Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1987

Spalte:

312-315

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Papandreu, Damaskēnos

Titel/Untertitel:

Orthodoxie und Ökumene 1987

Rezensent:

Krüger, Hanfried

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2, Seite 3

Download Scan:

PDF

311

Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 4

312

Der Gebrauch des Wortes ekklesia ist das Thema des 4. Kapitels
(115 ff), wobei nacheinander die Verwendung dieses Begriffs im klassischen
Griechisch, in der Septuaginta und im Neuen Testament untersucht
wird. Für besonders wichtig hält Vf., in welchem Sinn das Wort
im Neuen Testament n ich t vorkommt:

1. „Kirche" ist im NT niemals „ein Gebilde aus Steinen und Kalk
oder Ziegeln und Mörtel" (161). 2. Im NT gibt es keine Staats- oder
Nationalkirche (162). Vf. legt unter Hinweis auf Mt 18,17 alles
Gewicht auf die Kirche am Ort. „Es gibt keine höhere Instanz (court)"
(163). 3. Kirche im NT meint niemals eine Denomination (1641T).
Hier polemisiert Vf. nachdrücklich gegen die vor allem von anglikanischer
Seite vertretene Konzeption einer "organic union", weil dabei
den Konfessionen oder Denominationen ein ekklesialer Rang
zuerkannt werde, der durch das NT nicht gedeckt sei. 4. Es gibt im NT
keine Verwendung des Begriffs Kirche im Sinn des Reiches Gottes
oder des Himmelreichs (166ff). Die Kritik gilt letztlich Augustinus,
doch bezieht Vf. keine direkt konträre Position, formuliert vielmehr
behutsam: „Obwohl die Kirche nicht das Reich Gottes ist, spielt sie
nichtsdestoweniger eine sehr lebendige Rolle bezüglich des Reiches
Gottes" (176). 5. Die Kirche ist nicht Israel (176ff). Angesichts des
breiten und vertieften Nachdenkens über das Verhältnis der Christenheit
zum Volk des Alten Bundes, das nach dem zweiten Weltkrieg eingesetzt
und zu gegenseitiger Annäherung geführt hat, ist es zumindest
überraschend, wenn Vf. lapidar, ja schroff feststellt: Im NT ist die
Kirche „niemals gleichgesetzt mit einem sogenannten neuen Israel,
sondern ist beständig davon unterschieden" (185). „Die Kirche ist
eine neue Ordnung Gottes (dispensational work), unterschieden von
derjenigen Israels als einer Nation." (ebd.) „Die Kirche darf nicht mit
Israel verwechselt (confused) werden." (186)

Die ersten vier Kapitel haben im Grunde nur einleitende und hinführende
Bedeutung. Erst die Kapitel 5 bis 7 bringen diejenigen Ausführungen
, an denen dem Vf. eigentlich gelegen ist. Kap. 5 enthält
„Einleitende Betrachtungen zur Lehre von der Gesamtkirche"
(187ff). Dabei ist das Verständnis der Universalität der Kirche
dadurch bestimmt, daß Vf. eine dezidiert johanneische Ekklesiologie
vorträgt.

Die so verstandene Gesamtkirche wird im 6. Kapitel (221 ff) metaphorisch
unter sechsfacher Gestalt (figure) beschrieben: Leib, Braut,
Bau(werk), Priesteramt, Herde, Reben. Die Reben-Metapher ist für
den Vf. die wichtigste. Seine Bevorzugung der johanneischen Ekklesiologie
kommt am Schluß des Kapitels noch einmal klar zum Ausdruck
: „Die Gestalt des Weinstocks und der Reben gibt ihren einmaligen
Beitrag zur Lehre von der Natur der Kirche. An erster Stelle offenbart
sie in einmaliger Weise die untrennbare Verbindung (rela-
tionship) der Glieder der Kirche mit ihrem Herrn. Christus sagt nicht,
daß Er der Stamm ist, sondern der Weinstock, an dem seine Jünger die
Reben sind. Das Ganze schließt die Teile ein. Zweitens beschreibt dieses
Bild (figure) auf das anschaulichste die Ergebnisse dieser Identifikation
der Glieder der Kirche mit ihrem Herrn. Weil sie Reben am
Weinstock sind, ist die Frucht, die hervorgebracht wird, nicht ihre
Frucht. Die Reben tragen nur die Frucht, und die Frucht ist das Leben
Christi selbst, das der Heilige Geist in jedem Glied der Kirche, das fest
am Weinstock bleibt, gestalten will. Dieses Leben Christi wird offenbar
in der Liebe zu den Brüdern - den anderen Reben des Weinstocks
." (315)

