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Ausgabe:

1987

Spalte:

301-302

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Kreß, Hartmut

Titel/Untertitel:

Religiöse Ethik und dialogisches Denken 1987

Rezensent:

Lessing, Eckhard

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Seite 1

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I

301 Theologische Literaturzeitung 112. Jahrgang 1987 Nr. 4 302

SyStGmatiSChe Theologie- Ethik keineswegs preisgeben. Gerade die vom Judentum behauptete Un-

erkennbarkeit Gottes eröffnet dazu die Möglichkeit, außerdem die

tton ,, „ ..... _......... _ . Aufnahme neuzeitlicher skeptischer Traditionen-und zwar ohne daß

■"eu, Hartmut: Religiöse Ethik und dialogisches Denken. Das Werk .. „ , . .... _ ... , . ,,,, .

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Martin Bubers in der Beziehung zu Georg Simmel. Gütersloh: 6 6

Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1985. 282 S. 8° = Studien zur bestritten werden müßte. Buber konnte darum bekanntlich die reli-

evang. Ethik, 16. Kart. DM 68,-. giösen Traditionen der Menschheit in weitem Umfang würdigen. -

Das Zusammenrücken von Religion und Ethik begünstigt dasjenige

Die vorliegende Untersuchung darf unter zwei Gesichtspunkten von Ethik und Dialogik. Denn wenn der Mensch in der Gottes-

Aufmerksamkeit beanspruchen: Mit der Behandlung des Verhältnis- begegnung ethisch in Anspruch genommen wird, so schließt das ja ein,

ses von Buber und Simmel wendet sie sich einem weitgehend vernach- daß er im Gegenüber zu einem ewigen Du zu einem Ich wird. Weil,

lässigten Aspekt des geistesgeschichtlichen Hintergrundes Bubers zu; wie Vf. klar herausarbeitet, Buber (wie Simmel) objektives Reden von

mit der Analyse des Problemkreises Ethik und Dialogik werden Gott meidet und die Begegnung mit dem ewigen Du von der Erfah-

'mplikationen personalistischen Denkens erhoben, die in der reichen rung her bedenkt (vgl. bes. 139ff), ist das Gott-Mensch-Verhältnis auf

Buber-Literatur üblicherweise nicht ausdrücklich gewürdigt werden. die zwischenmenschliche Relationalität hin offen und umgekehrt.

Beide Gesichtspunkte werden vom Vf. mit Geschick in Angriff Auch wenn die Aspekte des Dialogischen (177ff) von Buber phäno-

