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Ausgabe:

1987

Spalte:

360-363

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schneider, Ulrich

Titel/Untertitel:

Die Bekennende Kirche zwischen "freudigem Ja" und antifaschistischem Widerstand 1987

Rezensent:

Herbert, Karl

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Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 5

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stammt bei dem von ihm 1528 hrsg. mittelalterlichen Apokalypse-
Kommentar bekanntlich nur die Vorrede. „Drei Typen theologischer
Lutherdeutung um 1920: Ernst Troeltsch, Reinhold Seeberg und Karl
Holl" (187-197) skizziert Ulrich Gabler, desgleichen Gottfried
Maron „Das katholische Lutherbild im Wandel" (199-205). Letzterer
gibt im wesentlichen eine Kurzfassung seiner instruktiven Schrift
von 1982 „Das katholische Lutherbild der Gegenwart". Die Akten
über das Luther-Stück von Forte sind offensichtlich nach dem Theaterspektakel
von 1970ff immer noch nicht geschlossen. Unter den
durch das Lutherjubiläum hervorgerufenen einschlägigen Aufsätzen
(vgl. z. B. 48-50) nimmt der von Sjaak Onderdelinden (207-222:
„Das Luther-Bild Dieter Fortes") eine gewisse Sonderstellung ein.
Onderdelinden begnügt sich nicht mit einer Analyse der Handlung,
sondern arbeitet den „Grundtenor des Stückes" heraus. Er umschreibt
ihn mit Entmythologisierung, d. h.. Forte versuche „eine Demaskie-
rung vorzuführen, die sich auf alle Bereiche des politischen und religiösen
Lebens erstreckt und sie allesamt unter den Primat des Ökonomischen
stellt" (208). Treffend stellt Onderdelinden fest, daß Forte ein
materialistisches, nicht aber ein marxistisches Konzept vertritt. Als
Geschichtsdrama sei Fortes Stück gescheitert, da er - anders als
Brecht bei seinem „Cäsar" - die Gattungsproblematik nicht beachtete
. Vor allem habe er „den Luther-Mythos durch einen Fugger-
Mythos ersetzt" (222). Dem neuen marxistischen Lutherverständnis
in der DDR sind die beiden letzten Beiträge gewidmet. Cornelius
Augustijn (223-238: „Das marxistische Luther-Bild 1983") führt verständnisvoll
ein in die „Thesen über Martin Luther" aus dem Jahre
1981 und in Gerhard Brendlers Lutherbuch von 1983. Er konstatiert
vor allem bei Brendler ein erstaunliches Ernstnehmen der Theologie
und wünscht sich hinsichtlich Erasmus eine ähnlich quellengerechte
Betrachtungsweise von Seiten marxistischer Historiker. Entgegen
Augustijns Annahme wurde der Begriff .frühbürgerliche Revolution'
nicht 1960 auf der Tagung in Wernigerode geprägt (225). Er wurde
weit früher bereits von Günter Mühlpfordt und Alfred Meusel verwendet
. Gerd Labroisse (239-266: „Der neue Luther in der DDR")
informiert über die Luther-Gestaltungen bei Claus Hammel, Frieder
Kratochwil, Stefan Heym, Helga Schütz, Ingo Zimmermann und
Bernd Schremmer. Die Stücke (Hammel, Schremmer), das Hörspiel
(Kratochwil), die Erzählungen (Schütz, Zimmermann) und der
Roman (Heym) sind zwischen 1981 und 1983 erschienen. Ihre Autoren
bemühen sich, „die Widersprüchlichkeiten und Spannungen des
Menschen Luther und die Komplexität seiner geschichtlichen Position
und Leistung herauszustellen" (238). Literarische Unzulänglichkeiten
bescheinigt der Autor Zimmermanns Erzählung, teilweise auch
Hammels Stück. Luthers Größe habe vor allem Schremmer anvisiert,
aber die Konsequenzen seiner Sicht Luthers wären weiter herauszuarbeiten
, desgleichen die der von Heym vertretenen negativen
Lutherauffassung.

Symposion-Beiträge gewähren den Autoren fast immer nur begrenzten
Spielraum für eine umfassende und zugleich tieflotende Darstellung
ihres Gegenstandes. Gefragt ist mehr oder weniger der Überblick
. Das gilt auch für den vorliegenden Bd. Häufig mußten die
Autoren darauf verzichten, die betreffende Lutherdarstellung in das
Gesamtwerk des Autors einzuordnen oder sie zu dem zeitgeschichtlichen
Kontext in Beziehung zu setzen. In Einzelfällen, z. B. im Blick
auf Zacharias Werner, holt Hensing in seiner Einleitung einiges nach
(6-8). In anderen Fällen hätte man sich in den Anmerkungen mehr
Information gewünscht. Die trivialen Werke „eines Conrad von
Bolanden" oder „ein Armin Stein" waren den Zeitgenossen beileibe
nicht so unbekannt, wie Laufhütte durch die Verwendung des unbestimmten
Artikels den Lesern suggeriert (290- Es ist verdienstvoll,
daß sich die Veranstalter des Symposions auf die Wirkungsgeschichte
Luthers in den letzten beiden Jahrhunderten konzentrierten. Sie mußten
dabei einige Überschneidungen (Mann, Zweig, Forte) in Kauf nehmen
, vermitteln aber insgesamt ein geschlosseneres Bild, als es bei
Tagungs-Bdn. meist der Fall ist. Mit der mehrfach genannten Frage,
„ob die Widerstände gegen eine solche Aneignung [sc. wie in der NS-

Zeit] bei Luther ausreichend Halt finden" (78), gibt der Bd. der Lutherforschung
zugleich eine wichtige Aufgabenstellung weiter.

