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Ausgabe:

1987

Spalte:

31-33

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Glöckner, Richard

Titel/Untertitel:

Neutestamentliche Wundergeschichten und das Lob der Wundertaten Gottes in den Psalmen 1987

Rezensent:

Grimm, Werner

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Theologische I.iteraturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. I

32

auch mit syn. Nur cithon diasöse und parakalt in V. 3b und 4 stammen
tatsächlich aus Q. Beweis dafür ist aber gerade ihr Vorkommen in
derMt-Parallele!

Das heißt: Die Q-Fassung ähnelte der Mt- und nicht der Lk-
Fassung. Und weiter: Die vorjohanneische Fassung geht entweder auf
die Q-Fassung selber zurück oder Q- und vorjohanneische Fassung
sind beide Varianten einer Urfassung. Jedenfalls scheiden die Mt- und
die I.k-Fassung als Vorlage für die vorjohanneische Fassung aus.

b) D. geht zu Recht davon aus. daß die unsinnige Handlung in Jon
12,3 (Fußsalbung - Abtrocknen der Salbe mit den Haaren) Lk 7,38
(Weinen - Abtrocknen der Tränen mit den Haaren - Salben der Füße)
voraussetzt. D. nimmt nun an. die Bethanienerzählung von Mk 14
sei nach ihrer Fixierung durch Mk auch noch mündlich weitertradiert
worden und sei dann durch den Einfluß der lukanischen (nicht vor-
lukanischen) Sünderincrzählung (in die zuvor schon das Salbungsmotiv
aus der vormarkinischen Tradition eingedrungen sei) zur
vorjohanncischen Salbungserzählung geworden. Diese Konstruktion
ist unnötig kompliziert und nicht begründet.

Plausibler scheint mir ein anderer Vorschlag: Die vorjohanneische
Erzählung basiert nicht auf Mk 14.3-9 selber (und schon gar nicht auf
Lk 7,3611"). sondern auf der vormarkinischen Bethanienerzählung.
Diese hat auch Lk in 7.36-38 verwendet (dann jedoch ab V. 39 verlassen
). Lk hat dabei die ursprünglich erzählte Handlung (die auch die
vorjohanneische Fassung noch voraussetzt) bewahrt: Line Frau weint
(Klage um Jesu bevorstehendes Sterben) und salbt Jesu Füße (Fuß =
swiekdochisch für Leib). Mk hat das Weinen fortgelassen und aus der
Fußsalbung eine Salbung des Hauptes (Krönung?) gemacht. Die
traditionellen Namen Maria. Martha und Lazarus sind erst durch den
Fvangelisten Joh eingebracht worden (unabhängig von Lk
10.38-42).

c) Für Joh 20.19-29 nimmt D. für die vorjohanneische Stufe eine
direkte Benutzung von Lk 24.36-49 an. Begründung: Joh 20.1911'
setze lukanische Wendungen aus Lk 24.36fr"voraus. Der Einzelnach-
weis ist wiederum nicht überzeugend.

este Mi htesö autön ist zwar lukanisch konstruiert. Doch setzt este
eisto nteson bei Joh (vgl. Joh 1.26 einerseits. Mt 10.16: 14.6: 18.2.10:
Mk 6.47: 9.36 andererseits) nicht die lukanische Konstruktion voraus
(S. 261). - Das Partizip kai touto eipön (S. 268) findet sich auch sonst
bei Joh. braucht also nicht aus Lk zu stammen. - deiknynai stammt in
Lk (wie D. S. 269 sogar konzediert) meist aus der Vorlage. - Das
Motiv der Freude (S. 272) paßt weniger zu lk. Redaktion als zur
Vorlage von Lk 24.36fT. - Das Motiv der Geistsendung (S. 2790 wird
von Lk wie von Joh in verschiedenem Sinne redaktionell ausgebaut,
ist als solches aber traditionell.

Überzeugend ist wieder die Rückführung von Joh 20,19-23 auf die
vorjohanneische Quelle. Daß diese Quelle Lk 24.36IT in redaktioneller
Gestalt voraussetze, ist aber nicht wahrscheinlich gemacht.

D. hat m. E. erfolgreich nachgewiesen, daß die Beziehungen
zwischen Joh und den Synoptikern auf vorjohanneischer Stufe entstanden
sind. Nicht überzeugend begründet ist dagegen seine These,
die vorjohanneische Tradition bzw. Quelle sei schon durch die
redaktionell fixierten synoptischen Evangelien (insbesondere Lk)
beeinflußt.

Oldenburg Gerhard Sellin

Glöckner. Richard: Neutestamentlichc Wundergeschichten und das
Lob der \ undertaten Gottes in den Psalmen. Studien zur sprachlichen
und theologischen Verwandtschaft zwischen neutestament-
lichen Wundergeschichten und Psalmen. Mainz: Grünewald 1983.
215 S. 8° = Walbcrberger Studien der Aibertus-Magnus-Akademie,
Theol. Reihe, 13. Lw. DM 42.-.

