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Ausgabe:

1987

Spalte:

469-473

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Titel/Untertitel:

Gottes Friede den Völkern 1987

Rezensent:

Krusche, Günter

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Theologische Literaturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. 6

470

Ökumenik: Allgemeines

Lohse. Eduard, u. Ulrich Wilckens [Hg.]: Gottes Friede den Völkern.
Dokumentation des wissenschaftlichen Kongresses der Evang.
Kirche in Deutschland und der Nordelbischen Evangelisch-
Lutherischen Kirche vom 17. bis 19. Juni 1984 in Kiel, hg. in
Zusammenarb. mit S. Borck u. R. Schloz. Hannover: Lutherisches
Verlagshaus 1984. 413 S. m. 13 Abb. 8 Kart. DM 28,-.

Ein halbes Jahr nach dem Scheitern der Genfer Verhandlungen
über Mittelstreckenraketen in Europa und ein Jahr nach der VI. Vollversammlung
des ORK in Vancouver hatten die EKD und die
Ev.-Luth. Kirche Nordelbiens Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland
, aus den beiden deutschen Staaten, aus der Dritten Welt und der
ökumenischen Bewegung im Juni 1984 zu einem wissenschaftlichen
Kongreß eingeladen, der unter dem Thema stand: ,.Gottes Friede den
Völkern", unter deutlicher Bezugnahme auf Eph 2,14. wie die Eröff-
nungspredigt des damaligen Ratsvorsitzenden der EKD, Landesbischof
Lohse, aufwies. Der Kongreß, der im Rahmen der „Kieler
Woche" stattfand und durch die Anwesenheit zahlreicher Journalisten
die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenkte, sollte der
Besinnung auf „Grundfragen des Friedens" dienen. Dazu waren nicht
nur Theologen, sondern Politologen, Militärwissenschaftler, aktive
Politiker und Militärs wie auch Friedensforscher und Repräsentanten
der Friedensbewegung eingeladen. Das breite Spektrum der vorgetragenen
Standpunkte und Meinungen macht die Lektüre lohnend,
wenngleich die Fülle der Beiträge in ihrer Komplexität es schwer
macht, einen gemeinsamen Nenner zu finden, und gleich gar nicht
einen Konsensus.

Immerhin: Der Sammelband macht deutlich, daß das von den Veranstaltern
angestrebte Ziel, „die militärische Konfrontation zu überwinden
, den Stellenwert nuklearer Abschreckung zu mindern und
Elemente gemeinsamer Sicherheit zu stärken" (7), den Dialog
zwischen den „unterschiedlichen politischen Kulturen und Standpunkten
" erzwingt. Die ungelöste Spannung zwischen Prophetie und
Politik, welche die Friedensdiskussion aufgrund der elementaren
Betroffenheit aller in Atem hält (vgl. meine Besprechung von
Wischnath, Rolf [Hg.], Frieden als Bekenntnisfrage. Zur Auseinandersetzung
um die Erklärung des Moderamens des Reformierten
Bundes „Das Bekenntnis zu Jesus Christus und die Friedensverantwortung
der Kirche", Gütersloh 1984in:EK 18, 1985, Heft 4), macht
es schwer, zwischen theologischer Ethik und Realpolitik zu vermitteln
. Dem wollte der Kongreß „den Sinn für Näherungslösungen"
entgegensetzen, um wenigstens kleine, aber konkrete Schritte in
Richtung auf eine Friedensordnung zu ermöglichen. Die Aufgabe der
Operationalisierung ethischer Aussagen wurde nicht aus dem Blick
verloren. Die komplexe Fülle des dargebotenen Materials spiegelt die
Komplexität und Kompliziertheit der Friedensdiskussion wider.

Auf den einführenden Eröffnungstcil folgen vier Hauptvorträge
(25IT)- Das Thema „Christliche Friedensethik und die Lehre vom
gerechten Krieg" wird von Trutz Rcndtorff (München) in sozial-
elhischer, von Jost Delbrück (Kiel) in völkerrechtlicher Sicht behandelt
. Rcndtorff geht „die Gretchenfrage der Friedensethik" so an,
daß sie nicht als Zielangabc, sondern als „Probierstein für die Argumente
" benutzt wird. R. stellt heraus, daß es bei der Lehre vom
gerechten Krieg ursprünglich nicht um die Rechtfertigung des Krieges
ging und erst recht nicht gehen kann, sondern daß sie zur Limitierung
der Gewalt und zur Anwendung des Rechts im Kriegsfall dienen
sollte. Die Lehre vom gerechten Krieg „zielte auf die Zuordnung des
Krieges zum Recht" (32), aber „als allgemeine Regel für menschliches
und politisches Handeln kann und darf Gewaltanwendung und Krieg
nicht gelten" (ebd.). R. schlußfolgert: „Krieg ist nicht aus sich selbst
zu rechtfertigen, sondern allein vom Frieden her." Nach einer Darstellung
des „Profils der Lehre vom gerechten Krieg" beschreibt R. die
Krise dieser Doktrin im Zeitalter des Nuklcarkricgcs. durch den die
„Proportionalität von Mittel und Zweck"(38) nicht mchrgegeben ist.

