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Ausgabe:

1987

Spalte:

374

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Henkys, Jürgen

Titel/Untertitel:

Dietrich Bonhoeffers Gefängnisgedichte 1987

Rezensent:

Bohren, Rudolf

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Seite 1

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373 Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 5 374

das untergründige Thema des ganzen Kolloquiums gewesen, virulent
v°r allem im Blick auf die Literatur des 18. und 19. Jh. Literatur-
Wissenschaftler und Theologen hätten sich ihr gemeinsam gestellt.
Eine Liste, aus der man die Fachzugehörigkeit der Beiträger ersehen
könnte, ist dem Buch nicht beigegeben. Der Rez. steht unter dem Eindruck
, daß die Theologen in der Minderheit waren. Ein literaturtheologischer
Entwurf fehlt ganz.

Drei Vorträge behandeln das Gesamtgebiet unter zeitübergreifenden
, mehr systematischen Gesichtspunkten. B. von Wiese trägt
.Gedanken zur Dichtung unter den Aspekten von Häresie und
Utopie" vor. J. Möller unterstreicht die „Bedeutung einer anthropologischen
Ästhetik". St. Sawicki behandelt das „Sacrum in der Literatur
" und bezieht dabei die polnische Literaturwissenschaft und von
den polnischen Dichtern besonders Cyprian Norwid ein.

Drei weitere Studien gelten je einer ganzen Epoche oder Strömung.
«Die Lyrik der religiösen Existenz im Mittelalter" wird anhand der
Hymnen- und Sequenzendichtung von H. Brinkmann besprochen. A.
Hillach handelt über das barocke Fronleichnamsspiel in Spanien mit
Schwerpunkt bei Calderon. St. Berning äußert sich „zur pietistischen
Kritik an der autonomen Ästhetik", wobei insbesondere Spener und
Zinzendorf zur Geltung kommen.

Die verbleibenden neun Vorträge haften an Einzelgestalten oder
•werken. Die Reihe beginnt mit Hamann, zu dessen Ästhetik S.-A.
Jergensen „Anmerkungen" beisteuert. Die „biblische Welt in
Goethes Dichtung" macht G. Niggl zum Thema. Gleich drei Arbeiten
beziehen sich auf Eichendorff (H. Koopmann, Von der Wahrheit der
Dichter bei Eichendorff; I. Scheitlet, Joseph von Eichendorff: Geistliche
Gedichte; A. Riemen, Die Kirche in Eichendorffs Werken). Die
..religiös-ästhetische Position" C. F. Meyers wird von K. D. Post an
• Huttens letzte Tage" dargestellt. M. Montinari deutet „Nietzsches
Kindheitserinnerungen aus den Jahren 1875-1879", dabei die Studie
von R. Bohley über Nietzsches Taufe (aber nicht Bohlcys Naumbur-
8er Qualifikationsarbeit über Nietzsches Schulzeit) aufnehmend. „Die
•Wahrheit' der Stücke Bertolt Brechts" erörtert W. Woesler. Schließlich
wirft O. Pöggeler die Frage „Poeta theologus?" auf und interpretiert
in diesem Zusammenhang die erst nach dem Tode des Dichters
veröffentlichten Jerusalem-Gedichte von Paul Celan.

Ein solcher Gang durch die Literaturgeschichte kann natürlich nur
ausgewählte Stationen berücksichtigen. Dennoch darf man fragen,
warum ausgerechnet Annette von Droste-Hülshoff bei einer von der
Droste-Gesellschaft mitveranstaltcten Tagung keinen eigenen Beitrag
erhalten hat. Oder gehörte er zu den beiden Arbeiten, „die schon
anderweitig vergeben waren" (8)? Noch schwerer wiegt allerdings, daß
Luther übergangen worden ist!

Die Sammlung führt gut. häufig spannend und in den meisten
Eällen auch mit der wünschenswerten Detaillierung in die Vielfalt der
religiösen Implikationen, Ambitionen und Funktionen, auch in die
Säkularisationen von Literatur ein. Muß die Theologie der Dichtung
gegenüber in der Defensive bleiben? Darf sie sich mit den kleinen
Anleihen bei ihr begnügen, unter Hintanstellung der seit der Aufklärung
dringlichen prinzipiellen Klärungsaufgaben?

„Es scheint zur Physiognomie des Dichters zu gehören, daß er oft
der geborene Unruhestifter ist, nicht nur im gesellschaftlichen, auch
im religiösen Bereich. Zwar lassen sich manche dichterische Verse
und Sprüche im losgelösten Zitat vorzüglich zum Schmuck von Predigten
verwenden. Aber das ist dann immer eine Verharmlosung . ..
Ich könnte mir vorstellen, die Theologie und die Kirchen würden ein
anderes Gesicht bekommen, wenn die Exegese der Geistlichen sich
etwas mehr um die Wahrheit und den Glauben der Dichter kümmern
würde . . . Freilich wäre es umgekehrt ebenso nötig, daß die Literaturhistoriker
die Dichtung nicht bloß als Tummelplatz für Gesellschaftskritik
mißbrauchen, sondern es wagen, die Rangfrage nach der Dichtung
erneut zu stellen." (B. von Wiese. 140

Zwei Schönheitsfehler (oder vielleicht doch mehr): Viermal wird
der Titel „Pia Desideria" wie ein Femininum im Singular angeführt
(96. 105. 116. 117). Daß der Glaube nicht „auff menschen weißheit

sondern auff Gottes krafft" besteht, ist nicht „Speners Formulierung"
(102), sondern Zitat aus lKor2,5.

