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Ausgabe:

1987

Spalte:

383-386

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Titel/Untertitel:

Widerstand, Recht und Frieden 1987

Rezensent:

Krusche, Günter

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 5

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in dem Andern sein, mit der (im wahren Proceß der Liebe schlechthin
uneigennützigen) Tendenz der vollen Reciprocität dieses Acts,
daß auch der Andre . . . auf dieselbe Weise sei im Ersten" (Die christliche
Dogmatik aus dem christologischen Princip, Göttingen 1849,
S. 111). Wenn Wenz, um jegliches Grund-Folge-Verhältnis zu vermeiden
, diesen Gedanken nicht wie Liebner innerhalb einer immanenten
Trinität entfaltet, sondern allein an der irdischen Geschichte
Jesu festmacht, so gesellt sich zur Fragwürdigkeit allen kenotischen
Denkens nur noch ein neues Problem. Es drängt sich nämlich die
Frage nach dem ,,,vorösterliche(n)' Gott" auf (Wenz 418). Wenn Gott
erst im Menschen Jesus sich selbst im andern gefunden hat, dann
unterlag er, sofern dieses Ereignis wirklich als zeitliches, geschichtliches
Ereignis festgehalten werden soll, vorher dem Zwang unmittelbarer
Selbstbestimmung. Gott darf nämlich in der Konzeption
des Vf. noch nicht einmal so gedacht werden, daß er dieses Ereignis in
seiner Vorherbestimmung antizipierte, weil sonst „die in der Zeit geschehenden
(ontischen) Relationen Subsumtionsfälle der ontolo-
gischen Relationen von Zeit und Ewigkeit" wären (332). Wenz erklärt
solche sich schlüssig aus seinem Denken ergebenden Reflexionen kurzerhand
zu „theologischen Ungedanken" (419 u. ö.). Das ist auf ihren
Inhalt bezogen sicherlich richtig. Nur folgt daraus nicht, daß solche
Reflexionen mit dem Hinweis auf die Unhintergehbarkeit der Auferstehung
verboten werden müßten; vielmehr wird durch sie ein systematisches
Denken, aus dem sie sich schlüssig ergeben, in Frage
gestellt. Mit dem bloßen Hinweis auf die Auferstehung ist ja noch
keineswegs über die ontologische Frage entschieden, wie sich Gott in
ihr zu erkennen gibt: als ewig vollkommener Herr über alles Sein oder
als das seiner geschichtlichen Offenbarung immanente bzw. immanent
gewordene Wesen.

G. Wenz spiegelt in und mit seiner Arbeit die Diskussionslage gegenwärtiger
, systematischer Theologie wider. Der Leser bekommt
einen Einblick in ihre Tendenzen und Gefahren. Dabei melden sich
die im 19. Jh. unerledigt gebliebenen ontologischen Probleme mit
Vehemenz zu Worte. Zum Durchdenken dieser Fragen stellt das Werk
einen informativen und anregenden Beitrag dar.

Berlin Thomas Koppehl

Systematische Theologie: Ethik

Lorenz, Eckehart [Hg.]: Widerstand, Recht und Frieden. Ethische
Kriterien legitimen Gewaltgebrauchs. Eine interkonfessionelle
und ideologiekritische Studie. Im Auftrag der Studienkommission
des Lutherischen Weltbundes hg. Erlangen: Martin-Luther-Verlag
1984. 173 S. 8° = Studien aus dem Lutherischen Weltbund. Kart.
DM 14,-.

Gerade rechtzeitig vor der VII. Vollversammlung des LWB 1984
konnte der damalige Studiensekretär für soziopolitische Fragen der
LWB-Studienabteilung, Eckehart Lorenz, eine Sammlung von Beiträgen
zu einer interkonfessionellen Studie über die Frage der Gewaltanwendung
im politischen Kampf vorlegen. Sie geht auf einen Auftrag
der VI. Vollversammlung in Daressalam 1977 zurück, die Kriterien
legitimen Gewaltgebrauchs zu untersuchen.

Nicht nur für die Mitgliedskirchen des LWB, die in Daressalam in
dem Apartheidssystem den Status confessionis gegeben sahen, sondern
für die ökumenische Bewegung überhaupt ist die Frage der Gewaltanwendung
im politischen Kampf eine ungelöste Streitfrage, man denke
an die Auseinandersetzung um das Antirassismusprogramm oder an
den Streit um die Nachrüstung in Europa. Wie der Hg. in der Einleitung
(7ff) unterstreicht, tangiert die Gewaltproblematik auch das
Recht des Staates, Gewalt zur Aufrechterhaltung der Ordnung anzuwenden
, bzw. das Recht zum Widerstand gegen die Staatsgewalt.
Damit ist gleichzeitig nach Bedeutung und Rolle des Rechts gefragt.

