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Ausgabe:

1987

Spalte:

462

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Tschirch, Reinmar

Titel/Untertitel:

Wo bist du, Gott? 1987

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 6

462

hen" (2Q. Der Autor will diese These liturgiegeschichtlich hinterfragen
, die schon Jungmann selbst 1962 modifizieren mußte durch
Anerkennung zweier unterschiedlicher „Sichtweisen des einen Christusmysteriums
" in Ost und West, „die mehr empfangende des
Morgenlandes und die tätig-antwortende des Abendlandes", und
zugleich pastoral-liturgisch „den Reichtum, den die Liturgien der
Ostkirchen enthalten, an einem Beispiel . . . erschließen" (4).

So wird im ersten Teil die griechische Gregoriusanaphora vorgestellt
, im zweiten kommentiert. Im dritten Teil werden die theologiegeschichtlichen
und im vierten die liturgiegeschichtlichen Zusammenhänge
aufgezeigt.

Dabei zeigt sich, daß die Epigraphie dieser Anaphora durchaus zu
Recht besteht. Entweder ist Gregor von Nazlanz (t 381) selbst Autor
einer Liturgie, die uns hier in der Fassung eines Redaktors aus dem
5. Jh. vorliegt, oder ein mit den Schriften Gregors vertrauter Theologe
hat im 5. Jh. im Geiste des Kirchenvaters und zugleich unter Versöhnung
verschiedener christologischer Konzeptionen dies Formular
verfaßt (109f, 167, 245). Vieles spricht dafür, daß Proclus von Konstantinopel
(t 446) dieser Endredaktor bzw. Verfasser im Sinne
Gregors gewesen ist (passim, 245).

Wichtiger als die Verfasserfrage ist die theologische Leistung des
Endredaktors. Gerhards weist überzeugend nach, daß es sich bei der
Christusanrede aller Vorstehergebete dieser Anaphora nicht um
monophysitische Theologie (eher schon antiarianische, mit Kretsch-
mar, 12) handelt, sondern um das liturgische Ergebnis theologischer
Harmonisierung unterschiedlicher, schon im Neuen Testament
bei Paulus und Johannes angelegter Christologien (109f, 130,
142f, 2430- Die Christusanrede hängt zugleich eng zusammen mit der
in der Gregoriusliturgie intendierten Konvergenz der antiochenisch-
byzantinischen und der ägyptischen Liturgiefamilie des4./5. Jh.,d. h.
des „anamnetischen" mit dem „epikletischen Typ". „Von Haus aus
eine .anamnetische Anaphora', die das Abendmahlsgeschehen in den
Zusammenhang der Heilsgeschichte stellt, ergänzt (die Gregoriusanaphora
) diese Sicht durch diejenige der .epikletischen Anaphoren',
die das aktuelle Handeln Gottes (um das sie bitten) gegenüber dem
virtuellen (kraft der Heilstat Christi) betonen . . . Christus ist hier
nicht nur Mittelpunkt der Anamnese, sondern auch Adressat der
Bitte." (175) So hat die Christusanrede weittragende Konsequenzen:
„Christus als der universale Heilbringer bewirkt das Heil einst und
jetzt. Die Aktion der Kirche tritt demgegenüber zurück. Wie Christus
schon vorher um Annahme des Lobes gebeten wurde (Sanctus-Einlei-
tung), so werden die Gaben vor ihn gebracht, damit er das Begonnene
vollende." (243)

Diese Sicht ist, obgleich singulär in nur einer der vielen - allerdings
heute noch an Festtagen in der koptischen Kirche gefeierten - orientalischen
Liturgien konsequent in das Eucharistiegebet umgesetzt, von
eminenter Bedeutung nicht nur für die weitere Annäherung und
gegenseitige Bereicherung der orthodoxen und römischen Liturgik in
Theologie und Spiritualität, sondern auch für einen tieferen Zugang
reformatorisch orientierter Theologie zu diesem komplexen altkirchlichen
Erbe.

Die Vorgeschichte der Christusanrede in der Gregoriusanaphora
kann nach den in diesem Werk vorgelegten Untersuchungen heute
nicht mehr mit Jungmanns bis zuletzt durchgehaltener These dargestellt
und gedeutet werden, das ist das dritte bedeutende Ergebnis. Für
Jungmann war das an Christus gerichtete Gebet - trotz sekundärer
bzw. nicht großkirchlicher Ausnahmen - „bis ins vierte Jahrhundert
zwar im Beten des einzelnen ebenso wie in Hymnen und Akklamationen
durchaus geläufig, im amtlichen Gebet des Leiters der gottesdienstlichen
Versammlung (jedoch) nicht nachweisbar". Letzteres
kam erst im Kampf gegen den Arianismus auf und ersetzte „die alte
Mittlerkonklusion" (1760-

