Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1987

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Neuerscheinungen

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

363

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 5

364

denen irgendein positiver Satz nicht fehlen durfte. Und noch eins wird
leicht verkannt: Auftrag und Dienst der Kirche geschehen öffentlich.
„Antifaschistischer Widerstand" konnte bekanntlich nur im Untergrund
arbeiten und nicht mit öffentlichen Kundgebungen hervortreten
. Bisweilen scheint es, als sähe der Vf. das eigentliche Versagen der
BK darin, daß sie keine öffentliche Absage an das Regime oder seinen
Krieg verkündet habe (z. B. 499) - eine wahrhaft illusionäre Vorstellung
.

Es bleibt ein letztes, aber wohl entscheidendes Gravamen. Das
Kirchenkampfgeschehen, gewiß nicht unabhängig von politischer
Urteilsfähigkeit, beruhte letztlich auf theologischen Einsichten und
Grundentscheidungen. Schneider unternimmt es, das Ganze sozusagen
von außen her auf seine politische Relevanz zu befragen. Auch
Kirchenleute werden sich dem nicht verschließen und sich für
manches die Augen öffnen lassen. Es zeigt sich aber, daß ohne
Nachvollzug des theologischen Elements ein sachgerechtes Urteil
nicht zu gewinnen ist.

So wird etwa aus der jungreformatorischen These, daß kommende
Entscheidungen „einzig und allein aus dem Wesen der Kirche heraus"
getroffen werden dürften, bei Schneider „die Bereitschaft, sämtliche
Veränderungen in der Kirche im Sinne der Einordnung in die faschistische
Neuordnung vorzunehmen, jedoch keine staatlichen Eingriffe
zuzulassen" (131). Karl Barths „Theologische Existenz heute", in der
er von der Taktik zur theologischen Entscheidung gegenüber den Irrlehren
der DC aufrief, wird zum „antifaschistischen Kampfruf (46);
wäre sie das gewesen, hätte Barth sie wohl kaum Hitler persönlich zugesandt
. Bei der Notbundverpflichtung, wonach mit dem Arierparagraphen
in der Kirche „eine Verletzung des Bekenntnisstandes geschaffen
ist", sei es nur „um die Bewahrung des (damit) angenommenen
,status quo'" gegangen, also um eine halbherzige „Opposition
durch Bewahrung" (1720- Die Berufung der Barmer Erklärung auf
Art. 1 der durch Reichsgesetz anerkannten Verfassung der DEK bedeute
„die volle Anerkennung der Legalität und LegitimitäUder damaligen
Regierung" und damit auch die Legitimierung der „Maßnahmen
der faschistischen Terrorherrschaft" (224), während nichts anderes als
die Berufung auf die Glaubensgrundlage der Kirche gemeint war, zu
der dieser Artikel die Rechtsgrundlage bot. Insgesamt ist das Gewicht
der jahrhundertelangen theologischen Tradition, die - neben politischer
Blindheit und Existenzangst! - auch lernbereite BK-Leute gewissensmäßig
hinderte, sich der „gottgesetzten Obrigkeit" entgegenzustellen
, verkannt. Es ist ein historisches Faktum, daß die Einsichten
des „Darmstädter Wortes" erst 1947 aufgekeimt sind.

Genug. Man legt das umfängliche Buch - ich übergehe die zahlreichen
störenden Druckfehler, stilistischen Unstimmigkeiten und
ungenauen Zitationen; offenbar hat niemand Korrektur gelesen, sonst
wären Worte wie „Golgathal" (188) oder „Sonntag Misericordio
Domini" (507) hoffentlich nicht stehen geblieben! - mit zwiespältigen
Empfindungen aus der Hand. Auf der einen Seite wichtige Einzelinformationen
aus dem kurhessischen Bereich, auch wenn sie vielfach
Schwachheit und Versagen der BK-Leute kundtun und jede Glorifizierung
verbieten. Auf der anderen Seite, infolge der an das Geschehen
herangetragenen eigenen Maßstäbe, zahlreiche vorschnelle,
schiefe und selbstsichere Urteile, die sich bei etwas genauerer Kenntnis
der Vorgänge besonders in den „zerstörten" Kirchen als nicht haltbar
erweisen. Die Arbeit scheint mir ein Beispiel für die Verständigungsschwierigkeit
zwischen den Generationen der Zeitgeschichtler,
insbesondere dann, wenn durch die Dominanz sachfremder Kriterien
eine gemeinsame Basis des Gesprächs zerrinnt.

Alsbach Karl Herbert

Greschat, Martin: Verwandte oder Fremde? Der Pietismus und die Evangelikaien
(EvErz 38, 1986,315-324).

Pöhlmann, Horst Georg: Peter Brunner in memoriam (1900-198!)
(ZEvKR 32, 1987, 1-18).

Tödt, Heinz Eduard: Karl Barth, der Liberalismus und der Nationalsozialismus
(EvTh 46,1986,536-551).

