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Ausgabe:

1987

Spalte:

513-514

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Thiede, Carsten Peter

Titel/Untertitel:

Die älteste Evangelien-Handschrift? 1987

Rezensent:

Holtz, Traugott

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Seite 1

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513

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 7

514

Diskontinuität zwischen dem historischen Selbstverständnis Jesu und
seiner gottheitlichen Interpretation in der nachösterlichen Gemeinde
festgestellt. Um das zu zeigen, wird zunächst (10-27) in großen Zügen
die Problematik der kritischen Jesus-Forschung seit 1800 über Har-
nack bis Bultmann skizziert. Sodann folgt eine eigene Jesus-Darstellung
: "How Jesus lived and died" (29-87). Wer die Fachliteratur
kennt, begegnet vielen bekannten Ergebnissen, wobei die Anlehnung
an die Arbeiten von Rudolf Pesch besonders auffällt. Jesus erscheint
als ein Prophet, der mit seiner Reich-Gottes-Botschaft die Freude an
Gottes unmittelbarer und befreiender Gegenwart predigt. Gottes
„Ankunft" meint nicht seine Rückkehr in'die Welt, sondern "the
believer's reawakening to the fact that God had always and only been
there" (68). Gottes Zukunft wird Gegenwart, "wherever merey and
justice are done" (70). Die kritische Analyse der Ostererzählungen
erweist diese als „Mythen und Legenden", die nicht historischchronologisch
auszuwerten sind (98). Das eigentliche Ärgernis von
Karfreitag ist die Preisgabe des von Jesus geweckten Glaubens durch
die Jünger (103). Überwunden wird es durch eine "revelatory expe-
rience" des Simon in Galiläa, in der dieser Jesus als den demnächst
kommenden Menschensohn erkennt (1040- Insofern er so Gottes
offene Zukunft mit einer Person identifiziert, verläßt er die originale
Botschaft Jesu und wird zum Begründer des Christentums. Er fällt in
jene apokalyptische Eschatologie zurück (126), aus der Jesus gerade
herausgeführt hatte. Derexistentiale Sinn der Osterbotschaft erscheint
negativ als die völlige Abwesenheit Jesu, positiv als das „Suchen Jesu"
(Mk 16,6!) im Interesse eigener Lebensinterpretation (171). Die
weitere Entwicklung der Christologie - "How Jesus became God"
(177-218) - mit der Horizontverschiebung von der Eschatologie zur
Protologie ergibt sich mit innerer Logik aus der Parusieverzögerung
einerseits und aus dem Übergang der urchristlichen Verkündigung in
die Welt des Hellenismus andererseits. S. dringt auf eine Wiederentdeckung
des Königreiches Gottes im oben angedeuteten Sinn,
ohne Christologie, denn diese ist ihm als Idolatrie "the Christianity's
first sin" (221).

Die knappe Skizze deutet hoffentlich hinreichend die Eigenart des
Buches an: strengste historisch-kritische Exegese und eine neue Spielart
existentialer Interpretation verbinden sich in höchst bemerkenswerter
Weise. Scharfsinn und Konsequenz der Argumentation tun das
Ihre, um beim Leser den Eindruck einer in sich überaus stimmigen
Darstellung zu hinterlassen. Und dazu kommt das Ganze aus dem
Raum katholischer Tradition! Ist das eine späte Frucht am vielfach
schon tot geglaubten Baum der Existenztheologie oder ein junger,
frischer Zweig am alten Baum des „Liberalismus"? Schwer zu entscheiden
! Dem Rez. haben sich zwei Sachfragen aufgedrängt: I. Wird
hier am Ende nicht seltsam ungeschichtlich gedacht, als ob die Botschaft
Jesu tatsächlich ohne Christologie zu haben wäre? 2. Ist ernstlich
eine Gemeinde vorstellbar, die auf lange Sicht von einem derart
a-christologischen Christentum zu leben vermöchte, ohne ihre Identität
zu verlieren?

Greifswald Günter Haufe

Thiede. Carsten Peter: Die älteste Evangelien-Handschrift? Das

Markus-Fragment von Qumran und die Anfänge der schriftlichen
Überlieferung des Neuen Testaments. Wuppertal: Brockhaus 1986.
80 S. m. 2 Taf. i. Text 8' = Wissenschaftliche Taschenbücher.
DM I 1.80.