Sie besteht aber seiner Meinung nach vor allem darin, daß eine für alle
Konfliktpartner verbindliche Friedensordnung nicht mehr gegeben
ist, sondern daß der Krieg damit gerechtfertigt wird, daß erst die Überwindung
der falschen Ordnung, einer Unrechtsordnung beispielsweise
, bzw. die Beseitigung unmenschlicher Verhältnisse in einem
bestimmten Teil der Erde den „wahren Frieden" herbeiführe. Durch
solche Ideologisierung gewinnt der Krieg den Charakter eines „Weltkrieges
", ja „das Pathos des letzten Krieges" (39). Schon aus diesem
Grunde muß die Lehre vom gerechten Krieg zu einer „Lehre vom gerechten
Frieden" fortentwickelt werden. Deshalb wird die Verhinderung
des Krieges zu einem ethischen Ziel ersten Ranges, denn
„ein gerechter Krieg kann uns heute nicht mehr als Weg zum gerechten
Frieden gelten" (43). Die Aufgabe der Kirchen sieht R. darin, „zu
verkündigen und zu bekräftigen, daß es sinnvoll ist und nicht ohne
Hoffnung, sich für eine neue Perspektive des Friedens in der Welt einzusetzen
" (46). Jost Delbrücks Beitrag (49ff) stellt ein wichtiges
Pendant zu RendtorlTs Ausführungen dar. Er rekapituliert in prägnanter
Kürze die wesentlichen Elemente der bellum-iustum-Lehre
(auetoritas prineipis, causa iusta, recta intentio) und erörtert dann ihre
Relevanz im gegenwärtigen Völkerrecht, das stärker vom prinzipiellen
Gewaltverbot bestimmt ist als die klassische Lehre vom gerechten
Krieg (54ff). Das geltende Völkerrecht schließt den Krieg - übrigens
auch den Präventivkrieg - als Mittel der internationalen Politik
grundsätzlich aus (57). Aus dieser Sicht ist auch die Selbstverteidigung
im Sinne von Notwehr kein „gerechter Krieg", sondern eine Nothilfemaßnahme
, wie sie einzig gegen strafbare Handlungen erlaubt ist.
Eine Übernahme der bellum-iustum-Lehre sieht D. ebenfalls dadurch
kaum denkbar, daß in einer pluralistischen Staatengemeinschaft
universale Kriterien kaum Gültigkeit beanspruchen könnten. Insofern
müssen Ansätze zu einer „Renaissance der bellum-iustum-
Lehre" (59ff) mit Argwohn betrachtet werden, wie Beispiele aus der
jüngsten Vergangenheit lehren, die zeigen, daß die Konstruktion einer
iusta causa leicht zur Rechtfertigung aggressiver Handlungen dienen
kann. Die eklatante Schwäche der Vereinten Nationen unterstützt die
Öffnung des Völkerrechts für Gewaltanwendung zur Durchsetzung
gerechter Verhältnisse (z. B. in Befreiungsbewegungen). D. warnt
jedoch mit guten Gründen vor einer weiteren Aushöhlung des Gewaltverbots
. „Angesichts des Mangels an objektiven Wertmaßstäben
in der Staatengesellschaft würde eine . . . Öffnung des Völkerrechts
gegenüber dem Ersteinsatz von Gewalt für bestimmte iustae causae
den Damm des Gewaltverbots allgemein rasch brechen lassen" (60).
Das Völkerrecht muß der „Priorität der Friedenssicherung" (61) verpflichtet
bleiben.

Randal Forsberg, Direktorin des Instituts für Vertcidigungs-und
Abrüstungsstudien in Brookline, MA, ist in ihrem Beitrag auf
praktische Schritte orientiert: ..Realität und Ideen - auf dem Wege
zur Realisierung der Utopie des Friedens" (63ff). Frau Forsberg ist
dem Gedanken einer Friedensstrategie verpflichtet: Die Utopie des
Friedens kann nicht ohne weiteres als Ziel praktischer Schritte ausgegeben
werden. Zu ihrer Verwirklichung bedarf es der Analyse der
wirksamen Faktoren, deren Interdependenz Prioritätensetzung nötig
macht. Wir können nicht alles auf einmal tun, wiewohl alles mit allem
zusammenhängt. Der erste Schritt ist die Darstellung des bestehenden
militärischen Systems. Wichtig erscheinen mir vor allem zwei der
beschriebenen Faktoren: (1) Die Bedeutung des Verhältnisses
zwischen den Großmächten für die Situation in der Dritten Welt und
(2) die Bedeutung des Vorhandenseins der konventionellen Waffen für
die Operationen mit Nuklcarwaflen. Eine „ganzheitlichc" Sicht also,
die alle wirksamen Faktoren in den Blick zu nehmen sucht. Am Ende
des darstellenden Teils wird der Trend zu Fortschritten in der Militär-
tcchnologic als friedensbedrohender Faktor angesprochen: „Unter
Präsident Reagan hat die herkömmliche Politik, Überlegenheit anzustreben
in der Fähigkeit, mit nuklearen Entwaffnungsschlägen zu
drohen, die Oberhand gewonnen" (68). Als Haupthindernis auf dem
Weg zur Abrüstung sieht F. die auf wechselseitiger Furcht basierende
Bereitschaft zur Abschreckung, die den Rüstungswettlauf in Gang