Kontroversen in dieser Frage können sich aus der unterschiedlichen
Situation, der jeweiligen Interessenlage sowie aus ideologischen Bindungen
ergeben (9). Hier kommen die historischen Friedenskirchen in
den Blick, für die „der Streit um die Legitimität von Gewaltanwendung
unter Christen einst bekenntnishildend gewirkt hat" (9). Also
besitzt die Frage der Gewaltanwendung auch eine kontroverstheologische
Seite. Die Existenz der Friedenskirchen hinterfragt den
allgemeinchristlichen Konsensus, Gewalt als ultima ratio zur Beendigung
permanenten Unrechts und zur Herstellung von Recht
und Gerechtigkeit zuzulassen, in höchst entschiedener Weise: „Gewaltfreie
Nachfolge versus Gewaltanwendung als Grenzfall der
Nächstenliebe" (18).

Der erste Teil des Buches bietet Ergebnisse und Empfehlungen
einer internationalen Konsultation des LWB vom Januar 1982 unter
dem Thema „Kriterien legitimer Gewaltanwendung" dar (24ff)- Aul
der Basis einer christologischen Position wird es als Auftrag der
Kirche bezeichnet, „überall Gottes Willen zu proklamieren" (24).
Der Dckalog wird als Beschreibung des Gotteswillens gesehen. Die
Verantwortung des Staates sei besonders in den Geboten der Zweiten
Tafel angesprochen. Die Beurteilung staatlicher Gewaltanwendung
werde stets von der Einschätzung der politisch-rechtlichen Situation
und den politisch-ideologischen Zielvorstellungcn der Konfliktpartnerabhängen
.

Zum Verhältnis von „Staat und Gewalt" (25ff) wird auf die
klassische lutherische Staatslehre zurückgegriffen. Danach sei der
Staat zwar nicht „Schöpfungsordnung" im nculutherischen Sinne,
aber er gehöre doch „schon zu Gottes .ursprünglich guter' Schöpfung"
(25). Also könne die Existenz von Autorität und Macht „nicht als
solche schon böse" sein; sie enthalten in sich „ein Element der
guten Schöpfung Gottes" (26). Der Begriff der „strukturellen Gewalt"
(Verwaltung u. a.) wird wegen der behaupteten Komplexität und
Ungenauigkeit abgelehnt, freilich in Verkennung seiner politischen
Stoßrichtung, die nicht als „pauschale Verdammung bestimmter
Gesellschaften" abgetan werden kann, sondern vielmehr die vielfältige
Abhängigkeit des Menschen von gesellschaftlich wirkenden
Mechanismen und Strukturen ins Bewußtsein heben will.

Für revolutionäre Ansätze oder totalen Widerstand (wie etwa in
dem Apartheidssystem Südafrikas) bleibt bei einer solchen Sicht
wenig Raum. Die Situation der Verweigerung jeglicher Partizipation
und des Fehlens demokratischer rechtsstaatlicher Bedingungen ist
trotz des einleitenden Verweises auf die Bedeutung des gesellschaftlichen
und kulturellen Kontextes nicht in den Blick genommen.

Die Studie markiert daneben deutlich „eine interkonfessionelle
Kontroverse" (28IT) gegenüber den Friedenskirchen (Mennoniten.
Quäker usw.). Zu diesem Zweck wird die lutherische Position derjenigen
der Fricdenskirchen gegenübergestellt. Es ist richtig gesehen, daß
es vor allem die eschatologische Fragestellung und das Verhältnis
zwischen altem und neuem Sein des Christen bzw. der christlichen
Gemeinde sind, an denen die Differenzen aufbrechen. Weitere
Studien auf neutestamentlicher Grundlage scheinen nötig, denn die
Friedenskirchen „haben wesentliche Aussagen des NT Für sich" (30).
Weil gerade gegenwärtig die Position der Friedenskirchen für Gruppen
und Einzelne eine neue Aktualität gewinnt, kann der Hinweis auf
den „eschatologischen Vorbehalt" nicht genügen, um eine begründete
Meinung in dieser Sache zu formulieren. In dieser Hinsicht kann der
Beitrag der Studie lediglich als Problemanzeigc gewertet werden.

Gespannt sieht man dem Schlußteil des Konsultationsberichtes
entgegen (Hinweise für den Widerstand von Christen in Unrechtsund
Konfliktsituationen), ist doch die Operationalisierung ethischer
Kriterien die Achillesferse der ökumenischen Sozialethik überhaupt.
Es wird - mit gutem Recht - der Konsensus festgestellt, über den
es keinen Streit mehr geben sollte: „Gottes Gebot, den Nächsten, ja
den Feind zu lieben, bedeutet, daß Christen stets dazu berufen sind,
(ierechtigkeit zu lieben und Frieden mit allen Menschen zu wahren,
soweit dies von ihnen abhängt" (31). Kontroversen bestehen lediglich
in bezug auf den Weg zur Gerechtigkeit und zum Frieden. Drei
grundsätzlich zu unterscheidende Strategien (32IT) sind zu nennen:
(I) Gewaltloscr Dienst, (2) gewaltfrcie Aktion (einschließlich des ge-