genommen. menologisch oft weitgehend für sich betrachtet werden können, ist

Im ersten Teil beschäftigt sich die Arbeit mit der Rcligionstheorie, durch die Verschränkung mit dem Religiösen die Prävalenz des
dem Gesellschaftsverständnis und der Ethik Simmeis (13-95). Die Ethischen doch stets impliziert. - Dieses Ethische selbst wird von
Aufgabe wird nicht darin gesehen, eine umfassende selbständige Inter- Buber nun vor allen Dingen im Hinblick auf die Lebensführung des
Pretation des Werkes Simmeis vorzulegen. Vielmehr sollen die einzelnen Menschen entfaltet. Taoismus und Chassidismus geben die
Bezüge zwischen Simmel und Buber herausgearbeitet werden. Das ist Leitgedanken (I98ff). Kategorial kann Bubers Ethik als Gesinnungs-
n,cht einfach, weil dieser zwar einerseits Simmel zu seinen Lehrern ethik (204ff) bezeichnet werden. Sie muß als solche allerdings wesent-
Zahlt. sich aber andererseits vor allem in bezugauf das Zentrum seines lieh anders als bei Max Weber begriffen werden. Das ist nicht zuletzt
Denkens, die Dialogik, keiner „direkte(n) Abhängigkeit" (15) bewußt in einem abweichenden Verständnis der Verantwortung begründet
war. Demgegenüber versucht Vf. nachzuweisen, daß sich bei Simmel (vgl. 209ff), die ohne Reflexion auf normative (gesinnungsethische)
"Erwägungen (finden), die das dialogische Denken (sc. Bubers) vor- Gehalte nach Bubers Auffassung nicht gedacht werden kann. Zwar
bereiten und vorformen", und ..Verbindungslinien zwischen Simmeis weist die Ethik Bubers allererst in den individuellen Bereich. Die
Und Bubers Ethik" (ebd.) bestehen. Ein solcher Nachweis kann frei- Arbeit macht aber mit Recht auch auf die sozialethischen Anschaulich
nur gelingen, wenn charakteristische Aspekte des Werkes ungen Bubers (228fT) aufmerksam. Nicht nur, daß der dem Dialo-
Simmels selbst zur Darstellung gebracht werden. Aus diesem Grunde gischen in der gegenwärtigen Gesellschaft gegebene Raum kritische
behandelt Vf. zuerst den Problcmkreis Religion, sodann den Problem- sozialethische Erwägungen zuläßt, wobei sich wieder Berührungskreis
Gesellschaft bei Simmel. Detailliert wird in beiden Fällen der punkte mit Simmel zeigen. Auch das positive Leitbild einer „dezen-
Bedeutung des Relationsbegriffs nachgegangen, der sozusagen das tralisierten Gesellschaft" (231 ff) kann in Umrissen erhoben werden.
Eingangstor zum Verständnis der Dialogik ist. Als tragend erweist sich Fremd bleibt Buber freilich die ethische Bedeutung der Institutionen-
■nsbesondere die Unterscheidung zwischen Religion und Religiosität thematik und damit auch wesentliche Aspekte der Staatslehre,
(vgl. bes. 25-37). Der ontologischen Vorrangstellung des neuzeit- Abschließend versucht Vf. insbesondere eine „geistesgeschichtliche
'ichen Subjektivitätsgedankens entsprechend wird der Religiosität Zuordnung Bubers" (241 ff); außerdem werden Fragestellungen erho-
formende Kraft zuerkannt und in der Religion Produkt und Ergebnis ben, die sich von Buber aus für die gegenwärtige Theologie ergeben
derselben gesehen. Indem sich Simmel allerdings zunehmend (vgl. (257fT). Beide Abschnitte entsprechen nicht durchgängig dem Niveau
35 IT) der Problematik des Verhältnisses von Subjekt und Objekt der übrigen Arbeit. Zuletzt werden nur einige allgemeine und letztlich
bewußt wird, vermag er die sozialen Tiefendimensionen aller Wech- nichtssagende Überlegungen angestellt. Zuvor wird zwar der wichtige
selwirkungen - ohne Preisgabe des Grundgedankens - klarer zu und zu beherzigende Gedanke expliziert, daß Buber aus der Nähe zur
erfassen. Nicht zuletzt deshalb kann nicht die selbstgenügsame Indivi- liberalen Theologie zu verstehen sei (vgl. 241 IT). Die angeführten
Qualität, sondern die konstitutive Bedeutung der Zweierbeziehung, Gesichtspunkte berühren aber nur Teilprobleme. Das dürfte nicht
"ie immer zugleich als ein gesellschaftliches Phänomen begriffen zuletzt damit zusammenhängen, daß der Vf. dem Problem des Verwerten
muß, herausgehoben werden (vgl. bes. 72-81). Damit gewinnt hältnisses eines allgemeinen Religionsbegriffes und der Option für die
Simmel die Möglichkeit, die gegenwärtige Kultur daraufhin zu befra- jüdische Religion bei Buber zu wenig nachgegangen ist. Gerade dies-
gen, ob und inwieweit sie personal orientierter Lebensführung noch bezüglich wurden mit dem Rüstzeug auch der liberalen Theologie von
stattgeben kann. Daß solche Überlegungen zu einer bestimmten Ethik Buber entwicklungsgeschichtliche Konstruktionen aufgebrochen, die
tendieren, versteht sich von selbst. Vf. expliziert das besonders im den geistesgeschichtlichen Gang des 20. Jh. komplexer zu sehen
Hinblick auf Simmeis Auseinandersetzung mit Kant, die im übrigen nötigen, als das in der vorliegenden Abhandlung der Fall ist. Man
für das gesamte Werk Simmeis charakteristisch ist und in der Abhand- kann darum fragen, ob nicht die herausgearbeitete spezifische Verlunggebührend
gewürdigt wird. bindung von Religion und Ethik bei Buber eine Sprengkraft enthielt.

Die im zweiten Teil folgende Darstellung Bubers schließt sich die ihm eine Wirkungsgeschichte in der Theologie ermöglichte, wie
methodisch an den ersten an. Zuerst wird also Bubers Verständnis der sie vergleichsweise etwa Simmel versagt blieb (wenngleich Vf. dan-
Religion. dann sein dialogisches Existenzverständnis, schließlich die kenswerterweise auf verborgene Beziehungen zur Theologie hin*
Ethik behandelt (97-239). Die Parallelität der Gliederung gestattet weisen kann [vgl. bes. 250]). So bleibt als Verdienst der vorliegenden
den ständigen Vergleich mit Simmel. Er muß jedoch auf der Basis Untersuchung festzuhalten, daß sie detailliert und gründlich den Vereines
fundamentalen Unterschiedes durchgeführt werden. Buber nachlässigten Beziehungen zwischen Buber und Simmel nachgegan-
begreift Religion und Ethik nicht als je eigenständige Bereiche, son- gen ist und die ethische Dimension des Denkens Bubers neu zum
dem Religion ist „Grundimpuls zur ethischen Aktivität des Mcn- Bewußtsein bringt.

schen"(105). Mit diesem Unterschied ist gegeben, daß Buber sich aus- Münster/Westfalen Eckhard Lessing

drücklich als jüdischer Denker verstehen kann und nicht primär aus

religionsphilosophischer Warte urteilt. Die Vorrangstellung der Reli- Schinzer. Reinhard: Ethik ohne Gesetz. Christlich urteilen und
giosität wird dadurch objektiviert; sie läßt sich geistesgeschichtlich handeln. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1986. 150 S. 8'.
einordnen. Freilich möchte Bubcr den Bezug zum Allgemeinen damit Kart. DM 22,80.