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Ausgabe:

1987

Spalte:

448

Kategorie:

Kirchengeschichte: Territorialkirchengeschichte

Autor/Hrsg.:

Kadlec, Jaroslav

Titel/Untertitel:

Das Augustinerkloster Sankt Thomas in Prag vom Gründungsjahr 1285 bis zu den Hussitenkriegen 1987

Rezensent:

Molnár, Amedeo

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Theologische Literaturzeitung I 12. Jahrgang 1987 Nr. 6

448

Untersucht wird also das kirchenpolitische Verhalten der Freikirchen
allein; doch wer die vor allem aus dem angelsächsischen
Raum stammenden Freikirchen kennt, weiß, daß hier gerade am
wenigsten das Herz dieser Gemeinschaften schlägt. Ausgerechnet an
ihrer schwächsten Stelle wurden sie gefordert, und es ist kein Wunder,
daß die Sorge um den Bestand ihrer Kirchen, wie Zehrer konstatiert,
zur Maxime ihres politischen Verhaltens wurde. Sie gaben sich dem
Nationalsozialismus nicht vorbehaltlos hin (davor bewahrte sie das
abschreckende Beispiel der Deutschen Christen), sie widerstanden
ihm aber auch nicht, stimmten ihm grundsätzlich zu und fanden für
die sichtbaren Auswüchse mancherlei Entschuldigungen. In ihrer eindrucksvollen
Mittelmäßigkeit ließen sie sich verblenden und erkannten
nicht das wahre Gesicht dieses Regimes. Subjektiv waren sie der
Meinung, ihrem Auftrag der Evangeliumsverkündigung treu geblieben
zu sein, objektiv jedoch trugen sie dazu bei, den Rückhalt dieses
Regimes im Volk zu stärken und sich selber für propagandistische
Zwecke, die das Regime nach außen hin verharmlosen sollten, einspannen
zu lassen. Ausführlich zeichnet Zehrer die Rolle beispielsweise
nach, die der methodistische Bischof F. H. Otto Melle auf der
Oxford-Konferenz 1937 zu Ungunsten der Bekennenden Kirche
spielte.

Zehrer hat die entscheidenden Probleme, mit denen die Freikirchen
rangen, Schritt für Schritt von 1933 bis 1945 verfolgt, von den verwickelten
, langwierigen Verhandlungen um einen Anschluß an die
Deutsche Evangelische Kirche über die Chancen, die sich einigen
Freikirchen durch die Annexionspolitik Hitlers boten, bis zu den
bitteren Erfahrungen im Krieg. Die Stärke dieser Darstellung liegt vor
allem in der präzisen Rekonstruktion der vielfältigen Kontakte freikirchlicher
Vertreter mit offiziellen Stellen; nicht ausreichend jedoch
wurde der kirchliche, soziale und theologische Hintergrund ausgeleuchtet
, aus dem sich das Verhalten dieser Vertreter erklären ließe.
Zehrers Buch ist überhaupt mehr eine erste Bestandsaufnahme als
eine erklärende Deutung. Dieser Mangel liegt sicherlich darin
begründet, daß eine Gesamtdarstellung vor einer intensiven monographischen
Behandlung einzelner Freikirchen geschrieben wurde.
Mißlich allerdings ist, daß Zehrer wichtige Arbeiten, die vorder Überarbeitung
seiner Habilitationsschrift für den Druck erschienen waren,
unzureichend oder gar nicht berücksichtigt hat. So fehlt jeder Hinweis
auf die Dissertation von James A. Dwyer, The Methodist Episcopal
Church in Germany, 1933-1945: Development of Semi-Autonomy
and Maintenance of International Ties in the Face of National-Socia-
lism and the German Church Struggle (Northwestern University
1978), oder die Abhandlung von Karl-Heinz Voigt über „Die Methodistenkirche
im Dritten Reich" (Beiträge zur Geschichte der ev.-meth.
Kirche, Beih. 8, Stuttgart 1980), in die Bibliographie nicht aufgenommen
wurde; Diether Götz Lichdi, Die Mennoniten im Dritten Reich,
Weierhof 1977. Zu bedauern ist auch, daß Zehrer sich in einigen Freikirchen
nicht genau genug auskennt; gravierende Fehler sind ihm vor
allem in den Abschnitten über die Mennoniten unterlaufen, mangelnde
Vertrautheit mit den Selbstbezeichnungen und Organisationen
, teilweise entstellende Auswertung der vorliegenden Forschungen
. Aber auch allgemein gilt, je weiter Zehrer sich von den
Problemen entfernt, die mit der Methodistenkirche zu tun haben
(auch hier hätte die Spannung zwischen Bischof Nuelsen und dem
späteren Bischof Melle noch stärker herausgearbeitet werden müssen),
um so unschärfer werden die Beobachtungen und Aussagen. Im Hinblick
auf die weitere Forschung ist schließlich die Art und Weise
ärgerlich, wie die Anmerkungen für den Druck zusammengezogen
wurden; es ist häufig unmöglich, ihnen korrekte Nachweise zu entnehmen
.

