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Ausgabe:

1987

Spalte:

512-513

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Sheehan, Thomas

Titel/Untertitel:

The first coming 1987

Rezensent:

Haufe, Günter

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511

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 7

512

Ergebnisse nicht zu erzielen sind, wird die Frage bewußt offen gehalten
. Die Auseinandersetzung mit der Exegese neueren und älteren
Datums ist sachlich und fair. Dabei wird der Weg der Forschung
zuerst chronologisch abgeschritten, um danach das Meinungsspektrum
noch einmal systematisch zu ordnen. Wie es scheint, bleibt an
dieser Stelle die präsentierte Darstellung zu sehr den Arbeitsgängen
des Autors verhaftet. Außerordentlich informativ und hilfreich sind
Exkurse und Ausführungen zu historischen Einzelfragen und zu übergreifenden
Deutungsaspekten: ßaaihxiK und tmmwifiXK (57-69),
eine schöne Skizze zum damaligen Militärwesen; Historische Erwägungen
zu Lk 7,1 -10 (255-262); Q als schriftliche Quelle (277-286);
Jesus und die Heiden in Q, forschungsgeschichtlich betrachtet
(305-334); HP und andere Fernheilungen (344-460); Die HP und die
Frage nach der Historizität (403-428).

Mitgeteilt seien einige Ergebnisse: 1) Mt 8,1 Ifgehört nicht zur HP
(17). 2) Joh 4,46-54 ist eine Traditionsvariante ohne literarische
Beziehung zur Mt- und Lk-Fassung (34fT). 3) Die Gesandtschaft von
Lk 7,3-5 ist eine sekundäre Erweiterung (520, die die Merkmale des
Lk-Sg erkennen läßt, und es ist sogar wahrscheinlich, daß die Lk-
Fassung sich an die Sg-Parallele zur Q-Fassung der HP anschließt
(251 ff). 4) ixawvTÖpx'K ur,d ßaoihxö<; können dasselbe bedeuten,
einen militärischen Befehlshaber im Dienste des Herodes Antipas, der
nicht Jude zu sein brauchte (71). 5) nai<; bei Mt ist im Sinn von SoöXoQ
zu verstehen (44ff). 6) Q lag in Schriftform vor (277ff). 7) Die HP
gehörte zu Q, wofür die bei Lk und Mt identische Q-Textakoluthie
und zwei bei Mt und Lk erscheinende ungewöhnliche Wendungen
sprechen: ixavoi; iva und eine Axiytt). Hinzu kommen weitere Übereinstimmungen
(290ff). 8) Im mündlichen Überlieferungsprozeß war die
HP eine Mischung von Wundergeschichte und Apophthegma (343).
9) Mk 7,24-30 ist keine Überlieferungsvariante zur HP (344ff). 10)
Die rekonstruierte Q-Gestalt der HP (2700 wiederholt in ihrer
Grundstruktur die vorausgehende mündliche Gestalt (3650- 11) Im
mündlichen Stadium wurde die HP nicht überliefert, um zum
Wunder zu ermutigen oder zur Heidenmission aufzurufen, sondern
sie diente der Polemik gegen die ungläubigen Juden (368ff). 12)
Mt 8,7 ist mit Zahn und gegen Schlatter als abwehrende Frage zu verstehen
(376f0. 13) Die HP verdankt sich nicht einer nachösterlich
verfaßten idealen Szene (425 ff), sondern ist mit dem vorösterlichen
Jesus zu verbinden (408 ff).

Dürften die genannten Punkte in der Mehrzahl als gut begründet
gelten, so entstehen m. E. die meisten Bedenken dort, wo im Rahmen
der literarischen Fragestellung Tradition und Redaktion mit wortstatistischen
Beobachtungen unterschieden werden. Obwohl der Vf.
in seinem Urteil sehr zurückhaltend bleibt, sich oft mit unentscheid-
baren Fragen abmüht und methodisches Problembewußtsein ausdrücklich
signalisiert (97ff und 97 Anm. 31), reißen die Beispiele
seltsamer Argumentationsverfahren nicht ab. Dabei entsteht das
größte Hemmnis aus den begrenzt gegebenen Textmengen. Fast unbesehen
wird die Sprachkompetenz eines Verfassers oder Trägerkreises
beschränkt auf die uns erhaltene kleine Textmenge, die - wie Q -
zudem noch ein Textfragment sein kann. Ein Evangelist oder Q-Autor
aber, der griechisch schreibt, besitzt zunächst einmal eine entsprechende
Sprachkompetenz, und seine Sprachmöglichkeiten
erstrecken sich auf unvergleichlich mehr Worte und Wendungen, als
es eine begrenzte und sehr kleine Textmenge sichtbar machen kann.
Um hier methodisch und argumentativ voranzukommen, brauchten
wir dringend vergleichende Untersuchungen bei Autoren, von denen
uns wie im Falle Plutarchs größere Textmengen erhalten sind. Nichtsdestoweniger
lassen sich viele Dinge auch unmittelbar einsichtig
machen. Zweifellos sind Wortstatistik und Stilstatistik in ihrer
Beweiskraft durchaus unterschiedlich zu bewerten. Wenn z. B. ein
Wort bei Mt Vorzugswort ist oder fehlt, so kann das sehr viele Gründe
haben bis hin zum Zufall. Zudem ist zwischen Wort und Wort zu
unterscheiden. Je konkreter und begrenzter der Anwendungsbereich
eines Wortes ist, desto mehr ist sein Gebrauch abhängig von dem Vorkommen
der Gegenstände und Sachverhalte, die es benennt. Auch

