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Ausgabe:

1987

Spalte:

357-360

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Titel/Untertitel:

Luther-Bilder im 20. Jahrhundert 1987

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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^57 Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 5 358

Durnbaugh. Donald F.: Characteristics of the Radical Reformation in Histo- kenntlich mache, „wenn er den kriegerischen Reformator" (d. h. die

ncal Perspective (CV 29,1986,97-118). Liedzeile „Und wenn die Welt voll Teufel war") zitiere (63). Oder gar:

Geldbach, Erich: Ein Modell radikaler Jesus-Nachfolge. Ausgewählte Litera- Kolbenheyers Lutherdeutung sei nicht nur Verfälschung, denn Johan-

tarai den Alt- und Neu-Huttcrern (Theologische Beiträge 17, 1986, nes Walthers „Wach auf, wach auf, du deutsches Land" sei „in allen

Liederbüchern des Dritten Reiches zu finden" gewesen. Walthers

306-313).

Glenthej. Jorgen [Ed.]: Johannes Bugcnhagcn: Sendebrev til Den danske

Kirtpii^- .• i ■ x . r n <• • i -,n ™ . Bußlied von 1561 wird dann gar mit dem Kommentar versehen: ..Es

■wKe. Udgivet i anledningaf450-Aret for Reformationen i Danmark 30. Okto- i

berl536 1986 19 S 8' 'st 8ew'ß bemerkenswert, wie hier der wüste Slogan Deutschland

Lorenz, Erika: Ein Pfad im Wegelosen. Teresa von Avila - Erfahrungs- erwache!' vorgebildet ist" (77). „Nietzsches Luther-Bild", d. h. die

^richte und innere Biographie. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1986. 158 S. Entwicklung vom Vorbild zum kritisch gewerteten „reaktionären

U. 8- = Herderbücherei, 1307. DM 8,90. Revolutionär", skizziert Elrud Ibsch (79-90). Leider bleibt der zeit-

v»lk, Ernst: Der andere Martin. Eine Erinnerung an den lutherischen Theo- geschichtliche Kontext außer acht. Stichworte der Sicht Nietzsches

'«gen Martin Chemnitz. Teil 1 und 2 (LuThK 10,1986,81 -95 u. 145-155). haben noch auf Thomas Manns Lutherdeutung Einfluß ausgeübt, der

mehrere Beiträge gewidmet sind. Den Auftakt macht Ferdinand van
Ingen mit einer Darstellung der „Erasmus-Luther-Konstellation bei

KirchengeSChichte: Neuzeit Stefan Zweig und Thomas Mann" (91-117). Zweig schrieb die Erasmus
-Studie 1933. „Die Figur des Erasmus ist in ihren Grundlinien als

I , Repräsentant des Intellektuellen in einer von Massenhysterie be-

'-uiner-Bilder im 20. Jahrhundert. Symposion an der Freien Umversi- .. , ,„ m[17 ■ u. • c j

. . . , . _ , ' , , _ stimmten Zeit angelegt. (95) Zweig sieht in Erasmus, der wie er zwi-

'at Amsterdam, in Verb, mit C. Augustijn u. U. Gabler hg. v. F. van , ,. _ .„

Ingen u. G. Labroisse. Amsterdam: Rodopi 1984. 266 S. 8' = sehen die Fronten geraten ist und die Idee der „Menschhe.tsglaubig-

Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, 19-1984. Kart. keit" zu retten versucht, sein selbstskept.sches Vorbild. Luther „ist in

