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Ausgabe:

1987

Spalte:

440-441

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Überlieferung und Geltung normativer Texte des frühen und hohen Mittelalters 1987

Rezensent:

Haendler, Gert

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439

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 6

440

sichtigt: das erste im Buch zitierte Jesuswort ist das von der Ehescheidung
(S. 78).

Auch leuchten mir die genannten Motive für die Verhaftung und
Hinrichtung Jesu nicht genügend ein; zwischen dem Wirken Jesu, wie
es in den Reflexen erscheint, und seinem Tode liegt - jedenfalls für
mein Empfinden -, abgesehen von der erwähnten Tempelreinigung,
ein kaum verständlicher Bruch, will man nicht die bloße Angst des
Pilatus vor einem messianischen Königsanwärter und den Amnestie-
Entscheid für alles verantwortlich machen (Kap. 16). Zur Schuldfrage
an diesem Tode läßt der Autor den Römer Metilius sprechen, allerdings
in einem nicht mehr als historisch bezeichneten Zusammenhang
(Kap. 17): „Es ist falsch, nach Schuldigen zu suchen. Vielleicht ist es
überhaupt falsch, nach einer Schuld zu fragen. Sein Tod hat viele
Ursachen. Eine Ursache sind die Spannungen zwischen Syrern und
Juden. Ohne Antisemitismus in den römischen Kohorten bis hin zum
Präfekten wäre alles anders verlaufen. Ursache sind die Spannungen
zwischen Juden und Römern. Ohne die Angst der Römer vor messianischen
Unruhen wäre Jesus nicht inhaftiert worden. Ursache sind
ferner Spannungen zwischen Stadt- und Landbevölkerung: Vielleicht
hätte das Jerusalemer Volk den anderen freigebeten, wenn es nicht
gegenüber allen Propheten vom Lande mißtrauisch wäre, die ihren
heiligen Tempel angreifen. Ursache sind aber auch die Spannungen
zwischen Aristokratie und einfachem Volk: Die Aristokratie will ihre
Macht aufrechterhalten. Deswegen liefert sie verdächtige Unruhestifter
an die Römer aus. Und sie will die Juden beherrschen. Deshalb
wacht sie argwöhnisch über dem Gesetz, das ihre Einkünfte und
Macht begründet. Alles kommt hier zusammen: Dieser Jesus ist
zwischen die Räder geraten. Er wurde von den Spannungen zerrieben,
unter denen das ganze Volk leidet." (S. 239)

Ein Anhang informiert knapp über die wichtigsten Quellen zu Jesus
und seiner Zeit, eine politische Karte ist am Ende beigegeben. An
Druckfehlern sind mir begegnet: S. 52, 15. Z. v.u. gelehrt; S. 207
A. 8: Wenn Jesus; S. 255, 3. Z. v. u. Tieren des Abgrundes; S. 256,
17. Z. v. u. hinauf.

Leipzig Wolfgang Trilling

Dupont. Dom Jacques: Etudes sur les Evangiles Synoptiques.

Presentees par F. Neirynck. Tome I and II. Leuven: University
Press; Leuven: Peeters 1985. XXI, IX, 1210 S. gr. 8° = Biblio-
theca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, LXX/A-B.
bfr 2 800.-.

Zum 70. Geburtstag von Dom Jacques Dupont 1985 wurden ihm
zwei Festschriften dargebracht («A cause de l'Evangile», Paris;
„Testimonium Christi", Brescia). Im gleichen Jahr erschienen zwei
stattliche Bände mit gesammelten Aufsätzen zu Fragen der Jesus-
Überlieferung in den synoptischen Evangelien von D. selbst, deren
Herausgabe Frans Neirynck besorgte. So tritt die Bedeutung des
großen belgischen Exegeten, der im gleichen Jahr auch Präsident der
„Studiorum Novi Testamenti Societas" war, eindrücklich hervor. Die
Bände präsentieren 53 Aufsätze, aufgeteilt in fünf Abteilungen. Diese
sind einfach, aber konsequent gegliedert und zeigen die grundsätzliche
exegetische Entscheidung D.s gegenüber der synoptischen Überlieferung
. Teil 1 enthält Arbeiten, die nach den Ursprüngen der
synoptischen Tradition bei Jesus fragen und damit dem Bereich verwandt
sind, der Gegenstand der von Dom Dupont geleiteten
24. Session der Journees Bibliques de Louvain 1973 war («Jesus aux
origines de la christologie», BETL 40); er beginnt denn auch mit der
Einführung und Zusammenfassung dieser Tagung durch D. Der
zweite Teil bietet Studien zur „dreifachen Tradition: Markus und
Parallelen", der dritte zur „Doppeltradition: Matthäus und Lukas",
der vierte zu Matthäus und der fünfte zu Lukas. Dabei sind - natürlich
- Überschneidungen nicht zu vermeiden, im ganzen ist der Aufbau
überzeugend. Nach dem Vorwort hat D. selbst bei der Auswahl und
der Ordnung mitgewirkt, wie er auch sogar den jüngsten Arbeiten

noch eine ergänzende Anmerkung hinzugefügt hat. Man kann freilich
fragen, ob eine stärkere Beschränkung in der Auswahl sinnvoll gewesen
wäre. Alle Aufsätze sind französisch wiedergegeben, auch die
drei ursprünglich italienisch und der eine deutsch (Nr. 48, nicht
Nr. 40, wie S. VIII irrtümlich angegeben) veröffentlichte.

