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Ausgabe:

1987

Spalte:

491-492

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Mehnert, Gottfried

Titel/Untertitel:

Evangelische Presse 1987

Rezensent:

Brenner, Beatus

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Seite 1

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491

Theologische Literaturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. 7

492

Luthers theologischen Schrillen vorsichtiger werden lassen muß. Vielleicht
verschaffen jedoch die vorliegenden oder im Gang hefindlichen
biographischen Zugriffe auf Luther eine Basis für die Erarbeitung
einer neuen Darstellung von Luthers Theologie. - Besonders notiert
werden soll eine Bitte, die Junghans vorträgt: Neufunde von Exemplaren
von Lutherdrucken, die nicht bei Benzing oder Claus-Pegg notiert
sind, sollten an eine der S. 56 angegebenen Anschriften gemeldet
werden. Als Desiderate verzeichnet Junghans einen Katalog der
Lutherhandschriften und - im Anschluß an die Arbeit von H. U. De-
lius - ein Buch „Die altkirchlichen Quellen Martin Luthers". Im
übrigen eignet sich die große Sammelrezension von Junghans ausgezeichnet
als Einstieg in die Beschäftigung mit Luther nach dem gegenwärtigen
Stand der Forschung.

Obwohl Junghans darauf hinweist, daß die Lutherbibliographie
sich bereits seit 1978 in der Aufnahme von Titeln beschränken mußte
- unsignierte Lexikonartikel und Geschichtsbücher für Schulen wurden
nicht mehr aufgenommen - und inzwischen die bloße Erwähnung
von Luthers Namen oder die beiläufige Beschäftigung mit ihm nicht
mehr als hinreichende Begründung für die Aufnahme in die Lutherbibliographie
gilt, umfaßt die Lutherbibliographie dieses Jahrgangs
wiederum mehr als 1 700 Titel. Wie ein auch nur flüchtiger Einblick
zeigen kann, ist an dieser Anzahl das Ereignis des Jubiläumsjahrs
maßgeblich beteiligt. Erwägt man die Zusammensetzung der Titel, so
läßt es sich erahnen, welche Umsicht und Aufmerksamkeit aller am
Zustandekommen der Bibliographie Beteiligten notwendig ist, um
diese Dokumentation Jahr für Jahr zu erstellen. Dafür muß ihnen
immer wieder gedankt werden.

Auch der Buchbesprechungsteil dieses Jahrgangs ist zum großen
Teil durch Veröffentlichungen geprägt, die im Umkreis des Jahres
1983 entstanden sind.

Aus einer 1982 an der Martin-Luther-Universität Halle eingereichten
theologischen Dissertation ist der Beitrag von Martin Treu ,,Die
Bedeutung der consolatio für Luthers Seelsorge bis 1525" entstanden
(S. 7-25). Treu versteht die Füllung des Trostbegriffs durch Luther als
„die spezifisch poimenische Dimension seiner Rechtfertigungslehre".
Das leuchtet ein, wenn man die Begriffsfelder verfolgt, die für die Ausarbeitung
des Trostverständnisses durch Luther maßgebend sind (Anfechtung
, Leiden, Gewissen). Nach Treu spielt der Aspekt der
Befreiung des Gewissens für Luther eine Schlüsselrolle. Ist es ein Zufall
, daß, wenn ich recht sehe, der Gesichtspunkt, daß der Mensch
Kampfplatz zwischen Gesetz und Evangelium ist, in der Darstellung
keine Rolle spielt?

Die Reihe der „Länderberichte" über Lutherforschung wird fortgesetzt
mit einem Beitrag von Kenneth Hagen „Luther in Norway'J
(S. 31-54). Er ist interessant durch die aufgezeigte Korrespondenz
zwischen Zeitstimmung und Lutherbild, die (auch) für die Beschäftigung
mit Luther in Norwegen kennzeichnend ist. Hagen resümiert
seinen Beitrag durch die Beobachtung, daß die norwegische Lutherforschung
der letzten Generation ihr Profil nicht an der Beschäftigung
mit dem jungen Luther, sondern an der Beschäftigung mit dem Gegensatz
zwischen Luther und dem Mittelalter gewonnen hat.

Anzuzeigen ist schließlich die kommentierte Veröffentlichung des
wieder aufgetauchten Wortlauts des Briefes des Kurfürsten Johann
Friedrich an Luther. Bugenhagen und Melanchthon vom 13. Dezember
1543.

Leipzig Ernst Koch

Mehnert, Gottfried: Evangelische Presse. Geschichte und Erscheinungsbild
von der Reformation bis zur Gegenwart. Bielefeld:
Luther-Verlag 1983. 419 S. 8° = Evang. Presseforschung, 4. Kart.
DM 70,-.

