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Ausgabe:

1987

Spalte:

351-353

Kategorie:

Kirchengeschichte: Alte Kirche, Christliche Archäologie

Titel/Untertitel:

The roots of Egyptian Christianity 1987

Rezensent:

Löhr, Winrich Alfried

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351

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 5

352

Kirchengeschichte: Alte Kirche

Pearson, Birger A., and James E. Goehring [Ed.]: The Roots of Egyp-
tian Christianity. Philadelphia, PA: Fortress Press 1986. XXIX,
319 S. gr. 8' = Studies in Antiquity & Christianity.

Das vorliegende Buch basiert mit seinen siebzehn, aus verschiedenen
Federn stammenden Beiträgen auf einer Konferenz, die das kalifornische
"Institute for Antiquity and Christianity" vom
19.-23. 9. 1983 in Claremont/CA abhielt. Die Konferenz markierte
den Beginn eines Forschungsprojektes über die „Wurzeln" des ägyptischen
Christentums; das Buch ist das erste aus einer geplanten Serie,
an deren Ende eine umfassende Geschichte des ägyptischen Christentums
von seinen Anfängen bis zur arabischen Eroberung im 7. Jh. stehen
soll.

Die Beiträge sind in fünf Teilen angeordnet: 1. "Greek, Coptic, and
Arabic Sources", 2. "The Environment of Early Christianity in
Egypt", 3. "The Emergence of Christianity in Egypt", 4. "Theologi-
cal Speculation and Debate". 5. "Monasticism". Ein Index fehlt bedauerlicherweise
.

Der erste Teil wird eingeleitet durch einen Beitrag von J. M. Robinson
zum Thema "The Discovering and Marketing of Coptic Manu-
scripts", der die Bedeutung von Ort und Umständen des Fundes für
die historische Auswertung antiker Manuskripte veranschaulicht.
S. Kent Brown gibt einen Uberblick über die Haupttypen griechischer
und koptischer Inschriften in Ägypten und betont deren Bedeutung
für liturgische Studien. L. S. B. MacCoull weist mit anschaulichen
Quellenzitaten auf die Bedeutung koptischer Urkunden (Briefe, Kaufverträge
etc.) für die Erfassung des Alltagslebens in einer „christianisierten
" Gesellschaft hin. Die Bedeutung arabischer Quellen stellt
K. Samir in seinem Beitrag heraus. Der bemerkenswerteste Aufsatz
des ersten Teiles stammt von dem römischen Koptologen T. Orlandi.
Orlandi versucht, eine Koptische Literaturgeschichte im Umriß zu
geben, die sich von den frühkoptischen Beschwörungstexten über die
pachomianische Literatur und die Werke Schenoutes und Besas bis
zur späteren Übersetzungsliteratur und der antichalcedonischen Polemik
des fünften und sechsten Jh. erstreckt, um schließlich in dem um
einige berühmte Vätergestalten komponierten „Zyklen" des neunten
bis zwölften Jh. auszumünden.

Der zweite Teil ist mit zwei Aufsätzen recht schmal geraten: Zunächst
behandelt H. A. Green: "The Socio-Economic Background of
Christianity in Egypt". Zwar gelingt Green eine anschauliche Beschreibung
der in römischer Zeit erfolgten Teilprivatisierung der pto-
lemäischen Staatswirtschaft, doch ist er weniger überzeugend, wenn er
den Einzug des Christentums in wohl doch zu einliniger historischer
Argumentation mit der Tatsache erklären will, daß die Juden - im
Gegensatz zu Griechen und Römern - von der 24 v.Chr. eingeführten
„laographia" (Kopfsteuer) nicht freigestellt wurden. Infolge der fiskalischen
Maßnahme kam es laut Green zu einer Diskrepanz zwischen
dem relativ hohen sozialen Status und der relativ niedrigen sozialen
Position der alexandrinischen Juden. Das Resultat dieser Entwicklung
beschreibt Green ohne weiteren Rekurs auf Quellen als "social
and psychic dislocation" (S. 109), die Entstehung des Christentums
wird konsequent als Ausdruck der „Suche nach sozialer Integration"
und der „Frage nach Sinn" (S. 110) interpretiert. Green charakterisiert
die christusgläubigen Juden folgerichtig so: "Greek in thinking
and monotheistically inclined, these Outsiders would have achieved
social and psychic integration through beliefin Jesus Christ." (S. 111)
Doch reflektiert Green weder, ob die neuzeitliche soziologische
Begrifflichkeit für das antike Christentum angemessen ist, noch vermag
er zu erklären, warum gerade das Christentum zur sozialpsychologischen
Hygiene notwendig war und welche Bedürfnisse im Unterschied
dazu etwa die gnostische Bewegung befriedigte. Auch dürfte die
von Green diagnostizierte Diskrepanzerfahrung nur für eine bestimmte
Schicht der alexandrinischen Judenschaft in aller Schärfe
fühlbar geworden sein, während das wenige, was wir über die soziale

Zusammensetzung frühchristlicher Gemeinden aus den Quellen erheben
können, ein sehr breites Spektrum der vertretenen Schichten
nahezulegen scheint. Der zweite Aufsatz dieses Teils, "Mithra in
Egypt" (G. Lease) weist nach, daß der in anderen Teilen des
römischen Reiches verbreitete Mithraskult in Ägypten kaum Anhängerhatte
.