Berlin Jürgen Henkys

Henkys, Jürgen; Dietrich Bonhoeffers Gefängnisgedichte. Beiträge zu
ihrer Interpretation. Berlin; Evang. Verlagsanstalt 1986. 126 S. 8'.
M 5,80.

Daß Theologie in ihrer Spitze Poesie wird, ist eine alte Weisheit,
leider in unseren Breiten nur allzu leicht vergessen. Wenn nicht alles
täuscht, scheint in der DDR die Nähe zur Dichtung größer zu sein als
in der BRD. So erschien die m. E. beste Anthologie religiöser Lyrik
(Hg. Elisabeth Antkowiak) in Leipzig, und das hier anzuzeigende
Bändchen bildet ein weiteres Indiz für die Richtigkeit meiner Vermutung
: Seine Bedeutung liegt nicht nur in der Erhellung eines weithin
zu wenig beachteten Aspekts der Bonhoeffer-Forschung, sondern u. a.
auch in seinem impliziten Beitrag zu einer theologischen Ästhetik, der
hier nur eben angedeutet werden kann.

J. Henkys interpretiert die Texte von der Biographie und Theologie
Bonhoeffers her. Auf diese Weise vermag er über die Texte hinaus
seinem Autor Gehör zu verschaffen, ein durchaus sachgemäßes Verfahren
, das schon anzeigt, daß die Qualität dieser Texte sehr stark am
Autor und seiner Situation hängt. - Dabei wird das Sprachlich-Literarische
nicht einfach übersehen. Der Vergleich von „Der Tod des
Mose" mit „Huttens letzte Tage" überzeugt, und die Interpretation
von „Und" und „Doch" in den Strophenanfängen „Von guten Machten
" erscheint mir meisterhaft.

Das muß schon ein arger Griesgram sein, der nicht in Entzücken
gerät über die Art und Weise, wie Jürgen Henkys die dichterischen
Texte Bonhoeffers in liebender Verehrung behandelt. Das schreibt
einer, der zu diesen Texten eher ein distanziertes Verhältnis hatte und
sich immer noch fragt, wie es kam, daß ein Theologe wie Bonhoeffer
literarisch vor allem im 19. statt im 20. Jh. lebte.

Henkys beginnt mit der „Wirkungs- und Vorgeschichte" und endet
mit dem letzten Gedicht „auf dem Weg in das Gesangbuch". Damit
zeigt er, daß die Rezeption nicht so sehr auf literarischer als auf
Gemeindeebene stattfindet. So bietet er implizit einen Beitrag zu der
Frage nach Kunst und Antikunst in christlicher Dichtung: der Rang
von Bonhoeffers Texten ist primär nicht ein literarischer. „Authentizität
gibt es - manchmal - auch diesseits der großen Kunst." Worin
liegt sie, wenn die Sprache eher epigonal erscheint? Was liegt hier vor?
Wie soll man das Phänomen Bonhoeffer deuten? Daß die Schrift von
Henkys Fragen weckt, spricht nicht gegen sie.

Wenn Henkys die Gefängnisgedichte „auf die Seite der theologischen
und ethischen Rechenschaft" stellt „und nicht auf die Seite
der praxis pietatis", so leuchtet das zunächst ein, baut aber möglicherweise
eine Alternative auf, wo es um Akzente geht: In der Dichtung
erhebt das Leben seine Stimme gegen den Tod, und wenn man fragt,
warum überhaupt Bonhoeffer in der Zelle zu dichten anfing, so zeigen
„die Stimmen der Sterbenden" wohl auch, wie einer Seelsorge an der
eigenen Seele übt und so über sein Ich zum Seelsorger an anderen
wird: Authentizität angesichts des Todes! - Daß Henkys es vermag,
auch die poimenische Qualität der Texte aufzuweisen, gehört mit zu
den Vorzügen des gelungenen Werkleins.

Heidelberg RudolfBohren

Jesse, Horst: Niemals vom Christentum losgekommen. Über den Augsburger
Dichter B. Brecht (LM 24. 1985,446-449).

Köberle, Adolf, u. Meinrad Bumiller: Gott alles in allem. Ausblick auf Versöhnung
von Eros und Agape. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1986. 76 S. m.
11 Farbtaf. 8' = Veröffentlichung der Stiftung Oratio Dominica, geb.
DM 14,80.

Lipiriski. Edward: The Syro-Palestinian Iconography of Woman and
Goddess (Review Article)(IEJ 36,1986,87-96).