Welcher Stellenwert kommt bei diesem Kirchenverständnis der
Gemeinde als der „Kirche am Ort" zu? Sie will Vf. keinesfalls vergleichgültigen
, wie das mit der Lehre von der "local church" befaßte
7. Kapitel (317ff) ausweist. Das NT zeige nämlich die vielen Einzelglieder
des Leibes Christi als „vereinigt in Gruppen, die als Kirchen
am Ort bekannt sind" (317). Für den paulinischen Organismusgedanken
bleibt hier allerdings wenig Raum. Die „verfaßte" Kirche am Ort
ist in dieser Welt nötig und nützlich - Höheres ist von ihr im Grunde
nicht zu sagen. Doch läßt Vf. es dabei dann doch nicht bewenden. Er
fragt - und dies ist ihm geradezu das Kernproblem der Ekklesiologie -
nach der „Verbindung (relationship) zwischen der Gesamtkirche und

den Kirchen am Ort" (319ff). Vf. prüft wieder vornehmlich neutesta-
mentlich (Apg, Briefe, Offb) und kommt zu dem Ergebnis, daß hinsichtlich
der Zugehörigkeit zur Kirche fünf Forderungen zu erheben
sind. Die Mitgliedschaft muß sein:

1. "regenerate" (338). „Wenn jede Kirche am Ort ein Miniaturmodell
(miniature pattern) der Gesamtkirche ist, machen nur die
wahrhaft Wiedergeborenen ihre Mitgliedschaft aus" (339). 2. "auto-
nomous" (345): „Local churches stehen nicht in organisatorischer
Beziehung zu anderen local churches" (348). Wohl aber soll es "inter-
church Cooperation" geben (349). Elementarer Grundsatz ist die
Trennung von Kirche und Staat (350). 3. "ordered and purposeful"
(351): „Als Repräsentation der Gesamtkirche, des Leibes Christi,
sollte jede Kirche am Ort das Ebenmaß, die Schönheit, das Dekorum,
die Ordnung haben, die für den Archetyp charakteristisch sind" (355).
4. "unified" (355). Hier polemisiert Vf. gegen „die heutigen Ökume-
niker in ihrem Trend (drive) zur Superkirche" (357), womit er die tatsächliche
Zielsetzung der ökumenischen Bewegung arg entstellt. Er
plädiert für Einheit der Kirche am Ort (358) und präzisiert dies auf
zweifache Weise: a) „Organisatorische Einheit geht niemals über die
Kirche am Ort hinaus" (359), b) die organisatorische Einheit muß
begleitet sein „von einem steten und strikten Festhalten an der einzigartigen
Lehrwahrheit, die in Jesus Christus zentriert ist" (ebd.). 5.
"growing" (360): Es geht um Wachstum in quantitativer wie in qualitativer
Hinsicht. „Die Abnahme des einen wird die Stagnation oder
den Tod des anderen zum Ergebnis haben. Weil die Kirche am Ort
Gottes Betriebsagentur (working agency) auf Erden ist, gebührt es sich,
daß alle christlichen Organisationen enge Arbeitsverbindung zu ,den
Kirchen Christi' (Rom 16,16) aufrechterhalten." (365)

Abschließend gibt Vf. der Überzeugung Ausdruck, die von ihm vorgetragene
Ekklesiologie sei „die Lehre von der Natur der Kirche,
sowohl in ihren universalen als auch in ihren lokalen Aspekten, wie
sie im Neuen Testament vorgeformt (patterned) ist" (384).

Es ist nicht schwer, die Schwachstellen dieser Studie im exegetischen
wie im historischen Bereich aufzudecken. Besonders ist Vf.,
der so eifrig gegen Konfessionalismus kämpft, vorzuhalten, daß der
von ihm verfochtene Independentismus auch nichts anderes als einen
bestimmten ekklesiologischen Typus darstellt, der historisch geworden
, vor allem auf amerikanische Verhältnisse zugeschnitten und entsprechender
Relativierung bedürftig ist. Trotzdem ist es gut, daß in
der während der letzten Jahre auf breiter Front neu in Gang gekommenen
ökumenisch-ekklesiologischen Diskussion auch diese freimütig
biblizistische Stimme hörbar ist. Zudem enthält das Buch im einzelnen
sehr viel Nachdenkenswertes. Das gilt vor allem von den Ausfuhrungen
über die Kirche am Ort. Sie könnten besonders überall
dort, wo die Kirche sich mehr und mehr in der Situation der Diaspora
vorfindet, vielfältig hilfreich sein.

Leipzig Siegfried Krügcl

Ökumenik: Ostkirchen

Papandreou, Damaskinos: Orthodoxie und Ökumene. Gesammeitc
Aufsätze. Hg. von W. Schneemelcher. Stuttgart-Berlin (West)-
Köln-Mainz: Kohlhammer 1986. 228 S„ 1 Taf. gr. 8*. geb.
DM 49,80.

Der Band enthält - nach einem Vorwort des Hg. und warmherzigen
Grußworten von Bischof Hermann Kunst und Joseph Kardinal Ratzinger
-20 meist schon an anderer Stelle veröffentlichte Aufsätze und
Vorträge des Schweizer Metropoliten Damaskinos. des Leiters des
Orthodoxen Zentrums in Chambesy bei Genf und Sekretärs für die
Vorbereitung eines allgemeinen Panorthodoxen Konzils, zusammengestellt
anläßlich seines 50. Geburtstages. 13 dieser Beiträge liegen in
Deutsch, 5 in Französisch, je einer in Englisch und Italienisch vor und
stammen in chronologischer Anordnung aus den Jahren 1967-1983,