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Ausgabe:

1987

Spalte:

520-521

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Zeeden, Ernst Walter

Titel/Untertitel:

Konfessionsbildung 1987

Rezensent:

Koch, Ernst

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 7

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Reformation" (131-153) und erfaßt damit auch die letzte Auseinandersetzung
zwischen Luther und Erasmus 1533/34. Er warnt davor,
die Ursache für den Brucfc zwischen beiden nur in der Anthropologie
zu sehen - also in einer weltanschaulichen Zentralvorstellung! Wichtiger
erscheinen ihm als Ursache ihr unterschiedlicher Glaubens-
begriff, ihr gegensätzliches Verhalten zur Heiligen Schrift und
ihre verschiedenen Vorstellungen über die einzuschlagende Reformstrategie
. Heinz Scheible gelingt es, gegen verbreitete Überzeugungen
aufzuzeigen, wie „Melanchthon zwischen Luther und Erasmus"
(155-180) in der Frage der Willensfreiheit auf Luthers Seite stand,
auch wenn er sich maßvoller ausdrückte und die Fähigkeit, „äußerlich
ehrbar zu leben", hervorhob, weil Scheible verdienstvollerweise
Luthers diesbezügliche Äußerungen - einschließlich seiner Urteile
über Melanchthon - aus der Zeit nach 1525 einbezieht. Bengt //ä##-
lund konzentriert sich auf „Die Willensfreiheit in der Auseinandersetzung
zwischen Renaissance und Reformation" (181-195) und
arbeitet als Unterschied im Freiheitsbegriff heraus, daß für Erasmus
die Freiheit „in der Autonomie der menschlichen Vernunft und des
menschlichen Willens auch in der Sache des Heils, auch Gott gegenüber
" liegt (194), während es Luther auf die innere Freiheit als Folge
der Neuschöpfung durch den Heiligen Geist ankommt.

Richard Toellner führt unter „Die medizinischen Fakultäten unter
dem Einfluß der Reformation" aus (287-297), wie Luther auf
Reformvorschläge für die medizinischen Fakultäten verzichtete, weil
er sich nicht als zuständig für die Naturwissenschaften ansah, und wie
dadurch zwar humanistisches Denken die Medizin in Wittenberg
durchdringen konnte, aber die Aufnahme reformatorischer Anliegen
ausblieb.

Da im Rahmen dieser Besprechung nicht alle Vorträge vorgestellt werden
können, seien wenigstens die Titel aufgezählt, um einen Eindruck von der
thematischen Breite zu vermitteln: Frans Baudouin: Religion und Malerei nach
der Teilung der Niederlande (7-22); Erwin Iserloh: Evangelismus und Katholische
Reform in der italienischen Renaissance (35-46); Paul Richard Blum:
D'ogni legge nemico e d'ogni fede: Giordano Brunos Verhältnis zu den Konfessionen
(65-75); Klaus Ley: Calvins Kritik an Ronsard (105-129); Hans R.
Guggisberg: Reformierter Stadtstaat und Zentrum der Spätrenaissance; Basel
in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (197-216); Jan-Dirk Müller: Zum
Verhältnis von Renaissance und Reformation in der deutschen Literatur des
16. Jahrhunderts (227-253); Notker Ii'ammerstein: „Großer fürtreftlicher
Leute Kinder": Fürstenerziehung zwischen Humanismus und Reformation
(265-285).

Zwei Untersuchungen scheinen mir noch besondere Aufmerksamkeit
zu verdienen. Silvana Seidel Menchierhebt in „Humanismus und
Reformation im Spiegel der italienischen Inquisitionsprozeßakten"
(47-64) aus ihren Quellen als das Humanismus und reformatorische
Bewegungen Verbindende den „auf tieferes Verständnis der Bibel
gerichteten Wissensdurst" (52). Dieser weckte bei Humanisten Aufnahmebereitschaft
für reformatorische Gedanken als Schriftauslegung
und ließ reformatorisch Gesonnene nach der humanistischen Philologie
greifen. Durch diese Verbindung förderten sich beide gegenseitig in
der ersten Hälfte des 16. Jh., aber gerade deswegen trifft die Verfolgung
der Reformation zugleich den Humanismus. Dieser Beitrag verdeutlicht
, welche Verstehensmöglichkeiten geschichtlicher Vorgänge
sich auftun, wenn nicht von inhaltlichen Beschreibungen (christlicher
Humanismus) ausgegangen, sondern das neue, mit humanistischer
Philologie verbundene Interesse an der Heiligen Schrift in den Mittelpunkt
gerückt wird. Es ist hilfreich, diese humanistische Strömung
auch nach ihrem Hauptgegenstand zu benennen und daher von
„Bibelhumanismus" zu sprechen, anstatt zu versuchen, das ihnen
angeblich gemeinsame Christliche zu beschreiben und daneben - wie
in einigen der vorliegenden Beiträge - eine Bibelphilologie zu
erwähnen.

