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Ausgabe:

1987

Spalte:

371-372

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Titel/Untertitel:

Dorfkirchen in Sachsen 1987

Rezensent:

Zaske, Nikolaus

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 5

372

den Humanität. Die Subjektivierung der praeambula fidei von Glaubensinhalten
-zu Glaubensvollzügen, die Arvin Vos im Gefolge des
Cartesianismus sich ausbreiten sieht, kann sehr wohl als eine Folge
der Scholastik begriffen werden, zu der Calvins Glaubensverständnis
in der Nachfolge Melanchthons und Luthers bedenkenswerterweise
eine Alternative ist. "Contemporary scholars have rediscovered the
considerable diversity of thought among the Schoolmen - a diversity
with which Calvin was familiär as a matter of course. Historians such
as Grabmann, Gilson, von Steenberghen, and others have done sub-
stantial work in this area .. . It is only our historical naivete that has
permitted us to suppose that Aquinas was Calvin's primary Opponent
in the first place." (S. 390 Dem kann hinzugefügt werden, daß die
Forschungen von Gerhard Ebeling, Walter Mostert, Karl-Heinz zur
Mühlen, Thomas Bonhoeffer und Hans Vorster zum Beispiel jede in
ihrer Weise die Differenz der Reformation zur Scholastik gerade an
Thomas von Aquin so herausgearbeitet haben, daß über ein Verstehen
im epochalen und kulturellen Abstand hinaus deutlich wird,
welche ontologisch neue Formulierung des Glaubens durch Luthers
Exegese und Systematik Vordringlicheres in Sicht bringt als eine
Differenz von Methode und Zeitkontext: Glaube ist nicht ein defizien-
ter Modus des Wissens, wie es nach Thomas scheinen könnte; Wissen
ist herausgehoben als Weise des Kulturumgangs und würde bei weiterer
Beanspruchung zum defizienten Modus von Glauben. Erst unter
solcher Präzisierung des Unterschieds wäre das Konzept von Arvin
Vos interessant, nach einer Systematik zu fragen, die eine gewisse
Spielart von Protestantismus verliert, schon mit Melanchthon verloren
hat, der rationalistisch argumentiert, weil er die Ontologic verworfen
hat. Arvin Vos zitiert indirekt (ohne es zu'wissen) Melanchthon
(und damit Erasmus) in dem Calvinzitat (S. 173, Institutio
1,5,9): wir hätten nicht nach Gottes Essenz zu fragen, sondern anzubeten
. Von hier gehen die Probleme aus, wie sie Arvin Vos in Sicht
bringen möchte. Als solche Problemanzeige freilich hat das Buch
seine Bedeutung über die Historie hinaus.

Stuttgart Stefan Strohm

Christliche Kunst und Literatur

Magirius, Heinrich, u. Hartmut Mai: Dorfkirchen in Sachsen. Mit
Aufnahmen von C. Georgi. Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1985.
224 S. m. zahlr. Abb. i. Text und auf Taf. 4 Lw. M 29,50.

Ein weiterer Text-Bild-Band über Dorfkirchen im Gebiet der DDR
erfreut den interessierten Kunstfreund wie d.en Kirchenhistoriker und
jeden, dem Orte des kirchlichen Lebens wichtig sind. Der Band über
Dorfkirchen in Sachsen, geschrieben von Heinrich Magirius, dem die
Kunstwissenschaft fundierte Forschungsergebnisse verdankt, und
Hartmut Mai, der sich mit der neueren Kirchenkunst beschäftigt, ausgestattet
mit eingängigen Fotos von Christoph Georgi, besticht durch
den engagierten, größtenteils wissenschaftliche Ansprüche erfüllenden
Text und durch die instruktive Bildauswahl. Er erschließt die
weithin doch unbeachtete Schönheit und die oft unterschätzte Bedeutung
der sakralen Kunst im ländlichen Sachsen. Sowohl deren historische
Voraussetzung und der durch sie bedingte Ausdrucksgehalt als
auch der von diesem umschlossene, den unmittelbaren Zeitbezug
überdauernde Geisteswert - die uns heute angehende Information und
Botschaft - wird allgemeinverständlich dargestellt. Beides leistet der
Band: er lädt anschaulich zur persönlichen Begegnung mit den Dorfkirchen
Sachsens ein und läßt wesentliches Kulturgut bewußt werden;
er ist eine prägnante kunsthistorische Einführung und ein faktenreiches
Nachschlagewerk.

