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Ausgabe:

1987

Spalte:

509-510

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schneider, Gerhard

Titel/Untertitel:

Lukas, Theologe der Heilsgeschichte 1987

Rezensent:

Stegemann, Wolfgang

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Seite 1

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509

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 7

510

kann auch ein Kreis gewesen sein) zuschreibt; das müßte der gescheiteste
Urchrist neben Paulus und Johannes gewesen sein. Wenn ich
Zeit hätte, würde ich wahrscheinlich bei der Gattungsfrage einhaken.
Nur wenn die Bergpredigt wirklich die Kyriai doxai Jesu versammelt,
ist sie so intellektuell gemeint, wie Betz sie nimmt. Nur dann kann
man Sätze wie 5,17.18.19.20 oder 6,22a als Definitionen ansehen.
Nur dann kann man einen Trägerkreis erschließen, der genau das
glaubte oder wollte, das in der Bergpredigt steht, und ablehnte, was
nicht: Sühnetod, Auferstehung, nahes Reich. Nur dann ist die Bergpredigt
eine theologische Hermeneutik und keine Dienstanweisung.

Wenn Betz' interpretatio Graeca stimmt, dann hat er recht, „daß
die Bergpredigt paradoxerweise wohl der Text im Neuen Testament
ist, der dem heutigen Leser am fernsten steht" (S. V). Es ist nur gar
nicht die Bergpredigt. Die Bergpredigt ist Mt 5-7. Auch wenn Matthäus
sie wörtlich abgeschrieben hat, sie ist jetzt ein Teil seines Evangeliums
. Vieles, was Betz für seine Epitome bestreitet, wird für Mt 5-7
immernoch richtig sein und umgekehrt.

Heidelberg Christoph Burchard

Schneider, Gerhard: Lukas, Theologe der Heilsgeschichte. Aufsätze
zum lukanischen Doppelwerk. Königstein-Bonn: Hanstein 1985.
328 S. gr. 8" = Bonner Biblische Beiträge, 59. geb. DM 78,-.

G. Schneider legt in diesem Aufsatzband zwanzig kleinere Beiträge
und Studien zum lukanischen Doppelwerk vor, die seine Kommentare
zum Lukasevangelium und zur Apostelgeschichte ergänzen. Ein
Gesamtüberblick seiner Publikationen zum lukanischen Geschichtswerk
(Monographien. Artikel, Aufsätze aus 15 Jahren intensivster
Forschungsarbeit) am Schluß des Sammelbandes belegt eindrücklich,
daß Schneider als einer der hervorragendsten Kenner des dritten
Evangeliums und der Apostelgeschichte bzw. der dazu erschienenen
umfangreichen Literatur gelten kann. Vier Beiträge des Sammelbandes
behandeln Probleme des lukanischen Geschichtswerkes insgesamt
, neun bzw. sieben Aufsätze behandeln Texte und Themen aus
dem dritten Evangelium bzw. der Apostelgeschichte. Unter ihnen
befinden sich zwei bisher noch nicht publizierte Studien (Die politische
Anklage gegen Jesus: Lk23,2; Die Petrusrede vor Kornelius.
Das Verhältnis von Tradition und Komposition in Apg 10,34-43).
Von den älteren Aufsätzen seien hier nur erwähnt: Der Zweck des
lukanischen Doppelwerkes: Der „Menschensohn" in der lukanischen
Christologie; Stephanus, die Hellenisten und Samaria. Es ist im
Rahmen dieser Rezension natürlich nicht möglich, auf die Vielfalt der
Texte, Themen und Problembereiche einzugchen, auf die sich Schneider
eingelassen hat. Allein der auslegungsgeschichtliche Ort des
Bochumer Neutestamcntlers im Spektrum der Lukasexegese kann
hier kurz angedeutet werden. Unter diesem Gesichtspunkt soll dann
noch einmal einer der neu publizierten Aufsätze skizzenhaft vorgestellt
werden.

Der historische Ort von G. Schneider als Lukas-Ausleger läßt sich
leicht aus dem (wohl insofern programmatischen) Titel des Aufsatzbandes
entnehmen: Lukas. Theologe der Hcilsgcschichte. Dieser Titel
signalisiert, daß Schneider einen Konsens der jüngeren Lukasexegese
in zweifacher Hinsicht teilt: Einerseits wird ja seit Beginn der fünfziger
Jahre nicht mehr nur nach Lukas als Schriftsteller bzw. Historiker,
sondern gerade auch nach ihm als Theologen gefragt (Ausgangspunkt
war wohl Vielhauers Aufsatz zum ., Pau 1 i n ismus" der Apostelgeschichte
). Andererseits lief nach eher irreführenden Begriffen (Käsemanns
„Frühkatholizismus" etwa) die inhaltliche C harakterisierung
der lukanischen Theologie auf ein Konzept von Heilsgeschichte hinaus
, das durch das Epochenschema Conzclmanns zu einem epochalen
Deutungsraster der lukanischen Theologie wurde. Schneider knüpft
an diese fundamentale Ortsbestimmung des lukanischen Gcschichts-
werkes an, bemüht sich freilich darum, „dogmatische" Verengungen
zu vermeiden. So denkt er z. B. das dem lukanischen Konzept ja nur
immanente hcilsgeschichtliche „Schema" deutlicher als Conzclmann

von den Bezugsgrößen „Verheißung und Erfüllung" her und vermeidet
auch eine zu starre Abgrenzung der drei Epochen (Israel-Jesus-
Kirche) gegeneinander. Verbindende Elemente (etwa die Gottesreich-
verkündigung Jesu und in der Zeit der Kirche) spielen für Schneider
eine wesentliche Rolle. Die differenzierende und weiterführende
Kontinuität zur jüngeren Lukasexegese Schneiders zeigt sich etwa
auch im Methodischen (Redaktionsgeschichte).

