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Ausgabe:

1987

Spalte:

538-540

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Kehl, Medard

Titel/Untertitel:

Eschatologie 1987

Rezensent:

Beißer, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 7

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her werden die Argumente für und gegen eine „Unmündigentaufe"
abgewogen. Die traditionellen Kontroversen im Abendmahl über den
Modus der Realpräsenz sind durch die historische Exegese überholt.
Der Opfergedanke im Zusammenhang der Eucharistie wird eindeutig
abgelehnt. Ein Paragraph über „Weg und Dienst der Kirche in der
Welt" schließt den ekklesiologischen Teil ab: Die Kirche hat das
Evangelium in die Welt hineinzutragen. Das schließt auch einen ge-
sellschaftsdiakonischen Auftrag mit ein, auch im politischen Bereich.
Hier wird die Zwei-Reiche-Lehre auf die Königsherrschaft Christi hin
interpretiert: Es handelt sich bei den beiden „Reichen" um ein Verhältnis
der Entsprechung, nicht der Entgegensetzung. Die escjiatolo-
gischen Fragestellungen werden sorgfältig erhoben. Eine bloß präsentische
Eschatologie, die das futurische Moment ausklammert, ist nicht
schriftgemäß. Zur Frage nach der Zukunft der Sterbenden im Leben
bei Gott ist wieder das behutsame Nachdenken, etwa in der Frage
nach dem Verhältnis der Todesstunde jedes Menschen zum Jüngsten
Tag, und der abgewogene Kompromiß kennzeichnend. Ein Kapitel
über „Gottes Gnadenwahl" schließt diesen dritten Teil und damit die
ganze Dogmatik Joests ab. Joest legt das Gewicht auf das doxologische
Moment der Aussagen, die hier zu machen sind. Die spekulativmetaphysischen
Elemente, etwa der supralapsarische Ansatz in der
Durchführung der Lehre bei Barth werden kritisiert, doch bleibt Joest
gerade hier doch beim Grundansatz der Barthschen Ausformung der
Prädestinationslehre.

Der unkonventionelle Aufbau der Darstellung wurde schon in den
Prolegomena (§ 5) begründet. In der Tat gelingt es Joest damit, den
dogmatischen Stoff übersichtlich und ohne allzu viele Doppelungen
vorzutragen. Doch zeigen sich auch Schwierigkeiten dieser Gliederung
. So ist es zwar einerseits durchaus einsichtig, daß Gottes Urteil in
Gesetz und Evangelium die Grundlage für Anthropologie und Sote-
riologie abgibt. Damit wird einem tragenden Gedanken gerade der
Anthropologie Luthers Rechnung getragen. Das hat jedoch nicht nur
zur Folge, daß in dem den 2. Teil abschließenden Kapitel über
..(resetz und Evangelium" gerade die Frage des Gesetzes sich in den
Vordergrund schiebt; das hängt mit der Diskussion dieses Themas
zusammen und läßt sich schwer vermeiden. Sondern das Wort des
Evangeliums als Gnadenmittel wird so eben doch nicht zum eigenen
Thema. Und die Sakramente Taufe und Abendmahl, in denen der
Zuspruch des Evangeliums seine eigene und eigentümlich leibhaftige
Gestalt gewonnen hat, sind von der Diskussion von Gesetz und Evangelium
abgetrennt und in den Zusammenhang der Ekklesiologic versetz
! Sicher läßt sich die Stellung der Sakramentslehre innerhalb
der Ekklesiologic begründen; sie ist ja keineswegs ungewöhnlich,
hat vielmehr eine lange Tradition. Aber andererseits ist doch gerade
hier die reformatorische Bestimmung des Evangeliums (gerade in seinem
Gegensatz zum verurteilenden Gesetz) wie die vom Wort her entwickelte
Ekklesiologic Hinweis darauf, daß eine Darstellung der
Sakramcntenlehre im unmittelbaren Zusammenhang mit der Lehre
vom Evangelium als Gnadenmittcl der Eigentümlichkeit der reforma-
torischen Soteriologie mindestens ebenso angemessen ist wie die von
Joest gewählte Darstellungsweise.

In diesem Zusammenhang wäre auch die in der Besprechung des
I. Teils angebahnte Diskussion um die Pneumatologie fortzuführen.
Joest beweist gerade in den hier einschlägigen Passagen seine Ge-
sprächsbercitschaft und -fähigkeit. Die scheinbare Bedrohung der
menschlichen Freiheit durch den im Menschen wirksamen Geist wird
schon im Zusammenhang der Anthropologie bei der Erörterung des
Problems der menschlichen Freiheit abgewiesen. Gottes Alleinwirk-
Samkeit zum Heil darf menschliche Personalität und F reiheit nicht
einschränken oder gar auslöschen. Darum darf es eine gratia irresisti-
bilis nicht geben; die Möglichkeit einer Glaubensverweigerung wird
vielmehr ausdrücklich eingeräumt, wenn auch die hier drohende
synergistischc Konsequenz - der Möglichkeit der Verweigerung muß
doch positiv die Zustimmung entsprechen - vermieden werden soll.
Immer neu wird hier betont, wie durch Gottes Wirksamkeit im
Menschen dessen Spontaneität gerade entbunden wird. Sclbstcrfah-

