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Ausgabe:

1987

Spalte:

518-520

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Titel/Untertitel:

Renaissance - Reformation, Gegensaetze und Gemeinsamkeiten 1987

Rezensent:

Junghans, Helmar

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517 Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 7 518

welchem zeitlichen Kontext Nikolaus von Kues (=NvK) steht und
wie stark er nachwirkt.

Nachdem H. Oestrich „Aus dem Leben der Cusanus-Gesellschaft"
und R. Haubst „Aus dem Institut für Cusanus-Forschung und dem
Wissenschaftlichen Beirat" berichtet haben, verfolgt H. Hallauer
(vorläufig abschließend) das Schicksal der Handschriften des St.-
Nikolaus-Hospitals auf ihrem Weg in die Londoner Bibliotheca
Harleiana (21-56). Entgegen dem letzten Willen des NvK sind seine
Bücher z. T. verkauft, ja verschleudert worden, haben aber dabei mit
dazu beigetragen, daß seine Ideen und seine Bibliothek europäischer
Besitz wurden.

R. Haubst weist auf die für die kritische Edition der Cusanus-
Predigten noch offenen Datierungsprobleme hin (57-88) und damit
auf die immense Arbeit, die noch immer in der Quellenanalyse zu
leisten ist.' Interessant ist dabei, daß die berühmte Turmbibliothek
von St. Andreas zu Eisleben als Ms. 960 elf philosophisch-theologische
Schriften von NvK besitzt.

H. Hallauer und R. Haubst gehen gemeinsam Spuren eines Auto-
graphs von Predigten und Werken des NvK aus seiner Brixener Zeit
nach (89-95).

K. Reinhardt stellt eine bisher unbekannte Handschrift mit Werken
von NvK in der Kapitelsbibliothek von Toledo vor und fügt ihr die
Transkription der Vorform von De mathematica perfectione aus
dieser Bibliothek bei (96-141), und E. Meuihen beschreibt zwei neue
Cusanus-Handschriften aus der Gießener Universitätsbibliothek, in
der sich noch weitere bisher unbeachtete Cusana befinden (142-152).
H. Hallauer (1530 geht einem angeblich von NvK geschriebenen
Alten Testament in Bamberg nach; es ist nicht von ihm geschrieben
.

Th. E. Morrissey legt eine Untersuchung "Cardinal Zabarella and
Nicholas of Cusa. From Community Authority to Consent of the
Community" vor (157-176). G. v. Bredow wagt „Nikolaus von Kues
und die Alchemie. Ein Versuch" (177-187). Bekannt ist, wie stark
NvK sich für die Alchemie interessiert hat. Spuren dieses Interesses in
seinen Predigten sind ernst gemeint und in sein geistliches Anliegen
einbezogen. So in einer Predigt von 1456: „Das Thema ist die Liebe
(Caritas). Es geht um ihre alles verwandelnde Kraft, die kleinste Gabe
wird kostbar, wenn sie aus Liebe gegeben wird" (179). i

Ausführlich handelt K. Kremer in seiner Trierer Antrittsvorlesung
über „Gott - in allem alles, in nichts nichts" (188-219). Dieser
Gedanke nimmt bei NvK eine Schlüsselstellung ein, was die beigefügten
Fundstellen eindrücklich belegen; er wird zugleich vielfach
variiert (Kremer zählt 18 Fassungen eines und desselben Grundgedankens
). Gott ist zugleich überall und nirgends. Verabsolutieren
darf man aber eine Theologia negativa nicht! Als Quelle weist Vf.
Dionysius Ps.-Areopagita nach,2 der Gedanke ist plotinischen
Ursprungs, von Proklos NvK vermittelt. NvK hebt auch dann, wenn
er den Menschen einen zweiten Gott nennt, den Unterschied von Gott
und Mensch nicht auf, aber sie sind für ihn nicht „durch eine unüberbrückbare
Kluft voneinander getrennt" (214).

K.-H. Kandier beschreibt im Nachgang zum Cusanus-Symposion
von 1982 NvK als testis veritatis (223-234), d. h. seine Nachwirkung
in der luth. Reformation (in der CA, bei Kymeus, Luther, Flacius.
Chemnitz und Gerhard). Erstaunlicherweise ist eigentlich nur
Kymeus auf die weitgehenden Aussagen des NvK zur Rechtfertigung
eingegangen, Flacius nur kurz. Die anderen weisen nur auf ihn im
Zusammenhang mit dem Kelchentzug bzw. auf seine Auseinandersetzung
mit dem Koran.