Insgesamt wird dieses Buch die Freikirchenforschung anregen und
weiterhin nach Gründen suchen lassen, warum sich ausgerechnet diejenigen
Kirchen, die grundsätzlich ein freieres Verhältnis zum Staat
auszeichnete, ganz und gar um ihre Freiheit brachten, ohne es selber
so recht wahrzunehmen.

Hamburg Hans-Jürgen Goertz

Territorialkirchengeschichte

Kadlec, Jaroslav: Das Augustinerkloster Sankt Thomas in Prag. Vom

Gründungsjahr 1285 bis zu den Hussitenkriegen. Mit Edition seines
Urkundenbuches. Würzburg: Augustinus-Verlag 1985. XXII, 480
S. m. 1 Abb., 1 Falttaf. 8* = Cassiciacum, XXXVI. Kart. DM
178,-.

Der Prager Codex Thomaeus, in den ersten zwei Jahrzehnten des
15. Jh. zusammengestellt, umfaßt als Urkundenbuch des Augustinerklosters
auf der Prager Kleinseite wertvolle Dokumente, die bis 1247
zurückreichen. Der Vf. besorgte eine auf S. 212-447 abgedruckte
vollständige und kritische Ausgabe dieses Kodex und ließ ihr eine
zuverlässige Geschichte des Klosters von der Gründungszeit bis zum
Ausbruch der hussitischen Revolution vorangehen. Konnte diese
Darstellung aus den Angaben im Kodex bereits reichlichen Nutzen
ziehen, wird diese kritische Edition der Forschung über den ursprünglichen
Umkreis hinaus weitere beträchtliche Dienste leisten
können.

Die Gründungsurkunde des Thomasklosters wurde vom böhmischen
König Wenzel II. ausgestellt und auch der weitere Autbau
der Stiftung geschah unter Teilnahme der höchsten kirchlichen und
staatlichen Autoritäten. In den Hussitenstürmen wurden Kloster und
Kirche 1420 niedergebrannt, jedoch noch vor Ende des Jh. wurden sie
neu gefestigt. Mönche aus dem Prager Konvent wurden auch oft zu
Provinzialen der bayerischen Augustiner-Provinz, der sie angehörten,
ernannt, andere wurden an die Universität Prag als Professoren berufen
. Vorstufe dazu war das Generalstudium bei St. Thomas, an dem
bis Mitte des 14. Jh. u. a. Heinrich von Friemard. J. gewirkt hatte. Die
vom Vf. zusammengestellte Liste der Lektoren (S. 52-57) weist eine
Anzahl von Persönlichkeiten nach, die in die böhmischen Ereignisse
einzugreifen wußten: so den Gelehrten Johannes Klenkok, der um die
Orthodoxie der eschatologischen Gesinnung des Reformpredigers
Milic von Kremsier besorgt gewesen war und mit dem ihn dann Jahr
und Ort des Todes (Avignon 1374) auf immer verband. Oder auch
Herrmann von Mildenheim, seit 1413 Weihbischof, der 1420 von den
Taboriten ertränkt wurde. Nicht erst während der hussitischen Wirren
wurde das Thomaskloster heftig angefeindet; seine Mönche erregten
den Unwillen der Pfarrgeistlichkeit bereits ein Jh. früher. In
den sechziger Jahren des 14. Jh. gerieten sie mit Konrad von Waldhausen
(dem Vorgänger Milics) in Streit um die Frage, auf wessen
Seite die Parteigänger des Antichrists zu suchen seien.

Kulturgeschichtlich von größtem Interesse sind die Bücherinven-
tare des Thomasklosters, die in 280 Codices etwa 350 literarische
Werke verzeichnen, darunter Bücher, die Joh. von Neumarkt den
Thomanern überlassen hat. Neben den üblichen Predigtsammlungen
und Predigthilfen dienten dem Bibelstudium auch Schriften der alten
Kirchenväter und der neueren scholastischen Theologen. Einflußreiche
Frömmigkeitsübungen waren zahlreich vorhanden, auffalliger-
weise jedoch kein einziges Buch in deutscher oder tschechischer
Sprache. In Anbetracht des klösterlichen Wohlstandes wird es verständlich
, daß die Kleinseitner Augustinereremiten so entschieden
gegen das hussitische Programm der Enteignung der Kirchengüter
auftraten. Im 16. Jh. wurde das wiedererbaute Kloster dann zum Ausgangsort
gegenreformatorisch orientierter Bestrebungen.

Vorzügliche Register erleichtern dem Benutzer den Gebrauch der
Edition. Eine Abbildung der Gründungsurkunde von 1285 ist beigelegt
.

Prag AmedeoMolnär

Dogmen- und Theologiegeschichte

Leloir, Dom Louis: Ecrits Apocryphes sur les Apötres. Traduction de
I'Edition Armenienne de Venise. I. Pierre, Paul, Andre, Jacques,
Jean. Turnhout: Brepols 1986. XL, 418 S. gr. 8° = Corpus Christia-
norum. Series Apocryphorum, 3. bfr4500,-.