In dieser Hinsicht kann gerade auch einer der neu publizierten Aufsätze
in derrt Sammelband Schneiders Position und Arbeitsweise
schön verdeutlichen. In einer souveränen Analyse der politischen
Anklage gegen Jesus im lukanischen Kontext selbst und auf dem Hintergrund
des Markusevangeliums zeigt Schneider überzeugend, daß
diese politische Anklage gegen Jesus in Lk 23,2 als eine lukanische
Komposition auf der Basis des markinischen Materials zu verstehen
ist. Lukas habe gar das Material seiner Markusvorlage „rekonstruierend
zu einer konkreten Anklage der Juden vor Pilatus redigiert"
(183). Und die darstellerische Absicht dieser bei Lukas nun politisch
zugespitzten Anklage gegen Jesus sieht Schneider in dem lukanischen
Interesse an politischer Apologie gegenüber dem römischen Staat. In
Aufnahme früherer Erwägungen (hier: S. 22-25) geht es Lukas nach
Meinung von Schneider darum, „die" Juden als solche darzustellen,
die Jesus verleumderisch politischer Rebellion bei Pilatus beschuldigen
, während sie umgekehrt selbst den Aufruhr billigen und betreiben
(183).

Diese Argumentation findet man grundsätzlich schon bei Conzel-
mann. Und ich meine, daß Schneider in seinem Aufsatz über den
„Zweck des lukanischen Doppelwerkes" darüber schon hinaus war.
Geht es wirklich um politische Apologetik gegenüber Rom? M. E.
macht die unpräzise Generalisierung: „die" Juden beschuldigen
Jesus . . . das historische Verstehen des lukanischen Interesses schwer.
Bei Lukas steht doch die politisch-religiöse Führung Jerusalems in
einem Gegensatz zu Israels Messias - nicht allgemein „die" Juden.
Und während Pilatus als Statthalter Roms und Herodes als Landesherr
Jesu darüber zu politischen „Freunden" werden, daß sie Jesus als
vermeintlichen Usurpator messianischer Königswürde harmlos
(Herodes) bzw. im Sinne der Anklagen unschuldig (Pilatus) einschätzen
, bleibt nur Jerusalems Führung an Jesu Eliminierung interessiert
. In der lukanischen Darstellung erweist sich dann Roms Oberbeamter
sogar als so schwach, daß er der Führung Jerusalems (und
Volksmenge) entgegen seiner eigenen (besseren!) Einsicht nachgibt
und Jesus statt eines wirklichen Aufrührers (Barrabas) kreuzigen läßt.
Mit dieser Darstellung von Jesu Tod beruhigt man aber kaum den
römischen Staat, sondern allenfalls das eigene Gemüt. Schneider hatte
denn auch in seinem erwähnten Aufsatz gesehen, daß die vermeintlich
politische Apologetik des Lukas gegenüber Rom tatsächlich eine
innerchristliche Problematik aufzeigt (vgl. S. 25). Man wird den
Zusammenhang der deutlich national-politisch gefärbten Messianolo-
gie des Lukas mit der theologischen und historischen Lage seiner
Christenheit berücksichtigen müssen. Verliefen nicht in den Augen
des Zeitgenossen Jesu eigenes Schicksal und das Jerusalems/Israels
seltsam parallel? War Jesus auch einer der gescheiterten Messiasprätendenten
(Apg. 5.33fT; vgl. Lk 24,19-21)? Apologie? - ja, aber
nicht gegenüber Rom, sondern gegenüber Zweiflern in den eigenen
Reihen (vielleicht gerade als Ergebnis des „Dialogs" mit der Synagoge
). Der Rcz. versteht seine Fragen als Tribut an Schneiders
anregende Analyse.

Ncuendcttelsau Wolfgang Stegemann

Wegner. Uwe: Der Hauptmann von Kafarnaum (Mt 7,28a; 8,5-10.1 3
par Lk 7,1-10). Ein Beitrag zur Q-Forschung. Tübingen: Mohr
1985. XI. 522 S.gr. 8" = WUNT,2. Reihe. 14. Kart. DM 79.-.

Die Tübinger Dissertation zur vom Vf. als HP abgekürzten Haupt-
mannsperikope besitzt in Anlage und Durchführung viele Vorzüge.
Der Stil ist gut lesbar. Die Ergebnisse werden klar formuliert. Wo