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Ausgabe:

1987

Spalte:

388-390

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Tidball, Derek

Titel/Untertitel:

Skilful shepherds 1987

Rezensent:

Stollberg, Dietrich

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387

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 5

388

Praktische Theologie: Allgemeines

Greiffenhagen, Martin [Hg.]: Das evangelische Pfarrhaus. Eine
Kultur- und Sozialgeschichte. Stuttgart: Kreuz Verlag 1984. 443 S.
m. Abb.gr. 8". Lw. DM 58,-.

Der Hg. des vorliegenden Bandes, Politologe an der Universität
Stuttgart, beschäftigt sich bereits zum zweiten Mal mit dem offensichtlich
dankbaren Thema „Pfarrhaus". Nach einer Sammlung autobiographischer
Zeugnisse von Pfarrerskindern (Martin Greiffenhagen
[Hg.], Pfarrerskinder, Kreuz Verlag, Stuttgart 1982) legt er dieses Mal
einen wissenschaftlich orientierten, gleichwohl für ein größeres Publikum
geschriebenen Sammclband zur Kultur- und Sozialgeschichte
des evangelischen Pfarrhauses vor, dieses in der Absicht, kultur- und
sozialgeschichtliche Perspektiven im Spiegel einer konkreten Problemstellung
ganz allgemein zu entwickeln. Die Autorinnen und
Autoren des Bandes vertreten unterschiedliche wissenschaftliche
Disziplinen: die Geschichtswissenschaft, die Literaturwissenschaft,
die Volkskunde, die Sozialwissenschaften, die Musikwissenschaft, die
Philosophie und natürlich auch die Theologie. Entsprechend breit
wird das Thema angegangen, es reicht von der Darstellung des reformatorischen
Verständnisses des Pfarramtes (Kantzenbach) bis zur
Darstellung des Pfarrhauses als „Psychotherapeutischer Ambulanz
und als Psychopaticnt" (Stollberg). Historisches dominiert, aber der
Bezug zur Gegenwart wird deutlich hergestellt, so etwa in dem Beitrag
von Christine Janowski über die umstrittene Pfarrerin, in Wolfgang
Marholds Aufsatz zur sozialen Stellung des Pfarrers, oder bei Hans
Norbert Janowski in seiner Schlußanalyse „Bürge, Bote und Begleiter
".

Die unterschiedliche Arbeitsweise der verschiedenen Disziplinen
ergänzt sich. Neben der Konkretheit und Anschaulichkeit des vorwiegend
mit württembergischen Material arbeitenden Aufsatzes der
Volkskundlerin Christel Köhle-Hezinger „Pfarrers Volk und Pfarrers-
leut", steht der auch methodisch präzise arbeitende, an statistischem
Material orientierte Beitrag von Sigrid Bormann-Heischkeil über die
soziale Herkunft der Pfarrer und ihrer Ehefrauen. Dabei ist vielleicht
anzumerken, daß nicht jeder Beitrag die „Ehefrauen" gleichermaßen
ins rechte Licht rückt. Gelegentlich hat man den Eindruck, im Pfarrhaus
gelte die vom Pfarrer ausgesprochene Maxime: Das Pfarrhaus,
das bin ich. Wichtig ist deshalb auch der Hinweis, daß die Pfarrerswitwen
vom sozialen Umfeld hergeschen genau diesen Tatbestand als
Realität erfahren haben. Die Pfarrfrau kommt aber trotzdem nicht zu
kurz: Ihr ist ein eigener Beitrag von Barbara Bettys gewidmet.

Martin Greiffenhagen beschreibt in seinem einleitenden Beitrag die
protestantische Kultur mit den Leitbegriffen „Verweltlichung" und
„Vergeistlichung". Verweltlichung meint, was Max Weber Entzauberung
der Welt nennt. Die Zustände und Dinge dieser Welt sind nicht
heilig und deshalb unveränderbar, sondern gerade menschlicher Verantwortung
übergeben. Vergeistlichung bedeutet für ihn, daß vom
protestantischen Verständnis her die ganze Welt zum Ort des Gottesdienstes
wird. Es ist ein Interesse des Hgs„ gerade diese beiden
Dimensionen protestantischer Kultur am Beispiel des Pfarrhauses
aufzuhellen.