Der Vf. versucht erneut, seine schon in Bib. 65. 1984, 538-559
(..7Q- Eine Rückkehr zu den neutestamentlichen Papyrusfragmenten
in der siebten Höhle von Oumran") vorgetragene Unterstützung der
Identifikation von 7Q5 mit Mk 6.52-53 durch J. O'Callaghan
(Bib. 53, 1972. 91-100) zu begründen. Der einseitig beschriebene,
also zu einer Rolle gehörende Papyrus bietet 20, nur zur Hälfte einigermaßen
sicher zu lesende Buchstaben auf fünf Zeilen. Selbst bei den
sicher zu lesenden Buchstaben muß bei der vorgelegten Identifikation

ein / statt eines d sowie - wegen der Textverteilung - eine sonst nicht
belegte Auslassung angenommen werden. Das ist nicht unmöglich,
nur mindert es die Wahrscheinlichkeit der Identifikation weiter. Denn
das allerdings ist - auch wenn man den Abstand in Z. 3 (Paragraphos)
in Rechnung stellt - ein unhaltbares Urteil: „Nach allen Regeln
paläographischen und textkritischen Arbeitens steht es fest: 7Q5 ist
Mk 6,52-53" (S. 47)(vgl. dazu K. Aland, NTS 20, 1974,361 0-

Völlig unzureichend wird der Leser über das eigentliche Problem
solcher Identifikation informiert. Danach wäre Mk bereits vor dem
Jahre 68 in fertiger Gestalt im Umkreis der Qumran-Gemeinde
bekannt gewesen (möglicherweise direkt aus Rom zugeschickt, wie T.
aufgrund eines Kruges in 7Q mit der hebr. Inschrift rwm' vermutet,
S. 620- Es ist diese grundstürzende Konsequenz, die für die Identifikation
nicht nur Möglichkeiten, sondern Sicherheit fordert. Darüber
darf auch das schöne Motto von Matthias Claudius am Anfang der
Schrift nicht hinwegtäuschen.

T. H.

Michel, Otto: Dienst am Wort. Gesammelte Aufsätze, hg. von
K. Haacker. Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1986.
288 S.8". Pb. DM48-.

Die hier gesammelten Aufsätze sind streng chronologisch geordnet.
Der erste. „Luthers ,deus absconditus' und der Gottesgedanke des
Paulus" erschien 1931 in ThStKr, der letzte. „Der aufsteigende und
herabsteigende Gesandte", 1984 in der von W. C. Weinrich herausgegebenen
FS Tür Bo Reicke. Sie sind alle-bis auf die Korrektur offenkundiger
Versehen im Detail - unverändert abgedruckt, leider jedoch
ohne Beigabe der originalen Seitenzählung. Die Auswahl der Beiträge
ist, in Absprache mit dem Hg., durch den Autor selbst erfolgt; er gibt
darüber in einem „Begleitwort" Rechenschaft. Sie hat sich auf die
theologisch profilierten Arbeiten konzentriert, die rein religionsgeschichtlich
und historisch-exegetischen Studien sind dagegen nicht
aufgenommen. Der Autor nennt diese Problemkreise: „Das Verhältnis
des Neuen Testaments zum Alten und zum Volk Israels, die
Einbettung der Christologie in die Apokalyptik, die grundsätzliche
Lebendigkeit eschatologischer Motive, die Verknüpfung von Wort
und Geschichte im biblischen Glauben" (S. 9). Sie werden in den verschiedensten
Kontexten und mit Bezug auf unterschiedliche Gegenstände
behandelt, immer aber mit tiefgründigem theologischem
Engagement. Das entspricht der Entstehung der Arbeiten; sie sind aus
Vorträgen hervorgegangen. Es ist beeindruckend, wie sich die theologischen
Linien durchhalten und zueinander fügen. Das hätte noch
deutlicher werden können, wenn die Aufsätze thematisch geordnet
worden wären.

Die Sammlung reflektiert interessant ein Stück der jüngeren Theologiegeschichte
. Sie wird abgeschlossen durch einen Nachweis der
Erstveröffentlichungen sowie durch Register zu Namen und Sachen.
Autoren. Stellen.

T. H.

Kirchengeschichte: Mittelalter

Kaldewei, Gerhard: 1200 Jahre Widukinds Taufe, hg. im Auftrag der
Stadt Enger und der Ev.-Luth. Kirchengemeinde Enger. Paderborn:
Verlag der Bonifatius-Druckerei 1985. 128 S. m. zahlr. Abb. 8".
DM 15,80.

Nach drei Grußworten untersucht Eckhard Freiseden historischen
Vorgang: Widukind in Attigny (12-45). Leider nennt er die Quellen
nur umschreibend: „Kommentar der offiziösen fränkischen Reichshistoriographie
" (12), „Paderborncr und Corveyer Mönche" (13) oder
„Annalenschrciber rhein- und moselfränkischer Klöster" (15). Über
Attigny hinausgehend nennt er seine Quellen exakt: Den Poeta Saxo,
die 3. Fassung des Heiligenlebens Liudgers. Rudolf von Fulda