rung soll auf keinen Fall in Konkurrenz zum geglaubten Heilswirken
Gottes treten. Doch hat die hier angedeutete Denkweise ihre Kehrseite
, auf die ich wenigstens aufmerksam machen will. Die hier durch
die apologetische Fragestellung erzwungene Konzentration auf die
Innerlichkeit, in der und auf die Gott wirkt, bestätigt die moderne,
sicher christlich geprägte, Anthropologie, die in der ihrer selbst gewissen
freien Subjektivität das Zentrum des Menschseins sieht. Trotz
ganz anderer Überlegungen, die die Einheit von Geist und Leib, die
Bindung des psychischen an physisches Geschehen betonen, wird das
vom traditionellen anthropologischen Dualismus geprägte Freiheitsverständnis
damit stabilisiert. Das leibhafte Leben als unmittelbar
durch Gott bestimmtes Leben ist so nur noch schwer denkbar.

Die zuletzt vorgebrachten kritischen Anfragen können andeuten,
wie die Dogmatik von Joest nicht nur ein Lehrbuch für den Studenten
ist, sondern auch in die gegenwärtige Fachdiskussion mit einem eigenständigen
und wichtigen Beitrag zu einer ganzen Reihe von strittigen
Fragen eingreift. Man wird an dieser Arbeit nicht vorbeigehen
können.

Erlangen Friedrich Mildenberger

Kehl, Medard: Eschatologie. Würzburg: Echter 1986. 370 S. 8
Kart. DM 34,-; Geb. DM 46.-.

Die theologische Eschatologie steht heute vor allem vor zwei Aufgaben
. Sie muß angeben, ob und in welchem Sinne sie mit einem Ende
aller Dinge rechnet. Und sie muß sich entscheiden, ob und wie sie
dieses Ende auf die Gegenwart bezieht, ob und wie sie etwa (auch)
innerweltlich-chiliastisch zu sein hat. Kehl stellt sich beiden Aufgaben
. Er hält ein Ende fest, das er in spezifischer Weise zu interpretieren
sucht, und er will dieses Ende vor allem beziehen auf die gegenwärtigen
sozialethischen Probleme. Das Ende soll nicht ersetzt
werden durch die heute zu übende Liebe, beides soll vereint
werden.

Sein methodenbewußtes und klares Buch spannt einen weiten Bogen
. Es setzt ein bei der „Wahrnehmung des Phänomens", d. h. bei
heute faktisch vorhandenen eschatologischen Überzeugungen. Mit
Hilfe einiger Beispiele sucht Kehl zwei Grundtypen von Hoffnung
herauszuarbeiten: Die eine Weise orientiere sich am jenseitigen Heil
des einzelnen bzw. der Kirche und übe sich einstweilen vor allem in
Geduld; die andere Weise beziehe sich stärker auf die profanen gesellschaftlichen
Verhältnisse, ihre Grundcinstellung zur gegenwärtigen
Wirklichkeit sei der Wille zur Veränderung. Die Sympathien Kchls
gelten offenbar mehr dem zweiten Typ, aber grundsätzlich hält er
doch beide für legitim.

Am Rande liefert Kehl eine kritische Stellungnahme zu recht Verschiedenem
, zur Vorstellung von einem strafenden Gott, zur Lehre
von der Reinkarnation, zur Literatur über die Erlebnisse von Wiederbelebten
, schließlich auch zur Eschatologie des Islam.

Der 2. Teil des Buches bietet „die Vergcwisscrung". Untersucht
wird darin der „geschichtliche Grund christlicher Hoffnung". Hier
geht Kehl - gestützt auf eine eingehende Kenntnis neuerer Exegese -
auf das Alte Testament, ausfuhrlich auf das Neue Testament und
schließlich auch auf die Geschichte der Kirche ein.

Die Hoffnung Israels - sie hat ihren Kern in der Gemeinschaft mit
Gott, die selbst Gericht und Tod zu überdauern vermag und die sich
in einem entsprechenden Handeln erweist - ist aufgehoben, ist geschichtliche
Realität geworden in Jesus Christus, in seinem (ieschick.
in seiner Botschaft vom nahen Reich (iottes.

Im Abschnitt über die Geschichte der Kirche zeigt sich Kehl eigentlich
nur interessiert an Vertretern chiliastischcr Ideen, zu denen allerdings
auch lrenäus gerechnet wird. Dem wird noch gegenübergestellt
die Konzeption Augustins. die nun freilich nur mehr als „gebändigte
Utopie", als Reduktion, als Einschränkung bloß auf die Kirche in Betracht
kommt.

In einem 3.. systematischen Teil behandelt Kehl zuerst drei „Ver-