Druckfehler: Müntzers .Prager Manifest' entstand 1521 (l8Anm. 22);
gemacht statt eemacht (71).

Berlin Siegfried Bräuer

Schneider, Ulrich: Die Bekennende Kirche zwischen„freudigem Ja"
und antifaschistischem Widerstand. Eine Untersuchung des christlich
motivierten Widerstandes gegen den Faschismus unter besonderer
Berücksichtigung der Bekennenden Kirche in Kurhessen-
Waldeck und Marburg. Kassel: Brüder-Grimm Verlag 1986.
61 1 S.8

Die als politologische Dissertation in Marburg eingereichte Arbeit
ist nach Aussage des Autors „von - wie es kirchlicherseits heißt -
profanhistorischen und politikwissenschaftlichen Ansätzen bestimmt
" (XV). Er bezieht damit bewußt eine Gegenposition zur traditionellen
Kirchengeschichtsschreibung und ihrer Verwendung des
„Kirchenkampf'-Begriffs, der „immanent problematisch" und „für
eine politikwissenschaftliche Aufarbeitung nicht geeignet" (XVI) sei-
So setzt er sich im Blick auf Kurhessen und die Rolle von Universität
und Gemeinde Marburg auch bewußt ab von Hans Slenczka: Die
evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck in den Jahren von
1933 bis 1945, Göttingen 1977. einer „vorwissenschaftlichen" Arbeit,
die „in weiten Teilen stark apologetisch geprägt" sei (XXVIIIfH der
kurhessische Weg zu einer„intakten" Kirche unter ihrem sich bis
1945 durchhaltenden Landeskirchenausschuß (LKA) sei dort unter
dem Gesichtspunkt der Erhaltung des Bestandes der Kirche im wesentlichen
positiv gesehen und die kirchenpolitische Opposition
weitestgehend ausgegrenzt. In der Tat wird Slenczkas Darbietung den
Anforderungen einer wissenschaftlich fundierten Arbeit nicht voll ge"
recht, so dankenswert der Gesamtüberblick aus der Sicht eines M itbc-
teil igten auch ist.

Demgegenüber hat sich Schneider die kritische Aufarbeitung der
Vorgänge mit ihren politischen Motivationen zum Ziel gesetzt, wobei
die Fundierung in Gemeinde und Universität Marburg besondere
Beachtung findet. So erfährt man anhand zahlreicher Belege interessante
Einzelheiten über die beiden Marburger Gemeinden und ihre
Pfarrer, besonders die Rolle von Karl Bernhard Ritter und seinem
DC-Gegenspieler Veerhoff, über den Anteil der Professoren, vor
allem von Soden und Bultmann, am Kirchenkampfgeschehen wie
über die Haltung der Theologischen Fakultät insgesamt, ferner über
Aktionen und Schicksal von BK-Studenten. Bultmanns Rede zur Eröffnung
des Sommersemesters 1933 mit dem klaren Entweder-Oder
zwischen christlichem Glauben und völkischer Religiosität und
offener Kritik an der Diffamierung der Juden wird auszugsweise wiedergegeben
, und das wichtige Gutachten der Fakultät zum Arierparagraphen
wird näher analysiert. Von Sodens Engagement für Aufbau
und Leitung der BK und seine 1934 erfolgte Zwangspensionierung
, die freilich nach wenigen Monaten wegen des starken in- und
ausländischen Echos zurückgenommen werden mußte, wird ebenso
deutlich wie seine spätere Entwicklung, als er teils in seiner intensiven
Zusammenarbeit mit dem LKA auf die Einheit der Landeskirche bedacht
war, dann aber wieder konsequent bis zum Rücktritt als Vorsitzender
des Landesbruderrats (LBR), als der Ausschußvorsitzende
Happich 1939 die modifizierte Godesberger Erklärung Minister
Kerrls unterschrieben hatte.

Bei dem allen drängt sich dem Betrachter der Eindruck eines kurhessischen
Sonderweges auf, der sich wie ein roter Faden durch die
gesamten 12 Jahre zieht. Die wichtigsten Fakten seien genannt: Es
begann nach der berüchtigten Kirchenwahl 1933 mit der Herausstellung
der „Einstweiligen Kirchenleitung", die trotz Überwiegens der
DC-Kräfte auch der BK nahestehende Mitglieder umfaßte und in der
Folge die Anerkennung des größten Teils der Landeskirche fand, zumal
als sie 1934 in einem Unrcchtsakt abgelöst und durch eindeutige
Gefolgsleute des Reichsbischhofs ersetzt, einige Zeit später aber durch