Dorfkirchen Sachsens - also nur einer der Kunstkreise eines zudem
begrenzten Territoriums kommt zur Sprache. Aber das eingeengte
Blickfeld ermöglicht die intensive Betrachtung einer Familie von
Kunstdenkmalcn, ihrer Vielfalt und Sonderart, die nicht selten im

Bedeutungsschatten der bekannten Prachtbeispicle verbleibt. Nun
wird nicht geleugnet, daß die repräsentativen Stadtkirchen und Klöster
mitsamt ihren künstlerischen Ausstattungen entwicklungsfüh-
rend und stilprägend waren. Doch sind die Dorfkirchen - und diese
Einsicht arbeitet der Text heraus - nicht bloß deren vereinfachender
Abglanz. Es gelingt der Nachweis, daß die Dorfkirchengestaltung
zuweilen einem selbständigen Programm folgte, dessen Akzente
eigenwillige, dem Repräsentationsgehalt der städtischen Großkirchen
widersprechende Gedanken ins Spiel brachten. Vor allem der
von Magirius verfaßte Text beweist die lokalen Sonderzüge und das
Eigenprofil der sächsischen Dorfkirchenkunst im Mittelalter. Die
internationale Kunstforschung drängt auf solche Untersuchungen der
Spezifik begrenzter Ausdruckskomplexe und widmet territorialen
Stilausformungen steigende Aufmerksamkeit. Da die architektonischen
Strukturen, bildnerischen Formulierungen und ikonolo-
gischen Sachverhalte aufgewiesen sind, werden uns die mittelalterlichen
Kunstwerke nicht lediglich als Schaubildcr liturgischer oder
kirchengeschichtlicher Situationen, als stilistische oder typologische
Belege vorgestellt, sondern als ästhetische Schöpfungen von eigener
Intention verständlich gemacht. Die Epoche des Mittelalters bis um
1540 tritt lebendig und in ihrer vielfältigen Ausdruckskraft vor
Augen.

Der tiefgreifende Umbruch, welchen die Reformation hervorrief,
wird in dem Überblick der Kunst seit 1540 kenntnisreich belegt. Die
Aufmerksamkeit gilt jetzt vorrangig der Innenausstattung, dem
Einzelkunstwerk, weil vor allem diese die neue Gesinnung verbildlichten
. Wie zwischen 1660 und 1790 signifikante Elemente der protestantischen
Kirchen ausgeformt und allmählich präzisiert wurden -
Kanzel,. Altar, Orgelprospekt - ist eindrucksvoll nachgezeichnet.
Allerdings gerät dabei die kunsthistorische Erschließung der architektonischen
Symbolik gelegentlich aus dem Gesichtsfeld. Auch stilistische
Phänomene lösen sich mitunter aus ihrem entwicklungs- und
bedeutungsgeschichtlichcn Zusammenhang. Weder die barocke noch
die klassizistische Architekturprogrammatik, die zum Kirchenbau in
anderer Beziehung standen als die romanische und gotische, wird
ohne weiteres erkennbar. Doch ohnehin fesselt die dörfliche Kunst
des Nachmittelalters durch ihre Vielfalt und Gedankenfülle, durch
ihre Motivik und Allegorik, nicht minder wegen der Nähe ihrer Sinnsetzungen
zu religiösen Fragen der Gegenwart. Die Diskussion um die
moderne Kirchenkunst könnte aus der gezielten Berücksichtigung
bewährter Formulierungen, welche der Vergangenheit gelangen,
gewiß Anregungen gewinnen. Der Dorfkirchenbau seit dem Histori-
zismus und im 20. Jh., obschon längst nicht mehr in die Randzone des
Kunstschaffens gedrängt, bietet ein problematisches Entfaltungsbild,
das von traditionellen wie wagemutigen Entwürfen bestimmt wird.
Die Schwierigkeit, heute kirchliche Kunstformen zu finden, die übergreifende
Vorstellungen gültig verkörpern, ist nicht zu übersehen.
Was unsere Zeit bereits geleistet hat, mutet verheißungsvoll an, jedoch
werden im Vergleich mit dem Kunstgut vergangener Epochen aufschlußreiche
Unterschiede greifbar.

Es ist das Verdienst auch dieses Bandes, die gesellschaftliche Funktion
und das geistig-kulturelle Konzept der Kirchenkunst in die
aktuelle Auseinandersetzung einzubringen.

Greifswald Nikolaus Zaske

Koopmann, Helmut, u. Winfried Woesler [Hg.]: Literatur und
Religion. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1984. 264 S. 8'. geb.
DM 38,-.

Der Band bietet fast alle Vorträge, die 1981 auf einem Symposion
über Literatur und Religion gehalten worden sind. Träger der Veranstaltung
waren die Droste- und die Eichendorff-Gcsellschaft. „Hat
die Dichtung die Religion ersetzen können, oder ist ihr Absolutheits-
anspruch Häresie gewesen?" Diese Frage, heißt es im Vorwort, sei