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Ausgabe:

1987

Spalte:

533-535

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Bosshard, Stefan Niklaus

Titel/Untertitel:

Erschafft die Welt sich selbst? 1987

Rezensent:

Daecke, Sigurd Martin

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 7

534

„etwas Fertiges", sondern um „Bausteine" handelt, um einen „Weg",
auf den sich zu begeben der Leser eingeladen wird. (VIII)

Wer wird mitgehen? Es ist zu vermuten, daß sich am Thema der
Heilsgeschichte nicht nur theologische Schulen, sondern die verschiedenen
Flügel der evangelischen Christenheit scheiden. Neu an dem
Buch und der dahinterstehenden Arbeit ist, daß sich die Evangelikaien
um eine Auseinandersetzung auch auf dem Gebiet der wissenschaftlichen
Theologie bemühen und so das Vorurteil widerlegen, als
seien wenigstens unter deutschen Verhältnissen wissenschaftliche und
kritische Theologie miteinander identisch.

Werdau Friedrich Jacob

Bosshard, Stefan Nikiaus: Erschafft die Welt sich selbst? Die Selbstorganisation
von Natur und Mensch aus naturwissenschaftlicher,
philosophischer und theologischer Sicht. Freiburg-Basel-Wien:
Herder 1985. 263 S. 8'= Quaestiones Disputatae, 103. Kart. DM
48-.

Dieses Buch des Privatdozenten an der Freiburger katholischtheologischen
Fakultät ist der erste und bisher einzige größere systematische
Entwurf im Gespräch zwischen der Theologie und den
heutigen Naturwissenschaften, insbesondere der Biologie. Daß er aus
Freiburg kommt, ist kein Zufall. Denn nur dort gibt es m. W. seit
vielen Jahren eine intensive Zusammenarbeit zwischen Vertretern der
Biologie und der katholischen Theologie mit regelmäßigen gemeinsamen
, interdisziplinären Veranstaltungen.

So zeichnet sich auch dieses Buch zunächst durch eine ebenso informative
wie auch für Nicht-Naturwissenschaftler verständliche Darstellung
zahlreicher naturwissenschaftlicher und naturphilosophischer
Aspekte von „Evolution" und „Selbstorganisation" aus, die
fast zwei Drittel des Buches einnimmt. Der die naturwissenschaftliche
Diskussion heute bestimmende Gedanke der „Selbstorganisation"
wird vom „Urknall" über die „Uratmosphäre", die Entstehung des
Lebens (Manfred Eigens Theorie der „Hyperzyklen"), die „Selbstorganisation
des Vielzellers", die Stammesgeschichte des Menschen,
die Evolution des Verhaltens bis hin zur Diskussion über „dualistische
" und „monistische" Modelle der Gehirn-Geist-Relation verfolgt
: eine mustergültig klare Übersicht auf ca. 60 Seiten, die die
Lektüre dieses Buches allein schon lohnend macht.

Dasselbe gilt auch für die nächsten rund 60 Seiten über „naturphilosophische
Implikate der Selbstorganisation". Hier geht es um die
Themen Musterwachstum und Komplexifikation, Natur und Geschichte
, klassische Mechanik und Thermodynamik, Determinismus
und Indeterminismus, Spieltheorie, Zufall und Notwendigkeit, Teleo-
nomie und Teleologie, Systemtheorie und Ganzheitsdenken, Kausalität
und Offenheit, Materie und Geist bis hin zur Evolutionären
Erkenntnistheorie.

Nachdem der Leser so umfassend über den neuesten Stand der
naturphilosophischen Implikationen und Konsequenzen des Verständnisses
der Naturgeschichte als Evolution und Selbstorganisation
informiert worden ist, folgt nun im letzten Drittel eine Darstellung
und Diskussion der „Schöpfungstheologie im Horizont der Selbstorganisation
". Der bis dahin gezeichnete „Horizont" der naturwissenschaftlichen
und naturphilosophischen Erkenntnisse zum Thema
Evolution und Selbstorganisation „dient nun in einem dritten Schritt
der Vernetzung der zeitgenössischen Schöpfungstheologie mit dem
Evolutionsparadigma" (144). Bosshard stellt im voraus fest, daß
Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie „grundsätzlich kompatibel
" sind (145) und weist daher die Ablehnung der Evolutionstheorie
durch den Kreationismus zurück.