Neirynck stellt im Vorwort zu Recht fest, daß mit dieser Sammlung
D. sich auch den Titel eines Exegeten der Gleichnisse erworben hat,
neben dem des Spezialisten für die Apostelgeschichte und dem des
Exegeten der Bergpredigt, die ihm schon länger zukommen.

Das ausführliche Inhaltsverzeichnis für beide Bände in Band 1
sowie das Register am Ende von Band 2 erschließen gut den reichen
Inhalt des Gesamtwerkes.

T H.

Kirchengeschichte: Mittelalter

Mordek, Hubert [Hg.]: Überlieferung und Geltung normativer Texte
des frühen und hohen Mittelalters. Vier Vorträge, gehalten auf
dem 35. Deutschen Historikertag 1984 in Berlin. Sigmaringen:
Thorbecke 1986. 100 S., 2 Taf, 1 Falttaf. als Beilage gr. 8" = Quellen
und Forschungen zum Recht im Mittelalter, 4. Lw. DM 42,-.

Über die neue Reihe zum Recht im Mittelalter informierte
ThLZlll, 1986, 3721T und 601 f. Band4 zitiert im Vorwort den
Göttinger Historiker Hartmut Bockmann, der erklärt hatte, „daß sich
die Frage der Rezeption auch bei einheimischem Recht und auch bei
Urkunden stellt, die in unseren Handbüchern als grundlegende Verfassungsdokumente
figurieren, ohne daß immer die Frage gestellt
wurde, wie sich die gleichzeitige Geltung und späteres Ansehen,
Anwendung durch die Zeitgenosen und spätere Hochschätzung durch
die Wissenschaft zueinander verhielten" (7). Unter dieser
Fragestellung befragt Raymund Kottje „Die Lex Baiuvariorum - das
Recht der Baiern". Er stellt fest, daß „die Benutzer der Sammlungen
mit der Bayern-Lex bislang nicht zu ermitteln sind". Es gibt Indizien,
„Gebrauchsspuren in den Handschriften, Verweiszeichen und Glossen
" (15). Das Fehlen von Schmuck sowie das kleine Format stützen
die Annahme, „die Forderung der Lex Baiuvariorum, der comes solle
stets mit einem judex und dem über legis, dem Rechtstext, Gericht
halten, sei in der Regel im heimischen Land der Bayern, aber auch
außerhalb, besonders im Bereich der bajuwarischen Minderheiten in
Oberitalien und am Hofgericht erfüllt worden" (160- Auch zur Unterweisung
im Recht und zur Schulung der Richter könnten diese Texte
gedient haben (18). Ein Anhang bietet die Handschriften und mittelalterlichen
Bücherverzeichnissemit der Lex Baiuvariorum (19-23).

Hubert Mordek wendet sich den Karolingischen Kapitularien zu,
die „als Zeugnis eines intellektuellen oder praktischen Interesses der
Zeit an der fränkischen Herrschergesetzgebung" gelten und deren
schriftliches Weiterleben „verwirrend komplex" war (40). Nur schwer
kann man in den Quellen einen „einwandfreien Beweis für das Wirken
einer durch Kapitularien eingeführten Neuerung im fränkischen
Prozeßwesen" finden (44). Am ehesten gibt es Hinweise „in der
erzählenden Literatur, genauer der Hagiographie". Klagen Karls
d. Gr. zeigen, daß er „wenig Bescheid wußte über die reale Geltung
seiner immer und immer wieder erlassenen normativen und belehrenden
Texte" (49). Im Kanonischen Recht lebten Kapitularien weiter:
„Von Regino von Prüm über Burchard von Worms bis hin zu Gratian
reihten sich ihre Texte willig ein in Rechtssammlungen und Traktate
(nicht selten unterbewußt falscher Flagge), und einige Kapitel gewannen
sogar neue Aktualität im Investiturstreit" (50).

Rudolf Schieffer untersucht „Rechtstexte des Reformpapsttums
und ihre zeitgenössische Resonanz". Erstes Beispiel ist das Papstwahldekret
von 1059, dessen Wortlaut wenig verbreitet war. Es gab „eine
Fama über das Papstwahldekret..., die weiter reichte als die wirkliche
Verbreitung des Textes" (55). Es bestand eine „Antinomie
zwischen der kirchenpolitischen Resonanz und der textlichen Verbreitung
des Papstwahldekrets, die jahrhundertelang zutage tritt".