Höchst spannend wird die Lektüre des Bandes, wenn man die verschiedenen
Beiträge unter dem Aspekt der Herausbildung der modernen
Welt zur Kenntnis nimmt. Das Pfarrhaus begegnet dann einmal
als Opfer des Modernisierungsprozesses, dem es fast zwangsläufig
unterworfen ist, dann auch als dessen Motor oder unter dem Aspekt
der von ihm ausgehenden retardierenden Wirkungen. Unter diesem
Gesichtspunkt sind besonders die Beiträge von Günther Franz
„Pfarrer als Wissenschaftler", Dietrich Rössler über „Pfarrhaus und
Medizin" und von Klaus Pociak „Pfarrhaus und Philosophie oder der
Untergang des Absoluten" aufschlußreich. Daß Pfarrer sich auch als
Historiker hervorgetan haben, ist kaum verwunderlich, auch wenn es
bemerkenswert bleibt, daß ausgerechnet ein württembergischer Pfarrer
. Wilhelm Zimmermann (1807-1878), eine dreibändige Geschichte
des deutschen Bauernkrieges geschrieben hat, die die Quelle
für Friedrich Engels' Schrift über den Bauernkrieg von 1850 wurde
(S. 279). Wichtiger erscheint unter dem Gedanken der neuzeitlichen
Modernisierung gerade der Beitrag der Theologen zur Entwicklung
der Naturwissenschaft, wobei Günther Franz Recht zu geben ist,
wenn er annimmt, daß gerade der Gedanke einer göttlichen Schöpfungsordnung
dem wissenschaftlichen Aufspüren dieser Ordnung,
etwa in der Gestalt astronomischer Gesetze, wesentlichen Antrieb
verlieh. Das Verhältnis von Philosophie und Pfarrhaus, oder anders
gewendet, die Philosophie der Pfarrerskinder, oder Pfarrerskinder als
Philosophen, wäre einer ausführlicheren Würdigung wert gewesen.
Die Beschränkung auf Schelling, Nietzsche und Benn ist sicherlich
denkbar, kann aber nicht ganz befriedigen, insbesondere wenn man
die einleitenden Hinweise von Martin Greiffenhagen bedenkt (S. 14
undS. 16 ff).

Erwartungsgemäß überschneiden sich die einzelnen Beiträge gelegentlich
, wichtige historische Persönlichkeiten werden da und dort genannt
, für den Leser ist dies von Vorteil. Wie schade, wenn die Straßburger
Pfarrfrau Katharina Zell nur bei Friedrich-Wilhelm Kantzenbach
genannt würde (S. 38), nicht aber bei Barbara Bcuys, die von
Katharina Zell folgendes berichtet: „Als zwei Anhängerinnen des
Caspar Schwenckfeld in Straßburg ein christliches Begräbnis verweigert
wurde, hat sie morgens um sechs die Toten auf den Friedhof begleitet
und die Grabrede gehalten. Das vergaß ihr die Straßburger
Kirchenleitung nicht. Als Katharina Zell 1562 starb, erhielt der
Pfarrer die Auflage, den Trauernden am Grab zu sagen, diese Frau
habe zwar den Armen viele Wohltaten erwiesen, sei aber am Ende von
der Kirche abgefallen . . ." (S. 51)

Die Beiträge schließen in der Regel mit einem Literaturverzeichnis.
Für den wissenschaftlichen Benutzer ist dies von großem Wert, bedauerlicherweise
wird in den verschiedenen Beiträgen im Blick aul
Literaturnachweise unterschiedlich verfahren, zum Teil wird sorgsam
belegt, zum Teil fehlt jeder Hinweis auf die Fundstelle des Zitats. Dies
erschwert die Weiterarbeit am Thema. Erfreulicherweise wird durch
den Band von Greiffenhagen auch die ältere Forschung zum Thema
Pfarrer und Pfarrhaus fruchtbar gemacht. In diesem Zusammenhang
ist vor allen Dingen auch Paul Drews Arbeit „Der evangelische Geistliche
in der deutschen Vergangenheit" zu nennen.

Der Verlag hat sich Mühe gegeben, ein schönes Buch herauszubringen
, es wurde offensichtlich an eine breitere Leserschaft gebildeter
Protestanten gedacht. Bildreproduktionen und Faksimiles ergänzen
den Text, zum Teil eindrucksvoll, so die Wiedergabe des Sonderdrucks
der Barmer Zeitung mit dem Bericht über die Deutsche Bekenntnissynode
, zum Teil auch etwas überflüssig. Jedenfalls freut sich
der Leser, wenn er etwas zu sehen bekommt, auch wenn er Klaus
Podaks Kommentar zum Altersfoto von Schelling, „er sieht darauf
aus - vertrauen wir der unmittelbaren Anschauung - wie ein Pfarrer"
(S. 319) nicht unbedingt Recht geben kann.

Hannover Karl-Fritz Daibcr

Tidball, Derek J.: Skilful Shepherds. An Introduction to pastoral
Theology. Leicester: Inter-Varsity Press 1986. 368 S. 8'. £ 8.95.

Der englische Baptistenpfarrer Derek Tidball, früher Dozent am
Londoner Bible College, legt hier seine Einleitung in die Pastoraltheologie
vor, die er bewußt „konservativ biblisch" gestalten möchte: Was
sagt die Schrift über das Hirtenamt, und inwiefern ist die Schrift selbst
eine Pastoraltheologie? So werden zuerst eine „erste Orientierung"
(Was ist Pastoraltheologie?) und eine „biblische Grundlegung" (Altes
Testament, Synoptiker und Apostelgeschichte, johanneische Schriften
, Paulus, Pastoralbriefe), dann ein „historischer Überblick" (frühes
Christentum, Mittelalter, Reformation, Erweckungsbewegung, 20.
Jh.) und schließlich eine „zeitgenössische Anwendung" (Paradigmenwechsel
, Glaube, Vergebung, Leiden, Einheit, Amt)offeriert.

In einer Situation, in der sich die Christenheit in der Minderheit befinde
, der Pfarrer an Rollenunsicherheit leide, das Parochialsystem