F. Nagel legt zwei Beiträge vor: „Nicolaus Cusanus zwischen Ptolc-
mäus und Kepler" (235-250) und „Nicolaus Cusanus in der Sicht
Alexander Humboldts" (251-256). Nach N. liegt die revolutionäre
Tat des NvK in der Astronomie nicht in einer Vorwegnahme des
kopernikanischen Heliozentrismus, sondern auf höherer Ebene in der
Übertragung des Ünendlichkeitsbegriffs von Gott auf das Universum,
die Welt sieht er als ein unendliches Beziehungsgefüge, wobei kein
Ding in dieser Welt einem anderen genau gleichen kann. Kepler habe

dann die kosmologischen Thesen des NvK vollendet. NvK „war kein
moderner Naturwissenschaftler, aber sein Denken machte die
moderne Naturwissenschaft möglich" (242, 245, 250). A. v. Humboldt
beurteilt NvK völlig vom kopernikanischen Standpunkt aus
und bekommt so seine weiterweisenden Positionen nicht in den Blick.
Angefügt sind einige Rezensionen und Register.

Der Band gibt wieder einen interessanten Überblick über die
Cusanusforschung und ihre Vielfalt. Der nächste Band wird dann dem
1986 veranstalteten Symposion über De visione Dei gewidmet sein.

Freiberg Karl-Hermann Kandier

1 An anderer Stelle stellt auch M. Bodewig eindrücklich die Schwierigkeiten
bei der Edition der Cusanuspredigten dar: „Die kritische Edition der Predigten
des Nikolaus von Kues. Das Autograph und die Probleme der Quellenanalyse,
in: Zugänge zu Nikolaus von Kues, hg. von H. Oestrich, Bernkastel-Kues 1986,
133-143.

2 H. Conzelmanns Kommentar zum 1. Korintherbrief ist nicht 1909,
sondern 1969 erschienen (zu S. 202).

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Buck, August [Hg.]: Renaissance - Reformation. Gegensätze und
Gemeinsamkeiten. Vorträge hg. Wiesbaden: Harrassowitz i.
Komm. 1984. V, 297 S. gr. 8° = Wolfenbütteler Abhandlungen zur
Renaissanceforschung, 5. Kart. DM 68,-.

Der Wolfenbütteler Arbeitskreis für Renaissanceforschung beschäftigte
sich anläßlich des Lutherjahres auf seinem Kongreß vom 20. bis
23. November 1983 mit Beziehungen zwischen Renaissance und
Reformation. Der vorliegende Sammelband vereinigt die 16 Vorträge,
die zu diesem Thema gehalten wurden. Sie sind nicht nur aufschlußreich
, weil sie diese Beziehungen an ganz verschiedenen Personen und
Themen aufzeigen, sondern auch dadurch, daß die verschiedenen
Strömungen innerhalb der Humanismusforschung hervortreten.

Die ältere Forschung mühte sich vor allem um eine inhaltliche
Beschreibung des Humanismus, den sie als eine Weltanschauung
betrachtete. Die fortschreitende Beschäftigung mit einzelnen Humanisten
hat aber eine so große Vielfalt an Interessen und Gedanken
zutage gefördert, daß solche Versuche weithin als aussichtslos ange-
■ sehen werden. Daher werden die Interessen (Hinwendung zur Antike)
und Wissenschaftsmethoden (Philologie, Rhetorik) als Gemeinsames
herausgestellt. Es ist einleuchtend, daß die Beschäftigung mit der
Antike, d. h. mit einer über I 000 Jahre bestehenden Kultur, die
Heidentum und Christentum einschloß, inhaltlich zu einer ähnlichen
Vielfalt führen mußte, wie sie im Altertum bestanden hatte.

Trotz dieser Einsichten hat August Buck in „Christlicher Humanismus
in Italien" (23-34) die Herausbildung eines Vorstellungskomplexes
eines „christlichen Humanismus" beschrieben. Dabei
werden zwar einzelne Erscheinungen zutreffend erfaßt, aber es entsteht
im Verhältnis zur geschichtlichen Wirklichkeit ein zu geschlossenes
Bild. Geoffrey R. Elton hält in „Auseinandersetzung und
Zusammenarbeit zwischen Renaissance und Reformation in England
" (217-225) fest, daß die Humanisten, die sich in England der
Reformation zuwandten, dies nicht aus einer humanistischen Weltanschauung
heraus taten, und umgekehrt jüngere Humanisten sich
nicht wegen ihr der Reformation anschlössen. Elton gibt aber angesichts
dieser Wahrnehmung nicht die inhaltliche Beschreibung des
Humanismus auf, sondern folgert, daß sie letzten Endes alle keine
Humanisten waren (221). Trotz des Vortrages von Buck sieht er den
„christlichen Humanismus" von Erasmus von Rotterdam eingeleitet
(218) und vermischt seine Urteile noch mit einer Vorstellung vom
„wahren Humanismus", der Humanität einschließt.

Dem Erasmus von Rotterdam sind drei Beiträge gewidmet. Heinz
Holeezek skizziert umsichtig in fünf Phasen „Erasmus' Stellung zur