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Ausgabe:

1987

Spalte:

369-371

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Vos, Arvin

Titel/Untertitel:

Aquinas, Calvin, and contemporary protestant thought 1987

Rezensent:

Strohm, Stefan

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I

369 Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 5 370

mäßiger Hinsicht stellt das Konzil von Chalkedon gegenüber den
älteren Konzilien etwas Neues dar: das Chalcedonense ist in viel
stärkerem Maße „dogmatisch", bietet schwerverständliche Aussagen
und begnügt sich nicht mehr mit einem Bekenntnis, wie es insbesondere
die Konzilien von 325 und 38 1 getan hatten.

2)Grillmcier geht ausführlich auf die Haltung der Päpste gegenüber
Chalkedon ein und umreißt ihren Anteil an der Durchsetzung der Beschlüsse
von 451, würdigt aber auch das päpstliche Selbstverständnis
besonders gegenüber dem Kaiser. War in dem Sammelwerk von 1951
bis 1954 auch schon Leo I. als „der Papst des Konzils" geschildert
worden (so Hugo Rahncr SJ, Bd. I, 323-339), so bietet Grillmeier
nunmehr geradezu eine Monographie über Leos f. Konzilsidee, sein
Päpstliches Selbstverständnis und seine theologischen Aussagen im
Blick auf das Chalcedonense. Dabei wird auch deutlich, wie die Auffassung
vom Papstamt durch das Gegenüber zum Kaiseramt an Profil
gewinnt. Hier führt Grillmeiers Darstellung über die bisherige Forschung
hinaus, ähnlich auch bei der Schilderung von Gelasius I.
(bes. 331-346).

Was den Gang der christologischen Lehrbildung im ganzen angeht,
so zeichnet Grillmeier das Henotikon als den kaiserlichen Versuch,
angesichts der auseinanderstrebenden Richtungen eine verbindende
Formel zu finden. Auch macht Grillmeier deutlich, daß der Weg, der
mit dem Konzil von Chalkedon beschritten war, nicht unproblematisch
war. Freilich, man konnte nach 451 auch nicht mehr hinter
Chalkedon zurückgehen, sondern mußte auf dem begonnenen Wege
fortfahren.

Zur Art der Darstellung ist zu sagen, daß Grillmeier den schwierigen
Stoff mit einem Höchstmaß an Verständlichkeit geschildert hat.
Fremdsprachliche Texte sind meist auch übersetzt. Die Sekundärliteratur
ist in erheblichem Maße herangezogen. Freilich sollte die
Liste der Abkürzungen vervollständigt werden; manche im Text eingeführten
Abkürzungen fehlen im Abkürzungsverzeichnis.''

Was seinerzeit über den ersten Band gesagt wurde, gilt ohne Einschränkung
auch für diesen Band: Grillmeiers Darstellung wird auf
'ange hinaus sowohl in ihrem theologischen Ansatz als auch in der
soliden Durchführung maßgebend sein.3

Hamburg Bernhard Lohse

' A. Grillmeier: Jesus der Christus im Glauben der Kirche. 1. Von der
apostolischen Zeit bis zum Konzil von Chalcedon (451), 1979, 2. Aufl. 1982.
Siehe dazu ThLZ 106, 1981,109-112.

A. Grillmeier u. H. Bacht: Das Konzil von Chalkedon, 3 Bde., Würzburg
'•Aufl. 1951-1954,5. Aufl. 1979.

1 ThLZ 106. 1981,112.

Vos. Arvin: Aquinas, Calvin, and Contemporary Protestant
I hought. A Critique of Protestant Viewson the Thought ofThomas
Aquinas. With a Foreword by R. Mclnerny. Washington, D. C:
Christian College Consortium; Grand Rapids, MI: Eerdmans
1985. XVII, 178S.8V

Der amerikanische reformierte Theologe Arvin Vos möchte mit
seinem Buch gegen verbreitetes protestantisches Mißverständnis -
Zunächst "to an undergraduate audience" - die Möglichkeit eines
sachgemäßen Verständnisses der Theologie des Thomas von Aquin
eröffnen. Außer der historischen Gerechtigkeit gegenüber dem doctor
communis der römischen Kirche sei damit einem Defizit solcher
reformatorischer Theologie abgeholfen, die unter Berufung auf eine
am Glauben orientierte Theologie ihrer evangelischen Väter auf die
systematisch angezeigte innere Verknüpfung der Glaubensaussagen
und ihrer Darstellung im Rahmen menschlicher Erfahrung verzichtet
habe (S. 1720- Solche Absicht erhält denn auch eine Würdigung im
Vorwort von Ralph Mclnerny: "The Catholic reader of Vos's study
must bc impressed by the importance ofthe Protestant critique ifthere
is to be a healthy understanding of the Catholic Position as enouneed
by Thomas Aquinas" (S. VII).