Dogmen- und Theologiegeschichte

Boulluec, Alain Ie: La nation d'heresie dans la litterature grecques
IIC-IIIC Steeles. I: De Justin ä Irenee. II: Clement d'Alexandrie
et Origene. Paris: Etudes Augustiniennes 1985. zus. 662 S. gr. 8'.

In diesem umfangreichen und sorgfältig konzipierten Werk geht
Le Boulluec der Bezeichnung, dem Begriff und letztlich auch dem
Wesen der Häresie seit der frühchristlichen Zeit nach, wobei er vorrangig
auf die Vorstellung der vier in der Titulatur genannten
Kirchenschriftsteller Justinus (Martyr), Clemens Alexandrinus, Irenaus
und Origenes zurückgreift, neben der auch die häresiologischen
Schemata Hegesipps und anderer mehr sekundärer Autoren genannt
werden. Da ein sehr umfangreiches Material zu beleuchten und weithin
neu durchzuforsten war, vermißt man nicht selten Hinweise auf
die späteren grundlegenden Auseinandersetzungen mit Schismen u ad
Häresien (einiges dazu ist am ehesten in der abschließenden «Conclu-
sion» S. 547 bis 555 gesagt). Sogar Hippolyt von Rom (t 235) wird
nur eben gestreift. Die Beigabe einer umfangreichen Bibliographie
und mehrerer Indices erleichtert die Benutzung des reichhaltigen, stellenweise
aber trotz guter Untergliederung auch schwierigen Werkes
mit seiner,reichen Rhetorik' in erfreulicher Weise.

Vf. setzt mit der Kennzeichnung der .Abweichungen' vor Justin
durch Clemens von Rom und Ignatius von Antiochien ein und zeigt
dann ausführlich Justins Bemühen um die Einteilung in .Schulen' und
,Sekten', womit die Geburt («naissance») der Häresiologie in der Auseinandersetzung
mit dem geistigen Gut christlich-abweichlerischer,
jüdischer und heidnisch-philosophischer, weithin von der spätgriechischen
Bildung geprägter Personen markiert ist. Bereits der .Sektenkatalog
' Justins, der fest auf dem Evangelium und den ,Herrenworten'
zu fußen sucht, wendet sich gegen jede Verfälschung, jede Deformation
und damit gegen jede Irrlehre und lehnt sie, ob sie griechischen
oder jüdischen Ursprungs ist, als dämonisch ab. Justin nimmt dem
Gegner die ,Qualität' des Christen, wobei apokalyptische Vorstellungen
deutlich werden. Im Hin und Her der apologetischen Auseinandersetzungen
für die reine Lehre entsteht die neue literarische Gattung
der Traktate „Gegen die Häresien", die den Charakter der Gegner
etwa nach dem ,Schema': Täuschung, betrügerische Erfindung, freiwillige
Verirrung sowie Ausschweifung oder Verrat umreißt. Hege-
sipp und Irenäus haben dieses Schema nach verschiedenen Richtungen
hin verfeinert.

Bei und mit Irenäus werden die Konturen der Häresien - seien es
gnostische Systeme, christlich oder jüdisch beeinflußte gnostische
Sekten - deutlicher und damit negativer. Alle demselben Ursprung,
dem Irrtum, entstammend, stehen sie dem Glauben und der Wahrheit
schroff gegenüber und führen zur Blasphemie. In der antihäretischen
Polemik entfaltet sich bei Irenäus ein streng orthodoxes Denken, das
dem Traditionsprinzip verhaftet ist, die Glaubenswahrheiten gerade
in der Bekämpfung der Abweichungen jedoch weithin mit Hilfe der
Allegorie zu festigen sucht. Neben dem Denkzwang dürfte Irenäus
dabei auch durch die Einsicht in die politisch-religiös notwendige Einheit
der Kirche unter den Grundbedingungen der Verfolgung bestimmt
worden sein.

Mit den beiden großen Gelehrten Clemens und Origenes wird
bereits ein gewisser Abschluß bei der Ausformung der Häresiologie erreicht
. Beide greifen tiefer als ihre Vorgänger und sind daher gelegentlich
konzilianter. In den 8 Büchern „Gegen Celsus", der bedeutendsten
vornizänischen Apologie (Altaner), zeigt Origenes durch seine
Satz für Satz erfolgende Widerlegung des Celsus, wie der christliche
Weise, der hier und da n.och vom griechischen Gelehrten lernen kann,
diesem doch weit überlegen ist, mag letzterer sich als Platoniker/Neu-
platoniker, Epikuräer oder Ähnliches bezeichnen. Mit Recht spricht
Vf. hier von zwei Bildern der .Häresie': Sie kann den Christen im
Glauben bestärken, wenn er sich mit ihr eindeutig auseinandersetzt,
muß aber aus der Kirche ausgeschieden werden. Le Boulluec scheint
insgesamt mit der Meinung recht zu haben, daß Origenes die Sekten