Jetzt aber werden (in Did 9f, den apokryphen Apostel-. Johannesund
Thomasakten, in der ostsyrischen Anaphora der Apostel Addai
und Mari, im Testamentum Domini und weiteren syrischen und
ägyptischen Texten, in derarmenischen Gregoriusanaphora sowie im

griechischen Taufwasserweihgebet) „ältere Schichten des ,ad Christum
'" freigelegt, die zwar noch keine „Geschichte des an Christus
gerichteten Eucharistiegebets" zu schreiben gestatten, die aber auch
das „amtliche" Vorstehergebet weit zurückverfolgen lassen und die
Legitimation des Gebetes „ad Christum" „aus der Entfaltung apostolischer
Tradition, wie sie bereits im Neuen Testament ihren Niederschlag
gefunden hat", aufweisen (Joh 14,14; vgl. 14,9; Hebrl,3;
Kol 1,15; hier 180-210.249).

Jungmann hat diese Texte natürlich auch gekannt. Aber sie müssen
heute neu gedeutet werden. Dabei zeigt sich, Jungmann bezieht „eine
klassisch westliche Position", in der das Gebet seinen Weg ad Deum
(primär die Trinität, nicht deren erste Person) nach lTim 2,5 durch
das Mittlertum Christi in seiner Menschheit nimmt, die Gebetsvermittlung
per Christum somit „von unten nach oben" gedacht wird,
was eine gewisse „nestorianische Tendenz" erkennen läßt. „Das in
der Inkarnation des Logos gründende Mittlerverständnis des Ostens",
dem seinerseits eine gewisse „monophysitische Tendenz" nachgesagt
wird, denkt von der Inkarnation her (Joh 1,14) „von oben nach
unten". Es geht um die „gott-menschliche Heilsvermittlung" (210ff;
238ff;248f).

Gerhards zieht aus seinen Forschungen nun nicht den Schluß, daß
es also neben dem durchgängig ad Deum gerichteten Vorstehergebet
der römischen Eucharistie auch ein ebenso einheitlich ad Christum
gerichtetes geben müsse. Solch eine Schlußfolgerung verbietet sich
schon deswegen, weil es eben nur diese eine Gregoriusanaphora unter
den vielen orientalischen Liturgien gibt, die dazu Pate stehen
könnte.

Gerhards verwirft Jungmanns These nicht, er erweitert sie. „Zum
,ad Deum (Patrem)' tritt also schon seit alters her das ,ad Christum
' ... als eine zusätzliche Möglichkeit, die die gewohnte Anredeordnung
- wie schon bei Johannes - nicht ersetzen, sondern ergänzen
will. In dieser Beziehung stellt die Gregoriusanaphora als Höhepunkt
einer Entwicklung einen Grenzfall dar, dessen hohe theologische
Qualität allein das Abgleiten in einen .Christomonismus' verhindert.
Als ein Zeugnis authentisch-biblischer Christusfrömmigkeit verdient
sie aber unsere volle Anerkennung." (249)

Die Arbeit an eucharistischer Theologie und Liturgie wird an dieser
gediegenen Studie nicht mehr vorübergehen können.

Wien Hans-Christoph Schmidt-Lauber

Tschirch, Reinmar: Wo bist du, Gott? Fragen-zweifeln-beten. Eine
Veröffentlichung des Comenius-Instituts Münster. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1986. 96 S. m. zahlr. Abb. 8'
= GTB Siebenstern 648. Kindergottesdienst. DM 9,80.

Dieses als Hilfe für junge Mitarbeiter im Kindergottesdienst
gedachte Buch bietet in vorzüglicher didaktischer Klarheit elementare
Theologie. Wie sprechen die Kinder von Gott? Stimmt das Bild vom
naiven Kinderglauben? Wie entwickelt sich das Denken der Kinder
von Gott? „Gibt es" Gott? Diese Fragen werden dem Kindergottes-
diensthelfer so gestellt, daß er „zwischen Glauben und Zweifel" für
sich selber antworten und „den Kindern ein für Wandlung und neue
Erfahrungen offenes Gottesbild" vermitteln kann. Mögliche Zugänge
zu biblischen Wundergeschichten werden am Beispiel der Speisung
der Fünftausend gezeigt. Der Schlußteil gibt Anregungen zum „Beten
zwischen Glauben und Zweifel", die sicher auch Erwachsenen helfen
können. Das Buch ist nicht nur für Kindergottesdiensthelfer, sondern
auch für die Jugendarbeit und für andere Gesprächskreise sehr zu
em pfehlen.

E.W.

Barth. Hermann: Schwierigkeiten mit der Liturgie (ZOP 5, 1987,15-17).
ßieritz, Karl-Heinrich: Gottesdienst als .ofTenes Kunstwerk'? Zur Dramaturgie
des Gottesdienstes (PTh 75,1986,358-373).