Mit Freude habe ich. zugegebenermaßen von einem positiven Vorurteil
bewegt, dieses Buch in die Hand genommen: mit Freude werde
ich es wieder und wieder zur Hand nehmen, zumal ein Anhang aus
tabellarischen Übersichten. Autoren- und Stellenregister nebst strapazierfähigem
, gediegenem Äußeren es im besten Sinne handlich
macht.

Um es vorweg zu sagen: Der beabsichtigte Nachweis, daß die ntl.
Wundergeschichten in der sprachlichen und theologischen Tradition
der all. Psalmen stehen, ist dem Vf. überzeugend gelungen, /um Gutteil
„Bitterhörungsgeschichten". erzählen sie von „Gott, der in Jesus
Christus die Bitten der Elenden hört und sich erbarmend ihrer
annimmt". (16) Die Psalmen geben der interpretierenden Darstellung
der Wunder Sprache und Motive. Theologisch ist dieser Vorgang
legitim, wird er doch dem subjektiven Erleben und Glauben derer
gerecht, die in der Begegnung mit Jesus das Wunder erfuhren:
Menschen, die in ihrer gelebten Goltesbeziehung wesentlich vom
Psalter geprägt sind.

Ist das ..biblische Entstehungsmilieu" erkannt, kommen die ntl.
Wundergeschichten frei von dem immer noch weit verbreiteten Verdacht
, halb-heidnische Produkte urchristlicher ..Propaganda" zu sein,
mit denen Missionare neben anderen, konkurrierenden religiösen
Bewegungen bestehen und sie nach Möglichkeit übertrumpfen
konnten.

Ps 50,15 ..Rufe mich an am Tag der Not: dann rette ich dich, und
du wirst mich ehren" bringt kurz und treffend die (biblische) Grundstruktur
der ntl. Wundererzählungen zum Ausdruck und zeigt ihr
(bislang unterschätztes) theologisches Niveau und ihre Bedeutsamkeit
an. Welch schöne Früchte dem Vf. aus der intensiven und gezielten
Kleinarbeit an den Texten erwachsen sind, möge ein längeres Zitat
verdeutlichen, in dem er die bleibende Bedeutung der Jesus-Wundergeschichten
auf den Begriff der Gcbetsparänese bringt: ..Die Psalmen
sprechen vor dem Hintergrund faktischer Erfahrungen, wie Gott die
hellende Antwort auf das Flehen notleidender Menschen gegeben hat.
ohne irgendwelche Gesetzmäßigkeiten zu programmieren. Sie laden
dazu ein. sich betend in eine Geschichte hineinzugeben, die einen
angezeigten Verlauf nehmen kann, ohne aber für den jeweils Nach-
und Mitbetenden den Ausgang seiner Lebenssituation festzulegen.
Alles Beten fordert die Bereitschaft anzuerkennen, daß Gott darin frei
bleibt, ob. wann und wie er die Bitten der Menschen erhört. Ähnlich
beinhalten die Wundergeschichten modellhafte Beispiele einzelner
Begebenheiten, bei denen Jesus das Leid von Menschen gesehen und
ihre Bitten erhört hat. Darin findet die alttestamentliehe Geschichte
der Gebetserhörungcn und wunderbaren Rettungen neue, einzigartig
dichte Bestätigungen und Veranschaulichungen. Aber auch hier wird
nur «in möglicher Geschichtsverlauf aufgezeigt, der unter dem
eschatologischen Vorbehalt bleibt: wann und w ie das von den Einzelbeispielen
her zu erwartende Heil für den einzelnen Menschen
geschenkt wird und endgültig für die Welt und Menschheit in Erfüllung
geht, bleibt in die Freiheit dessen gestellt, der die Bitten der
Menschen erhören kann."( 165)

Die Untersuchung ist bewußt einseitig angelegt, fordert Fragen.
Korrekturen und Ergänzungen heraus, schallt aber gerade so einen
erheblichen Erkenntniszuwachs - im Unterschied zu vielen in die
Ferne schweifenden Publikationen, die alles mögliche zur Erklärung
synoptischer Wundergeschichten heranziehen, aber ihren genuin biblischen
Voraussetzungen allenfalls den Rang eines nebensächlichen
Aspekts einräumen.

Die Hauptergebnisse beruhen auf einem Strukturvergleich der ntl.
Wundergeschichten mit den Klage- und Dankpsalmen des AT
(24-59) sowie gründliehen Analysen der Perikopen Mk 4.35-41;
5.1-20; Lk 13,10-17: 17.1 I -19 (60-1 58). Ohne Anspruch auf Vollständigkeit
seien 3 Punkte hervorgehoben:

1. Der ursprüngliche Sitz im Leben ist nicht die missionarische Verkündigung
, als ob Wandermissionare mit den Jesus-Wundern eigene
Praktiken hätten begründen oder die Messianität Jesu beweisen
können. (Nirgendwo wird in den synoptischen Wundergeschichten
Konkurrenzsituation erkennbar, nirgendwo das Charisma des Wunderwirkens
weitergegeben.) Vielmehr haben die Wunder ihren ersten
Ort, an dem sie ..bekannt" werden, in der ,,gottesdienstlichen Verkündigung
", womit nicht nur die kultische Gemeindeversammlung