wirken Jesu ist das Reich Gottes
„nahe" gekommen. Damit sei es in gewisser Weise schon gegenwärtig.
Ist es nun da oder nicht? Als die vollendete Gemeinschaft der Liebe
kann es, wie wir noch hören werden, nur eine streng transzendente

Ciröße sein, die auf Erden nie ganz real werden kann. Dann ist freilich
ein eigentliches Eintreffen des Reiches weder möglich noch nötig. Es
wird zur je und je zu übenden Liebesidee. Fraglich ist dann freilich
auch, ob überhaupt Gott ins Fleisch kommen kann.

.? Das Ende selbst besteht in einem universalen Heil, das Kehl recht
anthropozentrisch bestimmt. So sehr wir uns nach seiner Überzeugung
auch final diesem Ziel entgegenbewegen, so ist doch die Idee
eines geschichtlichen Fortschritts abzulehnen (S. 218).

Nun aber die entscheidende Wendung. Solches Heil ist auf Erden
gerade nicht erreichbar. Wir können es daher nur gewinnen durch den
Tod hindurch. Auf diese Weise wird bei Kehl der Tod (der doch durch
die Auferstehung bezwungen und als letzter Feind besiegt werden soll)
geradezu zu etwas theologisch Notwendigem.

Die Deutung des Todes geschieht übrigens unter Aufnahme von
Gedanken Jüngels, der nicht zitiert wird.

Der Tod des einzelnen fällt nun sogar zusammen mit der Vollendung
, von ihm aus wird so etwas wie ein Jüngster Tag erschlossen
.

Fragen, die sich mir hier ergeben: Kann der Tod des einzelnen das
kosmische Ende ersetzen? Muß eine solche Eschatologie nicht akos-
mistisch werden? Und wie paßt sie dann zum Chiliastischen?
Bedarfes, um heute sich für eine bessere Welt einzusetzen, überhaupt
einer solchen Vollendung? Ich gestehe auch: Mir erscheint ein derartig
vorsichtig angedeutetes Ende doch recht blaß; es vermöchte
kaum, mein Handeln zu motivieren.

Die Rede von der Unsterblichkeit wird von Kehl kritisiert. Seine
eigenen Formulierungen klingen öfter recht apersonal, sächlich
(S. 236). Was sich bei ihm am Ende ergibt, ist aber der Unsterblichkeit
wieder recht ähnlich. Nun ist es nicht so sehr eine Unsterblichkeit der
Seele, als eine Unsterblichkeit der Liebe, ist das besser?
- Kurzum: Ich vermute, wir werden noch weiter über die Auslegung
der biblischen Eschatologie nachdenken müssen.

Mainz Friedrich Beißer

Praktische Theologie: Allgemeines

Daiber, Karl-Fritz, u. Manfred Josuttis [Hg.]: Dogmatismus. Studien
über den Umgang des Theologen mit Theologie. München: Kaiser
1985. 232 S. gr.8 Kart. DM 39,-.

Das Buch bestätigt, was wache, einsichtige theologische Lehrer
schon lange wußten: Theologie kann nicht .sachlich' betrieben und
vermittelt werden - unter Absehung von Person und Persönlichkeit
dessen, der hier (als Lehrender oder Lernender) in den Prozeß theologischer
Erkenntnis und Vermittlung verwickelt ist. Gewiß dient Theologie
der „Selbstvergewisserung der Kirche" und der „methodischen
Selbstkontrolle ihres Handelns"; und gewiß steht sie auch - wenn sie
sich die „Erforschung von Äußerungen christlichen Glaubens" zum
Ziel setzt - im Funktionszusammenhang des Systems der Wissenschaften
(14). Gleichgewichtig jedoch - wenn nicht gar vorrangig -
entsteht und entfaltet sich Theologie dort, wo der einzelne versucht,
„zwischen den Bezugsgrößen seiner Lebenswelt eine Ordnung zu konstruieren
, die sowohl den Ansprüchen der Realität als auch der Intention
der Glaubenssymbole sowie den eigenen Bedürfnissen, Interessen
und Fähigkeiten gerecht wird" (204). Für die theologische Ausbildung
bedeutet das: „Nur ein Theologiestudium, das die Sache der Theologie
und die Person des Theologen in gleicher Weise berücksichtigt, in
dem die Bedeutung der Persönlichkeitsstruktur für die Konstitution
von Theologie, aber auch die Funktion von Theologie für die Lebenspraxis
des Individuums reflektiert und ins Sach- wie ins Personsystem
integriert wird, wehrt der Gefahr, daß eine kritische Theologie
letztlich unkritische Theologen hervorbringt" (67).

Dogmatismus: Obwohl dem Wortfeld um Dogma zugehörig, bezeichnet das
Stichwort keinen genuin theologischen (bzw. theologie- und kirehengeschicht-