hfl 60.-. Zweigs Darstellung eine Präfiguration Hitlers" (99). In der Sache ist

Mann mit Zweig einig, sein Luther ist aber widerspruchsvoller, „weil
Der Bd. vereinigt die Beiträge des internationalen und interdiszipli- er einen Teil seines eigenen Wesens, eben das Deutsche, verkörpert"
naren Symposions, das unter dem Thema „Martin Luther- ein Leit- (104). Dieses ambivalente Lutherverständnis wird vorallem an „Dok-
°ild" an der Freien Universität Amsterdam vom 12.-14. Oktober tor Faustus" und dem „gedanklichen Konzentrat" des Romans, der
'983 stattfand. Die in den Diskussionen herausgearbeiteten Ergän- Rede „Deutschland und die Deutschen" herausgearbeitet. Im Unter-
zungen und Korrekturen wurden in die Druckfassung eingearbeitet. schied zur Rede wird aber am Schluß die zentrale Lutherische Katego-
Der nachträglich geschriebene und vorangestellte Beitrag von Die- rie der Gnade eingeführt, ein Ton, der klarer in der Rede vor Hambur-
ter Hensing „Der Bilder eigener Geist. Das schwierige Verhältnis der ger Studenten 1953 („Gnade ist es, was wir alle brauchen") wieder
Lutherbilder zu ihrem Gegenstand" (1-25) hat eine einleitende Funk- aufgenommen wird. Eindringlicher noch als van Ingen setzt sich Gereon
. Hensing setzt die Vorträge zueinander in Verbindung, zieht die hard Kluge mit „Luther in Thomas Manns ,Doktor Faustus'"
Konturen nach und bringt zusätzliche Sekundärliteratur ein. Wichtig (119-139) auseinander. Auch er versteht „den Roman als Selbst-
'st der aus dem Aufsatz"von Bormanns übernommene und deutlicher vergewisserung und Selbstkritik des Deutschen und des deutschen
Profilierte Hinweis, daß das völkische Lutherbild nicht ohne weiteres Weges" (122), geht aber vor allem der Gestalt des Hallenser Professors
•>als Fortsetzung und Steigerung der Tradition von Luther dem Deut- Kumpf alias Martin Kähler als Verkörperung der „konservativen
Schen zu betrachten" ist, da die Nachwirkung der Romantik einzube- Revolution" in der Nachfolge Luthers nach, wofür Mann briefliche
Serien ist (10). Hartmut Laujhültes Untersuchung „Martin Luther in Auskünfte Paul Tillichs verarbeitete. Durch die geringe Kenntnis des
Verdeutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts" (27-57) spannt historischen Luther bis zu diesem Zeitpunkt vor allem ist Mann nach
den Bogen von Goethes „Götz" und Kleists „Kohlhaas" bis zur Kluges Urteil im „Doktor Faustus" „unter seinem Niveau geblieben"
Portes „Luther und Müntzer", aber auch Stefan Heyms „Ahasver" (139). Dazu trug auch Manns „Vorliebe für Typenhaftes oder
*ird noch kurz berücksichtigt. Mit Goethe beginnt die aufklärerische Typisches" bei, die sich mit einer quasi geschichtslosen Gestaltung
'■terarische Lutherdarstellung und damit die „stationenreiche Tradi- 'von Nebenfiguren verbindet. An der einzigen Stelle, an der sich Kluge
''onskette . .., in welcher ein positiv aufgewerteter Luther... zum in seiner interessanten Studie auf die theologische Lutherliteratur
Präger oder Garanten, Propheten oder Vollstrecker nationaler Pro- bezieht (Lilje), entnimmt er ihr eine zu problemlose Datierung des
Bramme und Sehnsüchte stilisiert wird" (34), z.B. in Zacharias sogenannten .Turmerlebnisses'auf den Winter 1512/1513 (132). Der
werners Schauspiel von 1806 oder Josef Buchhorns Hörspiel von Luther-Auflässung in der von Carl Muth gegründeten Zeitschrift für
'933. Kleist eröffnet die kritische Sicht Luthers in der Literatur. In das katholische Geistesleben, „Hochland", Reinhold Schneiders, des
seiner Nachfolge steht der Roman Hans Lorbeers genauso wie Dieter militanten Konvertiten und Hitlergegners Theodor Haeckers sowie
Portes „theatralische Groteske" (48). Von den Vertretern, die nicht der Halbjüdin Elisabeth Langgässers geht Johannes Maassen nach:
ohne weiteres einem der beiden Grundkonzepte zuzuordnen sind, „Dunkler Sohn. Luther im katholischen Schrifttum 1910-1960"
sind u.a. Walter von Molo, Stefan Zweig und Leopold Ahlsen zu (141-165). Schneider führte seinen Plan, ein Buch über die Reforma-
nennen. Laufhütte stellt fest, daß „die heftige Selbstdarstellung der je- tion zu schreiben, nicht aus, weil er wegen „Luthers geheimnisvolle(r)
We'ligen Gegenwarten" überwiegt. „Auf der Strecke bleibt dann, was Legitimation" zu der Überzeugung kam: „Die Geschichte der Refor-
das Eigentliche sein sollte: die religiöse Substanz als geschichtlich Ge- mation läßt sich schreiben, die Martin Luthers nicht" (Karl V.).
Wordenes und aktuell Verbindliches." (56) Ein wichtiges und bislang Maassen resümiert: „Es war die sie anstarrende Fratze des Dritten
kaum gewürdigtes Thema greift Alexander von Bormann mit seinem Reiches, welche in diesen Autoren die Sehnsucht nach dem Sacrum
Aufsatz „Luther im Nationalsozialismus: Die Versöhnung von Imperium erweckte . . . Dabei war Luthers Gestalt und Wirken ein
Wotan und Christus" auf (59-78). Seine These, „erst nach 1934 tritt Katalysator... Ihn machte man verantwortlich für die verloren-
der anfänglich dominierende Hutten zurück und Luther wiederum an gegangene religiöse, nicht weniger aber und in einem Atem für die ver-
Jene Stelle, die er furdas nationale Deutschtum ... seit eh und je inne- lorengegangene nationale Einheit" (164). „Luther - ein .geistiger
Sehabt hatte" (61), ist nur mit einer Qucllenauswahl zu stützen, wie Ahnherr Hitlers'?" überschreibt Eberhard Mannack seinen Beitrag
s'e der Autor zugrunde legt (z. B. Moeller van den Bruck und Rosen- (167-185), mit dem er ein Vorjahren häufig behandeltes Thema auf-
Derg). Die Äußerungen zum Lutherjubiläum 1933 werden völlig aus- nimmt. Eine angesichts des Gegenstandes notwendige Tiefenlotung ist
Seklammert. Auch im einzelnen begegnet man fragwürdigen Behaup- in diesem Rahmen nicht möglich. Von Luthers „Apokalypse-Kom-
tungen, z. B. daß die Lehre vom deutschen Gott „einen lutherischen mentar" als eine der Quellen für Thomas Manns Lutherauffassung im
Ursprung" habe, wie Karl Kraus mit seinem „Lied des Alldeutschen" „Doktor Faustus" ist mißverständlich die Rede (173). Von Luther