Die Übereinstimmung des aufgrund der Forschung Gewußten mit
dem aufgrund der Offenbarung Geglaubten beruht auf einem klassischen
Satz insbesondere der katholischen Theologie: Es kann
„zwischen .NaturofTenbarung' und Wortoffenbarung kein eigentlicher
Widerspruch bestehen" (15). Denn da „der Urheber der Schöpfungsund
Offenbarungswahrheit ein und derselbe Gott ist, kann sich

zwischen den beiden Domänen auch kein letzter fundamentaler
Gegensatz auftun" (1490- Die Grundthese Bosshards zur „Kompatibilität
" und „Konvergenz" von göttlicher Offenbarung und natürlicher
„Selbstorganisation" ist also keine andere als die alte und
bekannte der katholisch-theologischen Tradition von der Einheit von
Schöpfungs- und Christusoffenbarung, von Natur- und Wortoffenbarung
, von Gottes „.natürlicher' Offenbarung (in seinem Schöpfungswirken
)" und der „.übernatürlichen' (in seinem Heilswirken)"
(2000.

Ebensowenig neu und originell ist Bosshards anderes Modell, um
Schöpfung durch Gott und Selbstorganisation der Natur vereinbar zu
machen: Gott als „erstursächliche Wirkmacht" und die „weltimmanenten
Kausalitäten" als „Zweitursachen" (154), wobei das
allerdings nicht als „Komposition zweier Wirken, eines göttlichen
und eines geschöpflichen", zu verstehen ist, sondern als „deren Ver-
schaltung in dem Sinne, daß das geschöpfliche Wirken von einem
absoluten Grund gehalten und getragen ist und sich innerhalb dieser
letzten Weite frei verwirklichen kann und muß" (200). Aber diese
alten Modelle der Übereinstimmung von Wort- und Naturoffenbarung
, der Vereinbarkeit von Erst- und Zweitursache waren doch auf
das traditionelle statische Naturverständnis bezogen - während
Bosshard gerade zeigen will, „daß biblische und systematische
Schöpfungstheologie mit dem Konzept einer im Werden begriffenen,
sich selbst organisierenden Welt grundsätzlich kompatibel sei" (178),
und daraufkommt es ja heute auch an.

Darum stützt Bosshard sich vor allem auf ein drittes „Modell", dasjenige
der „wesensübersteigenden", der „aktiven Selbsttranszendenz
", der „Selbstüberbietung der Kreatur", mit dem Karl Rahner
„das Problem der theologischen Möglichkeit des Geschöpflichen
Mehr- und Neu-Werdens ohne den Rekurs auf. . . Interventionen
Gottes" (193), die die Naturordnung durchbrechen, zu lösen versucht.
Sich selbst organisierende Entwicklung und göttliche Schöpfung
müssen also so zusammengebracht werden können, daß einerseits die
Eigenständigkeit geschöpflichen Werdens nicht im Handeln Gottes,
andererseits Gottes Schöpfung nicht im Werdeprozeß der Welt aufgeht
. Das Problem, „wie das göttliche und das geschöpfliche Wirken
zusammengedacht werden können" (200), löst Bosshard mit Rahner
so, daß „das.absolute Sein im Sinn eines coneursusdivinus der Grund
für jedes innerweltliche Wirken ist", und umgekehrt „die Schöpfung
durch Anpassung, Diversifikation und Optimierung ihrer Strukturen
" im Prozeß der Selbstorganisation dem „Seinsangebot" Gottes
antwortet, auf den „transzendenten Druck" reagiert, „daß das geschöpfliche
Wirken von einem absoluten Grund gehalten und getragen
ist und sich innerhalb dieser letzten Weite frei verwirklichen kann
und muß" (198ff). Die Schöpfung nimmt das Schöpfertun Gottes
selbsttätig auf und führt es weiter (210).

Doch dieses Ergebnis ist nach dem langen und vielversprechenden
Anlauf über Naturwissenschaft und Naturphilosophie doch etwas
enttäuschend. Was bringen denn die zwei Drittel des Buches mit allen
neuen Erkenntnissen von Naturwissenschaft und -philosophie, wenn
dann etwa mit dem „coneursus divinus" doch nur Jahrhunderte alte
Antworten, etwas modernisiert, gegeben werden, statt die vielen bis
dahin dargestellten Erkenntnisse nun auch theologisch fruchtbar zu
machen? Der dritte und theologische Teil wächst nicht aus den beiden
anderen heraus, knüpft nicht an die dort abgehandelten wichtigen
aktuellen Themen an, greift sie auch kaum auf, sondern gibt nur alte
Antworten auf neue Fragen und (miß-?)deutet den Gedanken der
„Selbstorganisation" von Rahners „Selbsttranszendenz" her.

Wird dabei aber das „Selbst-" nicht durch die göttliche Erstursache,
durch den „coneursus divinus" paralysiert? Dürfen das Handeln und
die Offenbarung Gottes in der Natur von vornherein vorausgesetzt
und dadurch die Evolution auf einen Nenner mit Schöpfung und
Offenbarung gebracht werden? Aber ,,5W/>.s7organisation" ist doch
gerade die schärfste Antithese zur Abhängigkeit von Gott. Formeln
aus dem Arsenal der Überlieferung reichen offensichtlich nicht aus,
um gegenüber der bisherigen falschen Alternative von dualistisch-