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Ausgabe:

1987

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 7

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im Glauben getragen könnte diese Spannung ein „Hoffnungszeugnis"
(S. 17) sein.

Für den vorliegenden Band ist Herausgebern und Autoren zu
danken. Eine Fortsetzung der Bemühung wäre zu wünschen. Andere
Meditationen, in denen das Anliegen punktuell auch lebt, z. B. GPM
zum 10. S. n. Trin. seit 1959, machen die Bemühung noch nicht überflüssig
. Es ist zu begrüßen, wenn weiterhin verschiedene Auffassungen
nebeneinander stehen, wie hier R. Rendtorff/A. H. Baumann; es löst
produktive Fragen aus und das eigene Urteil theologischer Leser. -
Stichworte wie „lehrhaft", „Lernprozeß", „Lehrpredigt" (S. 24, 67,
83) lassen noch nach anderen Formen der Gemeindearbeit Ausschau
halten, Glaubensseminare, Gesprächskreise usw.

Wenn die beigebrachten Belege jüdischen Glaubens sich der
Stimme Ehrlichs folgend noch stärker auf heute lebende Juden beziehen
, wird die Grenze zu den Dialog-Bibelarbeiten der Arbeitsgruppe
des Kirchentages offen, auch aus Sachgründen. So lesen auch die
heute lebenden Juden die hebräische Bibel.

Der Titel des Buches, Richtungsprogramm und Schlagwortabkürzung
zugleich, kann provozieren. Wessen Gegenwart bestimmt unser
Predigen? Ich hoffe auf Zustimmung von Herausgebern und Autoren,
wenn ich den Titel unabgekürzt so verstehe: Für Menschen in ihrer
Lebenssituation predigen aus der Gegenwart Jesu Christi, des lebendigen
Gekreuzigten - im Wissen um die Gegenwart Israels und seiner
Geschichte in den heute lebenden Juden.

Magdeburg Christoph Hinz

Neusner, Jacob: Our Sages, God, and Israel. An Anthology of the
Talmud ofthe Land of Israel. Chappaqua, NY: Rossel Books 1984.
XXXIX, 181 S.8*. Lw.$ 19.95.

Der stattlichen Reihe seiner populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen
hat Jacob Neusner ein liebevoll zusammengestelltes Flori-
legium aus dem Palästinischen Talmud hinzugefügt. Berücksichtigt
werden rabbinische Diskussionen, die sich vornehmlich mit dem Verhältnis
Gottes zu Israel auf dem Hintergrund der geschichtlichen
Erfahrung und der jeweiligen geschichtlichen Gegenwart befassen.
Die wiedergegebenen Textabschnitte werden in einer Themenreihe
geboten, die mit Äußerungen zum Tod beginnt und mit Erörterungen
über die messianische Erwartung schließt. Die Talmudtexte, die einen
gleichermaßen interessanten und bewegenden Einblick in das jüdische
Selbstverständnis in der Zeit zwischen 300 und 400 n. Chr.
gewähren, werden umsichtig durch eine ausführliche Einführung und
durch Zwischenbemerkungen erläutert sowie durch zwei Register
erschlossen.

K.-H.B.

#

l.apide. Pinchas: Die zehn Freiheiten vom Sinai (Diakonie 13,1987, 5-11).
Nave Levinson. Pnina: Die Ordination von Frauen als Rabbiner (ZRGG 38,
1986,289-310).

Rebell, Walter: Mystik und personale Begegnung bei Martin Bubcr(ZRCi(i
38. 1986.345-358).

Schäfer, Peter: Adam in der jüdischen Überlieferung (In: Strolz. W.: Vom
alten zum neuen Adam, S. 69-93).

Neues Testament

Gundry, Robert H.: Matthew. A Commentary On His Literary And
Theological Art. Grand Rapids, MI: Eerdmans 1982. XVIII, 652 S.
gr.8". Lw.$ 24.95.

Der Rezensent hat sich zunächst einmal dafür zu entschuldigen,
daß die Besprechung dieses wichtigen Buches so lange liegen geblieben
ist. Denn wichtig ist dieses Buch: (iundry, eher dem evangelikalcn
Flügel amerikanischer Exegetcn zugehörig, legt hier einen ausführlichen
Matthäuskommentar vor, der an verschiedenen Punkten in
Erstaunen versetzt und jedenfalls sehr lehrreich ist. Dem Kenner
seines älteren Buches über die matthäischen Erfüllungszitate, das
Matthäus als einen "note taker" der Geschichte Jesu beschreibt',
dessen Material die Synoptiker benützten, fällt auf, daß sich Gundry
zu einem konsequenten Verfechter der Zweiquellenhypothese gewandelt
hat. In seinem Kommentar exegesiert er das Matthäusevangelium
redaktionsgeschichtlich. Er interpretiert detailliert alle matthäischen
Veränderungen gegenüber dem Markusevangelium und der Logien-
quelle Q. Das evangelikale Erbe des Vf. zeigt sich m. E. darin, daß fast
jedes Detail im kanonischen Text, d. h. fast alle redaktionellen Veränderungen
des Matthäus, einen theologischen Sinn ergeben. Mit
bloß stilistischen Variationen oder bedeutungslosen Änderungen
rechnet er kaum. Eben dies macht Gundrys Buch auch produktiv:
Wer in der Deutung nicht so weit gehen will, hat in Gundry einen hilfreichen
und unerbittlichen Gesprächspartner.