Karl Kohul schildert anschaulich „Die Auseinandersetzung mit
dem Humanismus in der Spanischen Scholastik" (77-104) in ihren
Phasen. Zunächst führte eine humanistische Beschäftigung mit dem
Latein und der Heiligen Schrift anhand ihrer Ursprachen zu einer
Verbesserung der Wissenschaftsmethode. Seit um 1520 kam, beeinflußt
von Erasmus, eine antischolastische Polemik ins Land. Sie löste
einerseits eine Bekämpfung von Humanismus und Reformation und
andererseits ein Aufnehmen humanistischer Anliegen in die Scholastik
aus. Francisco de Vitoria in Salamanca fand zu einer klareren
theologischen Sprache, beschnitt die scholastischen Auswüchse der
Dialektik und rückte Bibel und Kirchenväter in den Mittelpunkt.
Danach erneuerten seine Schüler Domingo de Soto und Melchior
Cano die Scholastik. Soto beschränkte sich auf eine Reinigung der
Scholastik und bekämpfte Humanismus und Reformation. Cano hingegen
übernahm von den Humanisten die Locimethode, hob die
Bedeutung der Heiligen Schrift und der mündlichen apostolischen
Überlieferung heraus, förderte verbunden mit humanistischer
Geschichtswissenschaft das Studium theologischer Quellen und
räumte der Rhetorik mehr Raum ein. So stellte er eine Synthese von
Humanismus und Scholastik her, mit der er sich gegen die Reformation
wandte.

Diese informative Darstellung leidet allerdings unter einer zu
geschlossenen Vorstellung vom Humanismus. Daher wird betont,
Cano sei eklektisch verfahren (101). Er habe heidnischem Humanismus
verfallene Christen und Protestanten nicht mit der Vernunft,
sondern mit Gewalt überwinden wollen. Diese Kritik geht davon aus,
daß die Toleranz zu den wichtigsten Merkmalen des christlichen
Humanismus zählte (103). So gesteht Kohut dem Cano nur die „Integration
eines beschnittenen Humanismus in die Theologie" zu (104),
anstatt dem Rechnung zu tragen, daß die bibelhumanistische Bewegung
bereits vor Erasmus vorhanden und vielgestaltiger als dieser
war.

So gewährt dieser Band einen recht guten Einblick in die Erforschung
des Verhältnisses zwischen Humanismus und Reformation,
auch wenn trotz Lutherjubiläum die positive Bedeutung des Bibelhumanismus
für Luthers Entwicklung nicht thematisiert wurde.

Leipzig Helmar Junghans

Zeeden, Ernst Walter: Konfessionsbildung. Studien zur Reformation,
Gegenreformation und katholischen Reform. Stuttgart: Klett-Cotta
1985. II, 391 S. gr. 8° = Spätmittelalter und Frühe Neuzeit. Tübinger
Beiträge zur Geschichtsforschung, 15. Lw. DM 128,-.

Der Band verdankt seine Entstehung einer Initiative des Verlages,
der anregte, die Herausgeber der Reihe „Spätmittelalter und Frühe
Neuzeit. Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung" sollten sich einmal
mit einer Auswahl eigener Arbeiten vorstellen. E. W. Zeeden ist
dieser Anregung gefolgt und faßt in diesem 15. Band der Reihe
14 Arbeiten zusammen, von denen 9 zwischen 1950 und 1959, 3 zwischen
1963 und 1965 und 2 in jüngster Zeit (1979 und 1983) entstanden
sind. Es handelt sich bei ihnen ausnahmslos um bereits veröffentlichte
Arbeiten, die alle in engerem oder weiterem Sinne mit der
Entstehung der Konfessionen zu tun haben, einem Thema, dem der
Vf. auch eine Monographie gewidmet hat. Mit „Konfession" ist dabei
die spezifisch nachreformatorisch-neuzeitliche Gestalt europäischen
Kirchentums gemeint, die den gesellschaftlichen Bedingungen frühmodernen
Staatswesens entspricht.

Im einzelnen sind in diesem Band folgende Arbeiten des Vf. aufgenommen:
Der ökumenische Gedanke in Veit Ludwig von Seckendorfs Historia Luthe-
ranismi. Über die Idee einer religiösen Überwindung des intoleranten Konfessionalismus
im späten 17. Jahrhundert (1950), Die katholische Kirche in der
Sicht des deutschen Protestantismus im 19. Jahrhundert (1953). Reformation
und Gegenreformation in Jacob Burckhardts Historischen Fragmenten (1955),
Zur Periodisierung und Terminologie des Zeitalters der Reformation und
Gegenreformation. Ein Diskussionsbeitrag (1956), Grundlage und Wege der
Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1958),
Katholische Überlieferungen in den Lutherischen Kirchenordnungen des
16. Jahrhunderts (1959), Calvins Einwirkung auf die Reformation in Polen-
Litauen (1955), Das Bild Martin Luthers in den Briefen Calvins (1958), Calvins
Verhalten zum Luthertum. Nach seinen Briefen (1959), Aufgaben der Staatsgewalt
im Dienste der Reformation. Untersuchungen über die Briefe Calvins an