Im dritten Teil macht zunächst B. A. Pearson einige Beobachtungen
zu den sehr dunklen Anfängen des ägyptischen Christentums. Er
datiert die Tradition von Markus als dem Gründer des ägyptischen
Christentums in das zweite Jh. hinauf. Einige topographische Bemerkungen
über christliche und jüdische Quartiere und Örtlichkeiten in
Alexandrien runden seine Beobachtungen ab; die Archäologie scheint
die Ansicht zu bestätigen, daß die christliche Gemeinde aus der lokalen
jüdischen Gemeinde entsprang. Dem von Pearson topographisch
fixierten Judenchristentum versucht A. F. Klijn in seinem Beitrag
("Jewish Christianity in Egypt") theologisch deutlichere Konturen zu
geben. Er sieht das Charakteristikum der judenchristlichen alexandrinischen
Theologie in einer die jüdischen Weisheitsspekulationen fortführenden
Logoschristologie. Dieses Judenchristentum war laut Klijn
eine Bewegung, die unterschiedliche esoterische „Schulen" und
„Gruppen" ausformte. Doch im Laufe der Zeit entwickelte sich die
Bewegung zur hierarchisch verfaßten Kirche, die Logoschristologie
wurde im Hinblick auf eine stärkere Betonung der Inkarnation modifiziert
.

Im vierten Teil läßt zunächst R. M. Grant in einem nützlichen Aufsatz
die vorchristlichen und christlichen Schulen Alexandriens Revue
passieren. Danach stellt R. van den Broek einige Überlegungen zu
dem intellektuellen Milieu Alexandriens an ("Jewish and Piatonic
Speculations in Early Alexandrian Theology"). Van den Broek sucht
zu zeigen, daß das valentinianische System wesentliche Inspirationen
aus einer Tradition bezieht, die jüdisch-gnostische und platonische
Elemente kombinierte und die durch den Nag Hammadi Traktat
Eugnostus bezeugt wird. Auch gebe es interessante Parallelen zwischen
gnostischen Pieromaspekulationen und der Christologie des
Origenes. Allerdings setzen die Hypothesen van den Broeks undiskutiert
voraus, daß die aus dem vierten Jh. stammenden Quellen aus Nag
Hammadi erheblich frühere Traditionen bezeugen - eine wohlbekannte
Crux der Gnosisforschung.

Dem spezifisch alexandrinischen Ursprung des arianischen Streites
versucht C. Kannengießer in seinem Beitrag ("Athanasius vs. Arius:
The Alexandrian Crisis") nachzugehen. Er betont u. E. zu Recht, daß
die Auffassungen des Arius ihre traditionsgeschichtlichen Wurzeln in
der lokalen theologischen Tradition haben. Doch die umrißhaften
Porträts, die Kannengießer von Arius und Athanasius zeichnet, vermögen
nicht vollständig zu überzeugen: Arius erscheint hier wesentlich
als ein Theologe des dritten Jh.s, der in recht fragwürdiger Weise
mit Origenes (S. 209) und Plotin (S. 215) verglichen wird. Athanasius
erscheint im Kontrast dazu als der Protagonist einer neuen Generation
, der um Seelsorge bemühte Bischof mit einem populären "common
touch" (S. 215). Hier wirkt sich die Beschränkung auf die „lokalhistorische
" Dimension zweifellos negativ aus: Der „arianische"
Streit kann angemessen wohl nur im reichskirchlichen Horizont
begriffen werden, in seinem Fortgang entwickelten sich Formen der
theologischen Auseinandersetzung und kirchenpolitischen Konfliktbewältigung
, die für künftige Generationen paradigmatischen Charakter
gewinnen sollten. Seltsam berührt es auch, daß Kannengießer
dem Vorgänger des Athanasius, Alexander, so wenig Beachtung
schenkt, obwohl er es doch war, der möglicherweise den Streit auslöste
(anders Kannengießer, S. 215, der die Initiative Arius zuschreibt)
und der die wesentlichen Züge des „Ketzers" Arius fixierte. Die anti-
chalcedonische koptische Publizistik behandelt D. W. Johnson. Der
Ertrag für den theologisch interessierten Leser ist gering, doch verdient
die Tatsache Beachtung, daß die koptische Polemik sich eher
gegen den „Tomus Leonis" als gegen das „Chalcedonense" richtete.

Der fünfte und letzte Teil des Buches enthält zwei Forschungsberichte
über Studien zu Pachom (J. E. Goehring) und Schenute