Das Ausmaß der redaktionellen Tätigkeit des Evangelisten wird
hoch angesetzt. Das zeigt sich nicht nur bei Gundrys recht optimistischer
Auswertung des matthäischen Vorzugsvokabulars, sondern vor
allem an Einzelheiten seiner Quellentheorie: Für Gundry umfaßt Q
nicht nur die eigentlichen Doppeltraditionen, sondern alle Traditionen
, die in irgendeiner Weise Parallelen in den Großevangelien
haben, z. B. die Geburtsgeschichten. Versteht man den Evangelisten
Matthäus in diesem Sinn als Redaktor seiner Quellen, so wird deutlich
, daß seine Redaktion mindestens (und nur!) passagenweise außerordentlich
frei gewesen ist. Gundry versteht das Matthäusevangelium
als einen „Midrasch" älterer Jesusgeschichten, wobei unter
„Midrasch" nicht im Sinn des späteren rabbinischen Begriffs eine
Schriftauslegung verstanden wird, sondern eine neu erzählte alte
Geschichte. Etwa der Chronist, Pseudophilo, der Verfasser der Jubiläen
oder Josephus in den Antiquitates sind Midraschisten ihrer
Geschichten gewesen und darin Matthäus vergleichbar. Gundry rechnet
also mit z. T. weitgehender Freiheit des Evangelisten, die sich z. B.
in den Geburtsgeschichten aufgrund relativ weniger geschichtlicher
Daten und biblischer Anhaltspunkte in typisch matthäischer Sprache
(alttestamentlicher Stil, Parallelismen, mt Vorzugsvokabular) entfaltet
. Matthäus ist also ein Schriftsteller, besser ein Verkündiger, der in
jüdischem Stil seine Traditionen „verschönert" und anpaßt und so
deutlich macht, daß sie keine Fossilien, sondern lebendige Traditionen
sind.

Das Verfahren weckt Fragen: Wer Matthäus so verstehen will, wie
es Gundrys Kommentar nahelegt, muß eigentlich das Markusevangelium
und die Logienquelle auswendig können, um die matthäischen
Änderungen wirklich zu erfassen. Gundry deutet den Text kaum
synchron, d. h. kaum als ganze, integre Geschichte, sondern nur
diachron, von der Redaktion her. Nun ist das sicher nicht falsch, denn
Matthäus erzählte ja Geschichten neu, die seinen Lesern bereits
bekannt waren. Dennoch scheint es mir überzogen, die diachrone
Dimension so einseitig in den Vordergrund zu stellen. Weiter: Die
schriftstellerische Imagination des Midraschisten Matthäus wird sehr
großgeschrieben. Warum ist es z. B. nötig, daß die Petrusepisode Mt
14,28-31 ein rein redaktioneller Midrasch ist und nicht auf mündlicher
Tradition beruht (vgl. auch Joh 21,7ff)? Oder: Warum gibt es
bei der Erklärung der Geschichte vom Tod des Judas anscheinend nur
die Alternative zwischen matthäischer Schöpfung und historischer
Tradition? Warum ist G. offensichtlich nicht bereit, der Gemeinde
vor Matthäus eine ähnliche Kreativität zuzubilligen wie dem Evangelisten
? Gundry ist gegenüber der Formgeschichte sehr skeptisch. Aber
angesichts seiner eigenen Thesen zu Matthäus erscheint seine Zurückhaltung
an diesem Punkt nicht mehr ganz verständlich - auch wenn
zuzugeben ist, daß wir über den Evangelisten natürlich viel mehr
wissen als über alle uns unbekannten Tradenten vor ihm. Die Fragen
wollen keine Gegenthesen aufstellen. Sie wollen nur sagen: Gundrys
Kommentar ist nicht einfach ein „offener", rein wissenschaftlicher
Kommentar, sondern auch er basiert auf sehr vielen nicht ausdiskutierten
Vorentscheidungen, die neben den vielen guten Beobachtun-