Die beiden ersten Kapitel vergleichen den Glaubensbegriff von Calvin
und Thomas. Die Differenz von Thomas und Calvin sei mehr terminologisch
als sachlich, da der assensus bei Thomas an die Stelle
einer Unmöglichkeit des Wissens von Gott als Heilsziel trete und die
notitia Dei bei Calvin nur heilsmittelnd sei, wenn sie vom Herzen
getragen werde. Die von Calvin als solche abgelehnte Lehre von der
fides implicita treffe freilich nicht die Lehraussage des Thomas, und
überdies unterscheide Calvin selbst zwischen Glaubensdifferenzierungen
, wovon nicht alle jedem Gläubigen zuzumuten seien.

Kapitel III—VI setzen sich mit modernen amerikanischen Autoren
(vor allem Herman Dooyeweerd, Reinhold Niebuhr, Alvin Plantinga
und Nicholas Wolterstorff) auseinander, die gegen Thomas einwenden
, seine Verhältnisbestimmung von Vernunft und Glaube sowie
Natur und Gnade führten dazu, daß für Thomas über seine Aristotelesrezeption
Vernunft und Natur zu einer Grundstufe vor Glaube und
Gnade würden, derzufolge über Humanismus und Cartesianismus
gleichsam die Übernatur als ein abzustreifender Überbau zur Autonomie
des Menschen sich darstellen müßte.

Dem setzt Arvin Vos seine eigene Thomas-Lektüre entgegen: Die
philosophisch erarbeiteten praeambula fidei seien nicht natürliche
Voraussetzungen des Glaubensaktes, sondern im Glaubensinhalt mitbefaßte
Möglichkeiten allgemeinen Wissens, die der einfach Glaubende
schon im Glauben erhalte, der Reflektierende aber, dem Zeit
und Fähigkeit des Studiums gegeben sei, aus dem Wissen gewinne; die
Natur des Menschen sei in ihrer Ebenbildlichkeit zu Gott auf Gott als
Ziel so angelegt, daß für Thomas weder ein natürlicher Mensch ohne
dies Ziel denkbar sei, noch dies Ziel aus Kräften der Natur zu
erreichen sei. Wenn die Texte dies hergäben, sei zu fragen, woher das
Mißverständnis der protestantischen Theologen komme. Dafür
macht nun Arvin Vos einen Thomismus seit dem 16. Jh. verantwortlich
, der im Zusammenstimmen mit der Renaissance die Selbständigkeit
des Menschen betone (z. B. Cajctan),.derzufolge die Natur des
Menschen aus sich heraus und die Übernatur als dazukommend zu
verstehen sei, eine Orientierung welche dann auch fides als Glaubensakt
statt Glaubensinhalt verstehe. Was den Unterschied der gesamten
Denkbewegung ausmache, so sei zu beachten, daß Calvin nicht metaphysisch
und logisch argumentiere, sondern als an der klassischen
Literatur gebildeter Humanist. So formuliert Kapitel VII das Fazit:
"We will do well to distinguish these cultural Üifferences from reli-
gious differences and divest ourselves of the naive assumption that a
true Christian läith can be found only in the tradition with which we
arc familiär. We can only benefit by becoming more open to learning
from both traditions"(S. 171).

Der europäische Leser vermag weniger zu beurteilen, ob die amerikanischen
zitierten Autoren den als Vermutung vorgetragenen Einwand
, sie kennen Thomas nicht aus seinen Texten selbst, sondern
sekundär und zudem abhängig vom thomistischen Mißverständnis
des 16. und 17. Jh., zurückweisen müssen und ob ihre Intention der
Thomaskritik richtig getroffen ist. Der europäische Leser findet sich
und seine Welt in dem Buch wie neuentdeckt: Nachdem Arvin Vos
sich gewundert hat, daß Calvins Argumente Thomas gar nicht träfen,
schreibt er: "When Calvin mentions the Schoolmen, we tend to think
of Aquinas, fpr we know hardely anyone eise. A few other names come
to mind (Scotus and Ockham perhaps) but who knows the names of
the contemporaries of Calvin who were teaching at the Sorbonne . ..
and elsewhere? Do we know the views of John Eck, John Cochlaeus,
Andreaus Osiander, Albert Pighius?" (S. 38). Abgesehen davon, daß
wir Andreas Osiander trotz der Einwände Calvins gegen ihn nicht in
diese Reihe stellten, fragen wir uns, ob denn der Unterschied von
Reformation und Scholastik oder der Thomasrezeption im 16. Jh. als
ein kultureller ohne Abstraktion von der Fundamentaldiffcrenz der
Glaubensauffassung überhaupt beschreibbar ist. Und wenn die Interpretation
von Thomas durch Cajetan möglich war, dann ist sie gewiß
doch ein Indiz für die Aufgabe eines Neuverständnisses des Glaubens,
die von der Reformation mit Gründen so ganz anders vorgenommen
worden ist als in der Sicherstellung einer der Immanenz sich runden-