wenn ein solches Wort bei Mt nicht ein einziges Mal erscheint, könnte
es in einer anderen Schrift desselben Verfassers „Vorzugswort" sein.
Einige Beispiele: Daraus, daß nupexdi außerhalb von Joh 4,46-54 im
vierten Evangelium nicht vorkommt, wird geschlossen, „daß für die
Annahme einer joh. Redaktion jegliche näheren Anhaltspunkte
fehlen" (49). Die Frage, wo denn der Evangelist in seinem Evangelium
dieses Wort noch hätte gebrauchen können, wird nicht gestellt. Aus
4 Stellen des luk. Doppelwerkes wird gefolgert, daß dem Autor die
Wendung touq Xöyoix; to&tOÜQ geläufig war (I 14). Sie wäre ihm wohl
auch dann geläufig, wenn sie in Lk und Apg nicht ein einziges Mal
erschiene. Man braucht nicht mit 13 Belegen für ein Allerweltswort
wie dxodeiv zu begründen (50), daß dem Q-Kreis diese Vokabel
geläufig war. Das wäre auch dann anzunehmen, wenn es in Q keinen
einzigen Beleg gäbe, und gerade ein Wort wie dxodeiv dürfte sich kaum
dazu eignen, mit seiner Hilfe Tradition und Redaktion voneinander
abzuheben, es sei denn, man achtet auf besondere Koristruktions-
varianten dieses Verbums. Lk 7,4 wird mit folgender Begründung als
Sg anvisiert: „Bei napayivopai und napexco ist es zweifelhaft, ob außer
auSt Q diese Verben überhaupt benutzt hat" (181). Wie rasch wird
hier die Sprachkompetenz des Q-Kreises auf einige Textfragmente
reduziert! Entsprechendes gilt von dem Satz: „Die Tatsache, daß Lk
axpayeii; nicht in der Apg verwendet und auch niemals als Einfügung
in seinen Mk-Stoff benutzt, deutet daraufhin, daß der Gebrauch des
Verbs in dieser Partizipialform vor-lk ist." (211) Beispiele dieser Art
ließen sich vermehren.

Gegenüber den wortstatistischen Argumentationen sind die stilkritischen
aussichtsreicher zu handhaben. Man denke an die lk Vorliebe
für den Gen. abs. (193) oder die Nachstellung des Possessivpronomens
(199). Vorsicht bleibt freilich auch hier geboten, wenn es
darum geht, Schlüsse zu bilden. Ob solche Beobachtungen zur
Erkennung von Hinzufügungen geeignet sind oder ob sie nur die Ein-
schmelzung des Vorgegebenen in die eigene Redeweise markieren,
muß sehr wohl unterschieden werden. Bei dem allen bleibt stillschweigend
eine Arbeitsweise etwa des Evangelisten vorausgesetzt, die
in ihm den Bearbeiter vorliegender Texte sieht. Traditionsübernahme
kann aber auch so erfolgen, daß der Evangelist oft gehörte Überlieferungen
oder Texte(!) - und in der Antike wurde laut gelesen und
sehr viel vorgelesen - im Ohr hat und auch mit eigenen Worten
wiederholt.

Die methodenkritischen Bemerkungen wollen die großen Verdienste
des Vf. nicht schmälern. Anerkennung gebührt ihm dafür, daß
er an nicht wenigen Stellen die wortstatistische Unentscheidbarkeit
vieler Fragen selbst feststellt. Die Arbeit ist zudem alles andere als einseitig
, sondern verfolgt in erstaunlicher Vielseitigkeit eine Fülle von
Gesichtspunkten. Wer sich nicht der Mühe unterziehen kann, die umfangreiche
Arbeit vollständig zu lesen, dem sei vor allem der Abschnitt
„Einzelanalyse und theologische Bewertung der HP"
(371-402) empfohlen.

Seehausen Fritz Neugebaucr

Sheehan, Thomas: The First Coming. How the Kingdom of God
Became Christianity. New York: Random House 1986. XII, 289 S.
gr. 8Lw.$ 18.95.

Der Autor, Professor der Philosophie an der katholischen Loyola
University in Chicago, provoziert seine Leser: er fordert am Ende
seines Buches (222ff) nicht weniger als ein Christentum „ohne
Christus", als Praxis von Gnade und Gerechtigkeit, geboren aus dem
Wissen um das bleibende Frage-Geheimnis menschlichen Seins, wie
es in Jesu Reich-Gottes-Botschaft als Interpretation menschlicher
Existenz zur Sprache gekommen ist. Wie gelangt er zu diesem erstaunlichen
Ergebnis?

Ausgangspunkt ist die Konstatierung einer „theologischen Krise"
des Christentums am Übergang in das dritte Jahrtausend seiner
Geschichte: protestantische und katholische Exegeten haben die