Das vorliegende Buch schließt eine Lücke in der Erforschung
der evangelischen Presse. Der Vf. hat mit unglaublichem Fleiß das
umfangreiche Quellenmaterial von fast fünf Jahrhunderten mit der
Absicht zusammengetragen und ausgewertet, um „alle charakteristischen
zeittypischen und epochenprägenden Erscheinungsformen
der evangelischen Pressegeschichte zu erfassen" (S. 9).

Von den Flugschriften der Reformationszeit über die Moralischen
Wochenschriften des 18. Jh. bis hin zu der Entwicklung evangelischer
Presse im 19. und 20. Jh. bietet das Buch eine Fülle historischer
Details. Es ist mit Ausnahme der letzten beiden Kapitel XII und XIII
gleichsam als eine geschichtsphänomenologisch ausgerichtete Bestandsaufnahme
des evangelischen Pressewesens konzipiert.

Das Buch läßt'sich als ein Gang durch die Entwicklungsstadien des
sich wandelnden Selbstverständnisses der evangelischen Presse lesen.
An den einzelnen Rechtsträgerschaften, ihren Organisationsformen
und den sie vertretenden Persönlichkeiten zeichnet der Vf. das jeweilige
Selbstverständnis evangelischer Presse nach.

Lesenswert ist u. a. das Kapitel über die Moralischen Wochen-
schrillen, die, so der Vf., ausschließlich in protestantischen Gebieten
erschienen sind und als Zeugnisse der protestantischen Kultur- und
Geistesgeschichte betrachtet werden können. Hier werde die traditionelle
bibelorientierte Erbauungs- und Traktatliteratur und die neue
weltoffene Publizistik des 18. Jh. miteinander verschmolzen. Der Vf.
stellt fest, daß damit die Grundlagen für die weitere Entwicklung der
evangelischen Presse gelegt worden seien.

Lesenswert ist auch das Kapitel über die „Ära Hinderer". Der Vf.
kennzeichnet den Leiter des Evangelischen Preßverbandes für
Deutschland, August Hinderer, als den Mann, der zwischen den
beiden Weltkriegen die gesamte evangelische Presse in neue Bahnen
gelenkt hat. Er erinnert an Hinderers Parole „Von der Pressearbeit zur
Öffentlichkeitsarbeit der Kirche", und es gelingt ihm, den Spannungs-
bogen der Arbeit Hinderers nachzuzeichnen, die bis in das Gebiet der
Volksbildung und der Kulturpolitik hineinreichte.

Allerdings zeigt sich schon in diesem Kapitel IX, zunehmend aber
in den folgenden, die Grenze einer rein geschichtsphänomenolo-
gischen Beschreibung des evangelischen Pressewesens: Die theologische
Auseinandersetzung um den Stellenwert evangelischer Publizistik
in der Kirche läßt der Vf. kaum zu Wort kommen. So erhält der
Leser fast keinen Einblick in die fundamentalen Kritikpunkte der
„dialektischen Theologie" an der Pressepolitik Hinderers, die teilweise
bis in die Gegenwart hinein zu hören sind.

Hilfreich wäre es auch gewesen, wenn die mitunter sehr kontrovers
geführten Debatten - etwa um die Presse als der verlängerte Arm der
Kanzel, um das kirchliche Wächteramt oder um den Öffentlichkeitsauftrag
der Kirche - in Geschichte und Erscheinungsbild des evangelischen
Pressewesens seit 1945 eingezeichnet worden wären. Theologische
Sachzusammenhänge hätten so aufgezeigt und zugleich einer
kritischen Würdigung unterzogen werden können. Für eine noch
immer ausstehende Theologie der Publizistik wären damit wichtige
Vorarbeiten geleistet worden.

Der Vf. wählt einen anderen Weg. In seinem XII. Kapitel versucht
er sich in einer eigenen systematischen Würdigung der Publizistik in
Kirche und Theologie. Seine „Ideen" allerdings zu einer Theologie
der Publizistik überzeugen wenig. Im wesentlichen beschränkt er sich
hier auf die Begriffe der Kommunikation und der Öffentlichkeit. Es
liegt nahe, daß der Vf. mit diesen beiden Begriffen und im vorgegebenen
Rahmen zu den eigentlichen theologischen Kernfragen weder
vorstoßen noch den Sitz der Publizistik im Leben der Kirche und der
biblischen Botschaft auch nur annähernd aufspüren konnte.

Kapitel XIII schließlich über „Publizistik und Religion" sprengt
den Rahmen der Abhandlung über das evangelische Pressewesen
vollends und verwirrt u.a. mit seinen Ausführungen über Religion
und religiöse Symbole wie Fahnen, Fetische und Götterbilder im vorgegebenen
Zusammenhang mehr, als es je klären könnte.

Sieht man von diesen beiden Schlußkapiteln ab, so ist das Buch ein
wertvolles Kompendium über die geschichtliche Entwicklung des
deutschsprachigen evangelischen Pressewesens. Wer historische De-
failinformationen und keine neuen theologischen Sacheinsichten
sucht, findet in diesem Buch ein brauchbares Nachschlagewerk.
Bensheim Beatus Brenner